Archiv:Briefe meiner Mutter 1946

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BRIEFE MEINER MUTTER 1946

31.1.46

„Liebe Hermine und liebe Adele!

Das letzte Wurstpäckchen hat uns 3 Isernhagen mächtig begeistert. Nun fühlen wir uns aber sehr verwöhnt und danken Adele, der Spenderin, sehr herzlich und der Packerin ebenfalls. Hoffentlich konnte Adele das auch entbehren! Für die Kinder freut es mich ganz besonders. Es ist doch schön, daß sie diese Zeichen ihrer Tanten erhielten, die armen Stackel, besonders in diesen Winterwochen. Nun schmecken ihnen Frühstück, und Abendbrot sehr. Richtig Neues gibt es nicht zu melden, außer der Tatsache, daß von der Stadt Salzwedel nun gestern per Einschreiben höchst offiziell in wenigen Sätzen der Bescheid kam, daß es ganz aus ist: keinen Pfennig Kriegen wir, weder ich noch die Kinder, da der Vater in der Partei war. Da bekommen Witwen und Waisen auch nichts.[1] ... Nun sind diese 2 Lütten denn ganz darauf angewiesen, was ihre Mutter für sie tun kann.

So wird unser Leben etwas anders aussehen, als ich es erhofft hatte. An eine eigene Wohnung wird nicht zu denken sein; wir müssen weiterhin mit Oma und Tante zusammen wohnen, damit diese die Miete zahlen für uns. Ich muß in die Schule zurück, Für die Kinder tut es mir leid, denn ich werde ja weder Zeit noch Kraft für sie haben. Da müssen sie eben allein groß werden.

Vorläufig bleibt erst mal alles beim alten hier, denn besser und billiger können wir in der nächsten Zeit doch nicht in der Stadt leben. Und wenn die Geldentwertung noch eintrifft, dann haben wir eben gar nichts mehr, und ich muß gleich verdienen. Na, erst mal warte ich ab, wie die Welt weitergeht. Groß aufregen hat ja doch keinen Sinn. Vielleicht kann jemand aus England noch mal helfen, aber gewiß ist es ja nicht.[2]

Jedenfalls freue ich mich nun noch mehr als vorher, daß ich die Kinder habe. Alle Freuden des Lebens sind ja doch futsch; da habe ich doch wenigstens die zwei, für die es einen Sinn hat, da zu sein, und die Freude bringen.

Heute ist nun der letzte Januartag. Schön! Im Sommer sieht doch manches anders aus, wenn ich auch dann härter ran muß, jetzt, seit Weihnachten, hatte ich es leichter. Der Februar ist Adeles Geburtstagsmonat, da schicken wir ihr besondere Grüße! ...

Wiebke, Walter und ich grüßen Euch!

Käthe“

14.2.46

„Liebe Hermine!

Gestern überraschte uns ein leckeres Päckchen mit viel Butter und der schönen Wurst. Am Vortage war gerade der letzte Bissen Wurst gegessen worden, und ich hatte meinen Kindern eine schöne Moralpredigt gehalten, daß es nun nichts mehr gäbe. So danken wir nun wieder viel-vielmals!

Dein langer Brief kam auch gleich mit. Ich will ihn nun der Reihe nach beantworten: Bei Deiner Ausführung über die Pensionen der Staats- und Kommunalbeamten wird mir ... nie Klar, ob es sich auch um Beamte der russischen Zone handelt, die in die britische geflohen sind!? Daß Du Deine Pension, die Du Dir früher in der britischen erarbeitet hast und die Dir nun einfach in der britischen Zone weiter ausgezahlt wird, weiterbekommst, sehe ich sehr wohl ein. Wenn Du mir nun schreibst, daß es sich bei Deinen anderen Fällen um Leute aus der russischen Zone handelt, so schreibe mir das doch bitte gleich! Dann will ich mich hier auch bemühen.

(Es) ... schrieb die Stadt Salzwedel mir offiziell, daß der Oberpräsident von Sachsen alle Pensionen der Pg.s abgeblasen habe, (es) auch nichts für Witwen und Waisen gäbe.[3] Kann ich denn da hier noch fragen?


Sollte es so was Phantastisches geben, daß die Briten zahlen, was der Russe nicht will ? Also, wenn Du das gehört hast, dann schreibe mir das bitte! Ich werde mich nun gleich bei dem Schuldienst melden und dabei um ein Jahr Beurlaubung bitten, weil die Kinder noch zu klein sind. Dann kann ich wenigstens auf der Liste stehen und in einem Jahr sehen, wie es dann in der Stadt ist. Notfalls ziehe ich erstmal allein hin. Das Zusammenwohnen wäre dann der Miete wegen vielleicht nicht so nötig; aber wer soll kochen usw., wenn ich um 13 - 14 h aus der Schule komme? Wir würden dann auch viel mehr Trennungen vornehmen, essen und überhaupt viel getrennter alles haben als bisher. Dann wird vieles besser, was mir jetzt sauer wird.

