Datei:Kriegsgefangene Rund um NMS Courier 19890107 Seite14.jpg

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Beschreibung

Holsteinischer Courier vom 7. Januar 1989, Für jeden Gefangenen fünf Kubikmeter Luft, Tausende russische Kriegsgefangener arbeiteten im Ersten Weltkrieg rund um Neumünster, Seite 14, von Christian Trutschel

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Sonnabend, 7. Januar 1989 — Nr. 6 NEUMÜNSTER Seite 13 helmstraße um Zustimmung bei der Da bittet etwa der Königliche Land-Verwendung von Kriegsgefangenen rat von Bordesholm den Bürgermeister bitten. von Neumünster um Hilfe bei der Ver- folgung der „russischen Kriegsgefan-Schnell steigende Nachfrage genen No. 10677 und 3498 von ihrer Arbeitsstelle in Grossharrie". Ob die Bestimmungen in einem Reich, das auf vollen Kriegstouren lief, in dem männliche Arbeitskräfte ohne-hin überall fehlten, stets eingehalten wurden, ist fraglich. Die Nachfrage je-denfalls war enorm. Schon am 1. Februar 1916 schreibt der Regierungspräsident in Schleswig an die Landräte: „Die Inspektion der Kriegsgefangenenlager in Altona hat erneut darauf hingewiesen, daß die namentlich von Industrie und Land-wirtschaft eingehenden Anträge so zahlreich seien, daß sie gezwungen sein werde, aus den für Meliorations-unternehmungen ( Melioration = Bo-denverbesserung, in Neumünster gab es 1916 sogar ein „Königl. Meliora-tionsbauamt", Anm. d. Red.) zur Zeit errichteten Kriegsgefangenenlagern die notwendigen Leute zu nehmen und dann nach und nach die Lager, wenn vielleicht auch nur vorüberge-hend, ganz zu räumen." Überall wurden die Kriegsgefange-nen gebraucht. Entweder marschierten sie jeden Morgen, bewacht von militä-rischem Personal oder später immer mehr von zivilen Hilfswachmännern, zu ihren Arbeitsstätten. Oder sie wur-den bei Bauern, in den Forsten und Fa-briken untergebracht, wenn die Ent-fernung zum nächsten Lager sieben Kilometer überstieg. „Die Unterbringung und Verpfle-gung ist, wenn die Kriegsgefangenen nicht von einem Lager aus täglich ge-stellt werden, grundsätzlich vom Ar-beitgeber zu übernehmen, ihm aber zu vergüten. Der Satz hierfür beträgt für die Unterkunft täglich 15 Pfennige je Kopf der Kriegsgefangenen und der Wachmannschaft", ordnete das Kriegs-ministerium des Kaisers an. Sogar die Belange der Atmung wur-den geregelt: „Die Räume sind dau-ernd ausreichend zu heizen, täglich zu reinigen und zu lüften. Für jeden Kriegsgefangenen ist ein Luftraum von 5 cbm (= Kubikmetern, Anm. d. Red.) erforderlich." Einnahmequelle des Heeres Das Geschäft mit den Kriegsgefan-genen blühte. Die Kaiserliche Heeres-verwaltung verdiente gut an ihnen, in-dem sie sie regelrecht an die diversen Arbeitgeber vermietete. Reichsweit teilte sie mit: „Für die Ar-beit der Kriegsgefangenen ist in Betrie-ben jeder Art grundsätzlich für den Kopf und Arbeitstag eine Vergütung an die Heeresverwaltung zu zahlen, wie sie der Höhe des Tagesverdienstes eines freien Arbeiters im gleichen Be-triebe und unter gleichen Verhältnis-sen entspricht." Große Begehrlichkeiten zu wecken, mußte zumindest auf dem Papier be-gegnet werden: „Die Kriegsgefange-nenarbeit darf nicht auf dem Umwege verbilligt werden, daß man dabei etwa niedrigere Stücklöhne einführt, als man freien Arbeitern anbieten würde." Welche Firmen in Neumünster rus-sische Kriegsgefangene beschäftigten, läßt sich anhand der Akten in den Stadtarchiven von Neumünster und Kiel nicht feststellen. Dort finden sich vorwiegend Polizei-Akten. Flucht aus Großharrie Hinter No. 10677 verbirgt sich der 28jährige Egor Filipow, Dienstgrad: Gemeiner, 1,87 Meter groß, dunkel-haarig, Schnurrbart und bekleidet mit einem Gefreiten-Rock. No. 3498 heißt Iwan Hansolkow. Auch er ist 28 Jahre alt, Gemeiner, und trägt einen Schnurrbart, ist aber nur 1,69 Meter groß. Als die beiden im Juli 1917 aus Grossharrie fliehen, steht ihre Heimat kurz vor der Revolution. Das Zaren-reich wird Sowjetrepublik werden. Eindeutig geht jedoch aus den Ak-ten von Polizei und Amtsverwaltun-gen geht hervor, daß besonders in Land- und Forstwirtschaft viele russi-sche Gefangene eingesetzt wurden. Als Arbeitsstellen werden u.a. genannt Gut Neunordsee, Techelsdorf, Schmal-stede, Gut Alt-Bülk, Bönebüttel, Stock-see, Klein-Harrie, Bokhorst, die König-liche Oberförsterei Neumünster, die Oberförsterei des Gutes Ranzau. In Zehnertrupps, begleitet von einem Wachmann, ziehen die Fremden an ihre Arbeitsstellen. Das Land ordert die meisten Bemerkenswert ist, daß sich die Löh-ne von Wächtern und Bewachern, so-weit sich denn Reich und Arbeitgeber an die Verordnungen hielten, nur we-nig unterschieden. So bekam ein Ge-fangener für seine Arbeit pro Tag im Jahre 1916 50 bis 60 Pfennig, maximal eine Mark. Der Wachmann bekam 1916 ebenfalls eine Mark. Im Dezember 1918, als der Krieg ge-gen Rußland schon lange durch den Separatfrieden von Brest Litovsk be-endet war, verdoppelte die Inspektion der Kriegsgefangenen-Lager den Ge-fangenenlohn und vervierfachte den der Wächter, um die unfreiwilligen Ausländer und ihre bewaffneten Be-gleiter bei der Arbeit zu halten. So schnell sich die Fabriken, die Landwirte, die Förstereien, die vielen Bodenverbesserungs-Genossenschaf - ten auf den ungewohnten Ansturm zwar „ekelhaft verlauster" (aus einer „Belehrung" des Kirchspiels Albers-dorf an alle Landwirte), aber billiger Arbeitskräfte eingestellt hatten, so schwer fiel ihnen in dem allmählich zusammenbrechenden Reich der Ver-zicht auf die gefangenen Feinde. Verwendung bis zuletzt Noch am 19. Oktober 1918, siebe-neinhalb Monate nach dem Frieden von Brest Litovsk und drei Wochen vor dem endgültigen Zusammenbruch der Mittelmächte Deutschland und Öster-reich-Ungarn, fordert die Königliche Oberförsterei Neumünster zwölf Ge-fangene und einen Wachmann an. Dann, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges am 11. November 1918, ruft die Inspektion die Russen in die Lager zurück. Überall brechen Streiks aus, die Gefangenen rebellieren, und auch die Wachleute haben keine Lust mehr, schon angesichts der im ganzen Reich gegen die Regierung aufstehen-