Aber Frau Studienrätin bin ich noch lange nicht. Hast Du vergessen, daß ich nur eine kleine 2jährige Assessorin bin und noch 8 Jahre zur Anstellung vergehen können? Das Gehalt ist entsprechend klein und nur für ein lediges Frauenzimmer gedacht mit einer möblierten Bude zu 30 Mark, und nicht für eine Wohnung und zwo Kinder. Na, das alles wird sich ja entwickeln.

Wie kommst Du darauf, daß Wiebke schon zur Schule sol’ ? Wer bei uns bis zum 1.4. (oder 1.6.2) 6 Jahre ist, kommt hin; alle anderen nicht. Wiebke ist doch erst am 31.7. 6 Jahr! Sie wird gar nicht genommen! Zumal dieses Jahr 2 Jahrgänge auf den Schulanfang warten![4] Wenn ihr Geist auch reif ist, ihr Körperchen und (ihre) Nerven sind viel zu zart. Ich würde direkt ein Attest besorgen, wenn sie jetzt hinmüßte. Laß sie sich man ihrer Freizeit erfreuen! Wie sehr sie die genießt, glaubst Du gar nicht. Ja, schade, daß die 6.000 Mark, in Salzwedel flöten gingen! Karl war so stolz auf dieses Ersparte.[5]

Meine Winterruhe ist hin, gleich sehr kräftig ging’s los. 30 Schiebkarren Mist schob ich den Abhang zu unserem Gartenland hoch, und da alles an einem Tag kommen muß, brachte der Bauer gegenüber schon 2 m Holz für den nächsten Winter, die gleich beim Schmied mit der Kreissäge zerschnitten wurden von Herrn Maaß mit 4 m mehr. Dafür hatte ich von 5 — 1/2 7

(nachmittags) das Vergnügen, 6 m Holz auf Wagen zu laden. Und mein Buckel war vom Mist schon krumm. So geht es nun wohl wieder los mit der Außenarbeit. Dienstag war ich in Neumünster, auch bei Quasebarths. Sie hausen in einer 2- Zimmerwohnung, so eine richtige „arme-Leute-Wohnung‘, wenn man altmodisch-bürgerlich sich ausdrückt! Nun haben sie nur noch eine Tochter; sie sind gleich hieb und nett und immer bereit zu helfen.[6]

Wiebke redet oft ... von Schätzendorf. Mit den Antworten ihrer Mutter betreffs des Hinfahrens nach Schätzendorf zu Karla und Eibe ist sie nie zufrieden.[7] Man kann ihr überhaupt nichts vormachen. Hoffentlich bleibt Bertas Befinden besser! Krankheit ist wirklich das Allerschlimmste, heut‘ mehr denn je. Alles andere ist dann gar nichts. Fahrt Ihr auch gerade Mist? Hier gehen die Wagen den ganzen Tag vorbei (und ich mit Eimer oder Karre hinterher! Es lohnt sich!)[8] So, nun viele Grüße an alle und vielen Dank,, besonders von den Lütten! Deine Päckchen und Adeles haben ihnen richtig geholfen.

Deine Käthe“

22.3.46

„Liebe Hermine!

Der Frühlingsanfang wurde uns gestern verschönt durch Dein ... Strumpf-Butter-Paket. Das war aber wieder eine feine Überraschung, und dafür danken wir Dir und Berta sehr, sehr herzlich. Ihr habt mit Euern Päckchen den Kindern wirklich sehr geholfen in diesem letzten Winter... Oma ist immer sehr gerührt und freut sich für die Kinder, daß sie diese Zeit nicht gespürt haben, dadurch daß ihre Mägen was Schönes extra hatten.

Über die Strümpfe habe ich mich sehr gefreut, da ich sie selber erst noch eine Weile tragen kann, und später dann die Beine noch immer für die Kinder gehen. Ich kann sie gerade so gut gebrauchen. Stell Dir vor, bis zum 12. Dez. trug ich nackte Beine, aber in Wollsocken die Füße! Und immer in Holzpantoffeln, auch durchs Dorf! Also 1.000 Dank!

Vorläufig kann ich ja mit Gegengaben noch nicht kommen; ich will aber zu Ostern Karla 2 Püppchen machen, damit Ihr seht, was für Dinger ich da mache. Dienstag hat hier wieder ein Kind Geburtstag; dafür habe ich eine große Puppe zum An- und Ausziehen gemacht. Die Dinger machen viel Arbeit, auch die kleinen. Und eine Nachbarin, ein Flüchtling, ernährt sich davon. Der Laden in Innien verkauft sie, Stück 5 Mark, Ein Heidengeld, nicht? Ich hab‘ sie ihr ... abgeguckt und mache sie nun für den Eigenbedarf. D.h. meist für Geburtstage. Überglücklich ziehen unsere Lütten dann mit dem Geschenk ab. Vom Landrat hörte ich noch nichts, das endgültige Zahlen geht natürlich langsamer.[9]

Von der Schule sehe ich auch nicht endgültig ab, aber ich habe mich noch nicht gemeldet. Ich will im Sommer lieber mal hinfahren nach Kiel und die Sache mündlich machen. Schriftlich ist mir das zu bindend. Ich will das lieber bereden. Sonst lassen sie sich auf gar nichts ein und holen mich einfach weg. Und das ist hier ganz einfach nicht zu machen. Meine Lütten brauchen mich zu diesem harten Leben hier ; für die Kinder ist die Stadt ja jetzt die Hölle! In jeder Hinsicht. Wir müssen hier bleiben, bis es dort erträglich ist. Mit meinen Kenntnissen finde ich ja immer einen Lebensunterhalt, und wenn es auch nicht die Schule ist. Ich möchte mir meine Freiheit gern noch bewahren, damit ich frei für Entscheidungen bin. Solange das Geld seinen Wert behält, habe ich ja noch zu leben für die nächste Zeit. Aus Neumünster hört man schauerliche Dinge von der Schule: Die Kinder sind so frech, die Lehrer ärgern sich tot. Das wäre gerade was für mich! Ich warte lieber noch ab, wie es wird. Wenn auch fremde Lehrer zuziehen, so gehen auch alte ab. Und für eine Schleswig- Holsteinerin findet sich schon was. Da bin ich gar nicht bange.

Wenn ich auf die Hilfe von England hoffe, so hörst Du das nicht gern, was? Kann ich verstehen. Ich hatte dort meine besten Freunde, meine schönsten Tage. Und im Augenblick, ist dort auf lange Sicht mehr zu erwarten. Stell Dir vor, man lüde mich ein für einige Wochen und ich säße hier in der Schule fest! Ich würde mich ja totärgern. Nee, lieber erst all das überblicken können!

Wir haben nie einen Soldaten zur Postübermittlung gebeten. Du wunderst Dich? Ja, wir sprachen noch nie mit einem Engländer hier, haben keine Gelegenheit dazu. Hier gibt es keinen einzigen in der Gegend! Und als kürzlich ein Herr in Neumünster so was in Gange bringen wollte, stand in der Zeitung, daß das streng verboten sei.[10] ... Auch unsere Leute drüben haben das ja nicht versucht. Ich nehme an, sie wollen es vorläufig noch gar nicht so arg bekannt machen, daß sie mit Deutschen zu tun haben. Im Volke werden wir dort nett verhaßt sein.

Grüß Deinen Mann bitte! Wie mag es ihm sein, daß er die Schule nicht wiedersieht? Wenn Ihr wenigstens ein kleines eigenes Heim mit Euren Sachen wieder hättet! Na, man braucht vor allem Geduld und abwarten, abwarten! Von einem Tag zum andern leben! Für heute an alle, besonders an Dich, viele Grüße! ...

Deine Claudia!“

3.4.46

„Liebe Hermine!

Heute kann ich Dir mal was Positives berichten. Also erstens sind die versprochenen Püppchen nun fertig. Ich schicke sie auch eingeschrieben, weil sie so viel Arbeit machen. Hoffentlich gefallen sie Karla! Sie gelingen nicht immer gleich gut; das rote Püppchen machte ich zuerst; dessen Gesicht ist zu grob geworden. Ich persönlich mag den kleinen Burschen am liebsten; aber kleine Mädchen mögen die Puppenmädels lieber für gewöhnlich. Wiebke und Walter kennen dies Puppenmachen schon und sehen höchst interessiert zu.

Zweitens ist die Gehaltsangelegenheit nun erledigt; mit einiger Mühe zwar und endlich sehr zu meiner Zufriedenheit. Ich reichte ... ein Gesuch beim Landrat ein. Zu meinem Entsetzen kam zurück, daß ich mit meinem Bürgermeister das Papier für die Volkswohlfahrtsunterstützung ausfüllen dürfe.[11] Daraufhin habe ich mich denn gestern der Mühe einer Rendsburger Reise unterzogen, was hieß, daß ich schon um 4 h aufstehen mußte, und prompt ab 1/2 2 h wach war. In Rendsburg trug ich dann meine Angelegenheit vor.[12] Sie sahen gleich ein, daß das mit der Volkswohlfahrt Blödsinn für mich sei... Nun wurden alle Papiere ausgefüllt, und am Schluß sagte man mir, da ich am 2. April da sei, kriegte ich für April gleich mit, und zwar 280 Mark, netto monatlich! Mehr als 300 Mark zahlen sie nie. Nachzahlungen werden nicht mehr gemacht, und hier bekommen nur die Witwen etwas, nicht alte Ruhegehaltsempfänger...

Ich war sehr froh und sehr zufrieden. Wenn das nur so bleibt, bin ich gesichert; dazu kann ich ja Privatstunden noch und noch geben. So stelle ich die Schule erstmal wieder in den » Hintergrund. Unter Umständen ist sie ja nicht nötig. Die läuft ja auch nicht weg. Jedenfalls bin ich sehr froh und Dir sehr dankbar, daß Du nicht locker gelassen hast und mich so energisch gestubst hast in Deinen Briefen. Ohne Dich hätte ich davon nicht erfahren.

Von Rendsburg fuhr ich nach Neumünster, 2 Stunden eingeklemmt in einem Viehwagen, raste in Neumünster bis 14 h herum und kam endlich 1/2 16 h in Homfeld an, furchtbar erledigt wegen der wenigen Brotscheiben, die man nur mitnehmen kann. Um 20 h bin ich dann gleich eingeschlafen.