Das Gefangenenlager Wiedenborstel bei Innien. Es wurde im April 1915 von der Rendsburger Firma Jürgen Brandt Eisen-bahn-Hoch- und Tiefbau gebaut. Schom am 12. Mai bezogen 500 Kriegsgefangene dieses Lager. Sie sollten von hier aus die Chaussee von Wiedenborstel nach Sarlhusen bauen. In dem Lager waren zuletzt Tuberkulose-Kranke untergebracht. den Arbeiter und Soldaten, die nach dem russsichem Vorbild eine Rätere-publik auf deutschem Boden bilden wollen. Am ersten Weihnachtstag 1918 ant-wortet die Oberförsterei Neumünster auf eine Rundfrage der Altonaer In-spektion: „In der Oberförsterei Neu-münster befindet sich nur noch 1 Kommando von Gefangenen, nämlich 8 russische Kriegsgefangene in KI. Meinsdorf, Schutzbezirk Stocksee. Das Kommando hat bisher bezüglich Arbeitswilligkeit keinen Anlaß zu Be-schwerden gegeben." Über Mißhandlungen, Erschießun-gen auf der Flucht, blutige Revolten der Gefangenen war in den eingesehe-nen Unterlagen kein Hinweis zu fin-den. Die russischen Kriegsgefangenen wurden isoliert, aber noch nicht in dem Maße wie zwei Jahrzehnte später porgrammatisch als Untermenschen diskriminiert. DaS wilhelminische Deutschland war, wenngleich Vorläu-fer und Wurzelwerk des faschisti-schen, eher bieder-korrekt denn fana-tisch. Die Unterbringung der Gefangenen, ihre Beschäftigung, ihre Verpflegung (siehe Kasten), alles war bis ins klein-ste ministeriell oder amtlich organi-siert, aber nicht ihre Ermordung. Sogar die Schluß-Abrechnung wur-de geregelt: „Die Kosten für den Rück-transport zur Grenze erstattet der Ar-beitgeber." Bei der Recherche zum Thema wur-den Akten der Stadtarchive in Neu-münster und Kiel sowie des Landesar-chivs in Schleswig eingesehen. Die Postkarten und Fotografien der Lager Wittorferfeld und Wasbek stellte der Neumünsteraner Egon Kerschinsky, die Postkarten des Lagers Wiedenbor-stel Werner Hauschildt, „Dat ole Hus', in Aukrug-Bünzen zur Verfügung. Christian Trutschel

Ein ebenso militaristisches wie monströses Denkmal setzte die Wachmannschaft des Gefangenenlagers Wiedenborstel in den Garten des Lagers. Reste des Denk-mals wurden erst Mitte der 50er Jahre gesprengt.

Schon 1916 entbrannte ein Streitern eine dringend benötigte Begräbnisstätte für das Gefangenenlager Wiedenborstel, das genau auf der Grenze des Kreises Stein-burg zum Kreis Rendsburg lag. Die frühesten sechs Gräber russischer Kriegsge-fangener dieser Region finden sich auf dem Friedhof von Innien in der Gemeinde Mit Kaisertreue und dem in der wilhelminischen Zeit üblichen Hang zum Monumentalen waren die Erbauer dieser Gartenan- Aukrug. Sie werden wie auch der Russenfriedhof an der Chaussee nach Hennstedt lage im Gefangenenlager Wiedenborstel reichlich ausgestattet. von der Gemeinde in Ordnung gehalten. Fotos C.T.

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