Nun ist der Frühling endlich da! Unsere Lütten haben sein Kommen in der Stube verpaßt, da sie sich mit Wasserpantschen einen dollen Husten herangeholt hatten. Den ganzen Winter lang ging es gut; nun kam die Erkältung doch noch. Walter lag heute den ganzen Tag fest auf seinem Rücken. Heute Abend geht es besser. Wiebke durfte draußen spielen, zum 1. Mal seit einer Woche.

Die Außenarbeit hat mit Macht auch bei uns eingesetzt. Neben den Stunden grabe ich den Garten um und säge Holz und dergleichen im alten Stil.[13] Da bin ich abends dann fertig. Von unsern Freunden in Neumünster hat niemand mehr Kartoffeln. Ich lud 4 — 5 Partien ein, sich von uns einige Pfund zu holen und schickte vorgestern 14 Pfd. nach Hamburg an Omas Freundin. Unsere Wurzeln sind herrlich aus der Miete gekommen, und von 7 Zentnern Kartoffeln waren bloß ca. 20 (Stück) matschig, alle anderen tadellos! Unsere Saat erhielten wir in Neumünster bei unserm Kaufmann. Bin ich nicht mächtig ländlich geworden? ... Du siehst, wir packen das Leben weiterhin an. Sonntag schrieben wir 3 Briefe nach England und sind voller Erwartung. Es ist ein Ereignis, dieses Abschicken!

Viele Grüße!

Claudia“

9.4.46

„Liebe Hermine!

Dein Strumpfpäckchen kam gestern früh an. 1000 Dank! Ich konnte diese Freude gerade gut gebrauchen, denn ich hatte scheußliche Stunden hinter mir! Ich schrieb Dir doch schon von der Erkältung beider Kinder. Donnerstag und Freitag waren beide bei großer Wärme draußen ohne Jacken. Daß es Freitag nach dem Essen kalt wurde, merkte ich erst, als ich um 1/2 16 h aus der (Nachhilfe) stunde kam. Wiebke zog ich schnell was an, Walter rieb ich ein, aber schon zu spät. Sonnabend abend 18 h stellte der gerufene Arzt Lungenentzündung fest. Wir waren alle wie erschlagen.

Gerade das, was wir5 Jahre lang versuchten zu vermeiden! ... Ganz verzweifelt stürzte ich von 19 — 20 Uhr nach Innien ..., um vom Arzt dort Sympatol und Eubasin zu holen, das er zum Glück ‚vorrätig hatte und mir seine Helferin aushändigen sollte.

Walter kriegte dann um 21 und 23 h noch Eubasin.[14] Nachts habe ich mir ihn dann öfter besehen, aber er schlief ganz fest. Und morgens war er schon ganz kühl und hatte nur noch 37,5 Fieber. Wie selig waren wir! Das Fieber blieb weg, und da ich das dem Arzt telefonierte, kam er erst am Montag wieder und sagte, daß die Gefahr gebannt sei und das Eubasin die Entzündung vertrieben habe, er sei nur schwer erkältet noch. Das war ja schön, denn er mußte doch ab und zu sich übergeben bei dem Zeugs. Er ist aber der geduldigste Patient, er schluckt alles brav und macht keine Scenen dabei. Und ist so artig.

Nun aber, seit ihm wieder wohl ist, singt und tobt er im Bett und kostet viel Nerven, da sein Mund keine Sekunde still steht... Er ist viel lebhafter als Wiebke. Seine Fragen und Reden machen einen tot!

Du kannst Dir denken, wie froh wir sind. Noch liegt Walter im Bett, und wir werden nun sicher sehr ängstlich mit ihm sein. Im Dorfe ergeht es mehreren Kindern genau so. Ja, dies verräterische Frühjahrswetter! Oft zu heiß und doch so tückisch! Gestern und heut‘ ist es wieder eisig draußen. Walter verliert seine runden Formen jetzt und wird lang und dünn. Zum Sonntag gab’s vormittags noch ein Extravergnügen, mit dem ich außer dem kranken Kind zu Haus fertig werden mußte. Der Nachbar schickte um 7 h früh einen Pferdewagen für unsere 2 m Eichenkluftholz, das ein Arbeiter (von) nebenan mit der Kreissäge beim Schmied sägen wollte. Erstens mußte ich dies schwere Holz mit aufladen und zweitens ihm 2 Stunden lang bei der Säge zureichen. Das Schlimmste war, daß er sich 3 Finger ansägte, aber einfach weiter machte, von mir schnell verbunden. Ich aber zitterte bei jedem Stück, 2 Stunden lang. Furchtbar! Und so peinlich war mir das! Nun ist er damit beim Arzt und arbeitsunfähig. Ich hetzte ihn zum Arzt, allein wäre er noch nicht mal gegangen...

Im Garten ist es mir zu kalt geworden. 4 Beete habe ich erst fertig. Wir haben Land für 14 Beete. Aber dazu bekommen wir Gemüse von der Nachbarschaft. Wir sind ja alle große Esser. 3 Zentner Wurzeln hatten wir allein in der Miete. Nun kommen unsere Freunde aus der Stadt nach Kartoffeln. Einen Zentner können wir abgeben an die verschiedenen Besucher. Jeder kriegt 10 — 20 Pfund; dann ist es aus. Dank, für Deinen Brief! Wir haben uns auch schon gesagt, daß wir ... Wiebke allein vorbereiten wollen. Im Sommer spielt sie wohl draußen, aber nächsten Winter ist sie bestimmt nicht mehr zu halten. *

Auch Walter schrieb heute 3 Stunden große Buchstaben ..., auch viele Zahlen. Er rechnet am liebsten in Millionen. Bei uns wird zu allen Tageszeiten gerechnet. Scheußlich! Ich haßte Rechnen! Meine Kinder aber sind nicht zu halten.[15]

Wiebke zählt natürlich schon (auf) englisch. Dabei fragt das kleine Ungetüm natürlich sofort: Warum heißt es three (3) und dann aber thirteen und thirty und nicht treeteen? So ist Wiebke Isernhagen!

Natürlich warten wir nun in den nächsten Wochen auf einen Brief aus England... Dank, für die Strümpfe! Nun mußt Du aber nicht mehr Strümpfe schicken! Du brauchst das, was Ihr habt, nun aber selbst. Und mir hast Du samt den Kindern damit schon aus der Not geholfen für jetzt und den nächsten Winter. Und das ist ja schon viel. Bisher strickte ich in meinem Leben schon allerlei Pullover, jetzt lernte ich in den letzten 3 Wochen, seit Deine Strümpfe kamen, auch Strümpfe stricken. Ich fand, das wurde nun auch Zeit, nicht? Haben Karla die Püppchen gefallen? Ich versah das Päckchen mit reichlich Band, weil ich Fand, daß ich Dir längst was schuldig war.

Dein Kuchen war herrlich; dieses Gewürz fand ich schön. Auch die Kinder futterten ihn gern. Du hast recht, man hat lange daran, da er sich hält. Wir kommen mit unserem Sirup ... sehr weit; das Brot ist... nun zu knapp. Nie hätte ich gedacht, daß ich mich über eine Scheibe trocken Brot noch mal freuen würde. Und der wahre Jammer soll erst nächsten Winter kommen, sagen die Zeitungen. Gestern schickte man mir auch die Bestätigung der Pension, 300 Mark, 200 Mark, Lohnsteuer ab, also die Höchstzahl. Mehr kann ich ja nicht erwarten, nicht?

Herzliche Grüße an Euch alle!

Eure Claudia“

9.5.46

„Liebe Hermine!

Ich hoffe, daß es Dir diese Frühjahrswochen über gut ergangen ist! Jedenfalls werden sie Dir auch viel Arbeit gebracht haben.

Bei uns ist auch immer zu tun. Der Garten macht mir viel Spaß; wenn vom Gucken die Saat herauskäme, so müßte sie nur so herausschießen. Dazu ist ihr aber der Wind zu kalt. Morgen werde ich Gurkensamen und Kürbiskerne einstecken, und bald muß ich wieder Tomatenpflanzen draußen pflegen. Jedenfalls lerne ich allerlei dabei...

Seit einer Woche jedoch sind wir an einer großen Holzaktion. Im Walde lagen die langen Spitzen großer Tannen herum, die frisch gefällt sind. Sie sind 2 — 3 m lang und wirken wie ein großer Weihnachtsbaum. Nun sind meine Mutter und ich drangegangen und haben im Walde die langen Zweige abgehackt, so daß wir nur den dicken Stamm haben. Davon haben wir in 2 1/2 Tagen 400 zurechtgemacht.

Am 1. Mai sammelte ich dazu 34 Körbe Kienäpfel auf einen Haufen; das Ganze hat uns dann ein junger Mann mit seinem Trecker nach Hause gefahren; den großen Gummiwagen lud ich selbst auf. Diese Tour haben meine Mutter und ich nun diese Woche wieder gemacht; d.h. 3 Stapel Stämme hegen im Wald. Der junge Mann ist verreist und geht nächste Woche weg. Nun will ich Sonnabend versuchen, ob er sie noch mal holen kann. Hoffentlich! An solchen Waldtagen gehe ich abends 1/2 9 Uhr tot ins Bett; so hieß ich auch alles Briefeschreiben sein. Aber vorige Woche hat uns nun die Tatsache, daß 4 englische Briefe kamen, viel Kraft bei der Schufterei gegeben. Nun ist es also so weit! Gleich 4 in einer Woche!

Mutters ältester Bruder hat sich die Minute, wo ihr Brief ankam, gleich hingesetzt und geantwortet, und auch die anderen haben sofort geantwortet. Ihre Briefe sind alle besonders nett und enthalten natürlich viele Neuigkeiten. 2 einzige Söhne zweier Onkel sind tot, und ein dritter ist schon 4 Jahre in einer Nervenanstalt, nach 3 Jahren Krieg dorthin gekommen. So gibt es auch dort so allerlei Schweres. Sie sind alle den Krieg über aufs Land gezogen. Die 2 reichen Erbtanten sind auch gestorben. Oma und Tante erbten ein stattliches Vermögen, das der Staat natürlich beschlagnahmte. Davon kriegen wir wohl nichts zu sehen. Schade![16]

Nun ist es ja nett, daß wir hin- und herschreiben können, vielleicht können sie später ja mal was für uns tun ... Die Kinder spielen eifrig draußen. Sie sehen z.Z. recht wohl aus. Sonntag waren wir im Nachbardorf eingeladen zum Kaffee und Abendbrot; war das herrlich, was aufgetischt wurde! Wir haben allerlei Kartoffeln an Freunde abgegeben; nun ist aber erstmal Schluß. 10 Reihen Frühkartoffeln haben wir... im Nachbargarten.

Die Bickbeeren blühen enorm. In 5 — 6 Wochen geht's ans Pflücken. Dazu würden wir gern noch mal wissen, wie Ihr die Früchte einmacht. Wir haben natürlich nur Flaschen, keinen solchen dicken Korbballon. Schreibst Du mir das bitte mal bis zur Bickbeerenernte? Hoffentlich gibt es viele! Ich werde den Sommer über im Walde leben, nehme ich an, immer auf der Suche nach Pilzen und Beeren. Bis dahin wollen wir unsere Stämme zersägt haben. Wiebke und Walter rechnen den ganzen Tag ... Wiebke bekam ein Legespiel aus einzelnen Buchstaben. Wenn ich nun die Buchstaben z.B. zu „Tante, Mama, Puppe“ und allem Möglichen zusammensuche, durcheinander mische und ihr gebe, so schreibt sie die Worte alle richtig hin, legt sie richtig zusammen.

Wie geht es Rudolf? Hört Ihr mal was von Eurer Wohnung in Spandau? Die liegt doch im britischen Teil, nicht?

So, nun muß ich schließen, Hermine. Grüße alle von mir und den Kindern!

Deine Claudia

Nun blieb der Brief so lange liegen, daß ich gleich zum 22. Mai Dir herzliche Grüße schicken will. Hoffentlich gestaltet sich Eure Zukunft in Deinem neuen Jahr greifbarer und Dir noch Gesundheit und Kraft für Deine viele Arbeit.

Wir haben ... wieder2 Tage Wald hinter uns, ich bin müde und habe es nun satt! Der junge Mann fährt noch mal, und dann muß alles im Hof zersägt werden.

Von allen viele Grüße zum Geburtstag!

Deine Claudia, Wiebke und Walter“

11.6.46

„Liebe Hermine!

Dein Strumpfpäckchen war eine große Überraschung. Vielen herzlichen Dank! Natürlich werde ich die hübsche Socke nicht aufmachen und die zweite ebenso stricken. Sie sind doch sehr schön so. Und Wiebke freut sich schon sehr auf diese Strümpfe. Du kannst Dir überhaupt sagen, daß Du die Strumpfverhältnisse der Kinder für den kommenden Winter gesichert hast. Ohne Deine Hilfe säßen wir dicke davor. Und so danken wir Dir alle für Deine Hilfe an den Kindern.

Deinen langen Brief erhielt ich auch. Ich habe mir gerade gedacht, daß Du so tief in Arbeit steckst, daß es schier zu viel davon ist. Ich kann mir das schon ausmalen, da ich die Verhältnisse kenne. Ich fand ja, daß im Sommer sehr spät bei Vossens zu Abend gegessen wurde und die armen Mädel um 1/2 22 h noch beim Abwaschen waren ...

So was gibt es hier auf den Höfen ja nicht; da machen die Leute nicht mit. So weiß ich, daß Du gar keine Abende hast und überhaupt viel zu müde sein mußt; ich bin abends ja auch so erschossen, daß ich kaum ins Bett kann. Ich schleppe mich dann da nur so rein. Zu unserer Holzaktion brauchten wir genau 4 Wochen. Nun braucht der Garten nicht mehr so viel Arbeit, und damit wäre die schlimmste Schufterei geschafft. Nun haben wir Zeit für das Ernten in der Natur. Vor 3 Tagen fand ich die ersten Pilze, 8 Stück, Und morgen gehen wir zum 1. Malin die Bickbeeren, auch die werden.

Sonst gibt es nichts Neues. Ich bekomme weiterhin furchtbar nette Briefe aus England... Meine eine Cousine, mit einem Landpastor verheiratet, hat ein Riesenhaus mit überriesengroßem Garten: 60 Obstbäume und sonst alles an Obst, Sträuchern und Gemüse in Überfülle. Sie ist die erste, die uns einlud, so bald es geht, und um eine Liste bat für das erste Paket. Es ist zu nett, alle Nachrichten der großen Familie zu erfahren. Sie sind alle entzückt von der Nachricht der beiden Isernhagenkinder und freuen sich über ihr Dasein.[17]

Mit der englischen Erbschaft verknüpfst Du aber eine ganz falsche Vorstellung. Es handelt sich um ein Millionenvermögen. Dazu kommt sofort ein Staatsbeamter angesaust, der auf das Mitnehmen der enormen Erbschaftssteuer bedacht ist und alles leitet. Ihm entgeht kein Erbe, und das Geld der 2 Deutschen sackte er natürlich dabei laut Kriegsgesetz auch sofort ein. Dagegen ist nichts zu machen. Ob unser Geld nun für immer restlos oder nur teilweise weg ist, muß abgewartet werden ...

Im übrigen bin ich auch davon fest überzeugt, daß unser aller Geld abgewertet wird. Wenn ... von der Pension ein Teil bleibt, kann ich schon zufrieden sein. Hoffentlich kommt Eure Sache auch in Ordnung! Es macht sich nun bemerkbar, daß Ihr den letzten, großen Leidensweg der Stadt Berlin nicht mitgegangen seid. So ist das Zurück, zu Wohnung und Möbeln wohl auch mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Hoffentlich läßt man den Menschen, die vieles verloren haben, etwas mehr. Woher sollen wir uns sonst etwas anschaffen? Aber das spielt eben keine Rolle mehr.

Wiebke hätte so gern einen kleinen Bilderrahmen mit Glas für das Bild einer ... Fortgezogenen Freundin, aber — ein unerfüllbarer Wunsch! Die Kinder haben es auch schwer. Ihre Erwachsenen haben kaputte Nerven, und darunter müssen die Kinder nun leiden, und (sie haben) so viele Wünsche. Alle bescheiden, aber nicht zu erfüllen.

.....

Wiebke hat Zahnlücken; die 2 unteren (Zähne) gingen schon vor 1/2 Jahr aus und sind längst neu da. Nun fehlen 3 oben. Sie ist ein lebhaftes Kind und bestimmt 'ne doll’ Schlaue. Walter hat jetzt 2.2. Freude an unanständigen Wörtern, die er draußen hört. Ich kann sie ihm gar nicht austreiben. Er ist überhaupt ein frecher Kerl. Ja, wirklich! Aus Opposition gegen die 4 Frauen in der Stube ist er wohl extra frech, denke ich. Er hätte seinen Vater nötig, heute schon. Dabei ist er so ein hübscher Kerl mit einem regelmäßigen Gesicht. So, schnell’ Schluß! Mehr Papier darf ich wohl nicht beschreiben.

Viele Grüße von uns allen an Euch alle.“

(Der Brief endet ohne Unterschrift.)

20.7.46

„Liebe Hermine!

Für das gute Ankommen Deiner 2 Dosen sorgte zum Glück die Post, für das Packen usw. Du, noch mehr aber für das Schenken überhaupt. Dafür danken wir Dir alle sehr, sehr herzlich. Wiebke soll eine Dose auf ihrem Gabentisch von Dir kriegen, und damit die Sache auch ganz neu und aufregend ist, soll vorher noch Reine Dose gegessen werden, sondern am Geburtstag zum 1. Mal. Unsere Zwei sind große Fleischesser; da sollen sie den Löwenanteil Kriegen und sich ordentlich satt essen. Uns allen aber wird durch Deine Gabe sehr geholfen, denn da will Oma mal eine Woche nicht zum Schlachter und so die „Gramms“ für die nächste Woche sparen. Bei 3 Dosen kann sie das 3x exercieren, dafür gibt's größere Stücke Fleisch mit „mehr“ Fett dran! Das Fett wird immer ausgebraten. Kurz und gut, vielen, vielen Dank} Die Kinder werden sich das aber merken, daß Du so oft an sie denkst; dafür sind’s viel zu schlau, kleine Biester! Die behalten so was ganz genau!

Beide haben die warmen Tage sehr genossen, endlich mal im Luftkostüm und nur barfuß, Beide sind vergnügt und frech. Wiebke darf ja ... keine Kaffeeschlacht halten, ihr einer Kuchen wird ja mit Leichtigkeit en famille aufgefuttert, aber sie darf das halbe Dorf zum Spielen einladen, um 16 h. D. h. auf deutsch, daß ich den Nachmittag mit ihnen spiele: erstens Kaspertheater und

zweitens Turnspiele und so was. Kinder von 5 — 9 Jahren mögen anscheinend gern, wenn ein Erwachsener mit ihnen spielt und die Leitung übernimmt. Sie zanken sich dann nicht und finden es schön. Und am 31. will ich mich denn mal aufraffen. Da kommt dann das halbe Dorf, großspurig von Wiebke eingeladen. Sie mag sich gern aufspielen.[18]

Uns ist es gut gegangen so weit ... Oma (hat) ... 2 Jungen genommen, die Englisch nacharbeiten müssen und von einer Bäuerin betreut werden, deren Mann ein Waldgut hat mit mehr als 600 Hektar Wald. Sie sagte gleich, daß sie mit Holz und Kartoffeln helfen könnte.

Wir haben nur 9 Flaschen Bickbeeren ... Es sind zu viele Menschen auf einen Dutt, die pflücken. 3 x waren wir in den Himbeeren und pflückten für den laufenden Marmeladebedarf. Einen anderen Brotaufschnitt haben wir ja nie, aber dieser schmeckt uns gut. Unsere Kfseration kriegen die Lütten ja ganz ... Dora Kpeppen schreibt auch vom Hungern.[19] 2 x schickte ich ihr Kartoffeln und will gerade wieder ein Paket losschicken .....

Dora Koeppen hat 2 Klassen zum Abitur gehabt, die großen Männer, die aus dem Krieg kamen. Sie scheinen zum Teil sehr unanständig und frech gewesen zu sein. Sie hat ewigen Ärger gehabt. In 3 Oberklassen hat sie dazu Deutsch und Geschichte. Was das heißen will, kann kaum jemand ermessen, allein die Korrekturen und Vorbereitungen! Wir haben auch ab und zu Besuch, die Städter halten uns schon für Großgrundbesitzer, anscheinend. Dabei hat Homfeld über 600 Einwohner, sonst 230. Dieses Flüchtlingsgemüse! Kein Gebiet soll so vollstecken wie Schleswig-Holstein. Die Engländer! Was die sich bloß dabei denken, hier alles hereinzustopfen! Wir fressen uns ja gegenseitig auf! Niemand gönnt dem anderen etwas!

Ich habe nun einen langen, netten Brief von einem höheren englischen Offizier bekommen, den meine (englische) Freundin tatsächlich auf die Beine gestellt hat. Mit dem soll ich zur Militärbehörde. Mal sehen, was sie helfen kann und will.

Ehrlich gesagt, habe ich ja Sehnsucht nach Neumünster; ich möchte ein bißchen mehr wirken als hier nur sitzen. Ich bin reif für mehr Geistesarbeit und für mehr ..., als hier herumzubuddeln. Vielleicht hat man ja etwas für mich. Am liebsten ginge ich ab nächstem Frühjahr allein nach Neumünster, für 4 Tage die Woche etwa und 3 hier. Ich will nun mit dem Commander reden. Mal sehen, was der sagt. Ich tue es natürlich nur, wenn ich meine Vorteile habe, wie eine kleine Wohnung in Neumünster. Am liebsten würde ich den kommenden Familien Deutsch beibringen in einigen Privatstunden an 4 Tagen in der Woche.[20]

Ich kenne ja nun die Engländer so gut; eigentlich müßten ja solche Leute dazu beitragen, das beiderseitige Verständnis zu schüren. Es geht nicht an, daß wir Deutsche nun nur wieder Haß denken und predigen; auch wenn wir jetzt geknechtet werden und die andern, leider, leider, so vieles verkehrt auffassen, so daß nichts Gutes daraus kommen kann. Ich bin ... der Meinung, daß nur der Wille, sich zu verstehen und kennen zu lernen, helfen kann. Nie wieder Haß und Krieg! Ich bin ja nun mal in 2 Ländern groß geworden und ' möchte Verständnis und Frieden mehr als Rache. Glaub nur nicht, daß ich nicht die Fehler von drüben kenne und die Schwächen! Und bin betrübt darüber, wenn sie hier angewandt werden.

Aber ich kenne auch die Größe und Stärke, und besonders das ... Leben von Mensch zu Mensch. Ich habe Dir schon öfter davon vorgeschwärmt. Aber es war auch immer zu schön, diese Friedensluft drüben, dieses großzügige, freie Denken; diese freie Luft! Wie reizend dieser Offizier schreibt, der in Oldenburg einen dicken Posten hatte. Wie anerkennend und auf Verstehen bedacht. Im übrigen wird der Mensch wohl aus dem Dreck, nicht "rauskommen und sich in Atome zertrümmern.

Viel Hoffnung habe ich nicht; wir sind ja alle auch zu eng erzogen. Zu wenige hatten es so gut wie ich und so ein weitblickendes, freies Leben in der Jugend mit so viel Reisen und fremdländischen Freunden.

Wenn ich so in der Menge beim Fischanstehen um mich herum reden höre, so eng und stur und dickköpfig, völlig eingeengt, kann ich verzweifeln. So wird das ja nie was! Na, nun lieber Schluß. Vielleicht erleben wir ja, was draus wird. Grüße mir die ganze große Hausgemeinschaft bei Euch! Hier lassen auch alle grüßen. Hat Rudolf nicht Sehnsucht nach Berlin? Ja, Sehnsüchte haben wir alle! Es drückt einem oft schier das Herz ab, nicht?

Und vielen Dank und viele Grüße!

Deine Claudia

Schufte Dich nicht kaputt!“

31.7.46

„Liebe Hermine!

Es ist 10 h morgens ..., aber schon 2 Freundinnen (von Wiebke) in der Stube wegen des Regenwetters und mit großem Jubel eine große Spielerei im Gange. Na, dieses soll Dir bloß eine Erklärung sein, falls mein Brief etwas konfus wird.

Zunächst natürlich vielen herzlichen Dank. Deine Gaben haben ja den Vogel abgeschossen. Der Kuchen kam vor2 Tagen und sieht von außen erst mal herrlich aus und wird von innen Ja noch schöner schmecken. Wir machten Wiebke einen Hefepuffer mit Rosinen ... Das ist aber auch alles.

Nun soll der heute en famille gefuttert werden. Von Deinem Kuchen Kriegen beide dazu etwas, das Übrige bleibt für die beiden für die Kaffeemahlzeit der nächsten Tage. Da haben sie denn schön was davon. Und zur Feier des Tages werden die Großen heute ein Kosthäppchen probieren. Wiebke war jedenfalls sehr stolz, als sie nach dem Öffnen Deines Paketes vorhin ihren Tisch mit 2 Kuchen zieren durfte.

Die Wolle ist hochwillkommen. Ich habe nun auch das Strümpfestricken gelernt und tue es mit Begeisterung. Deine kleinen Schaufeln kamen wie gerufen. Meine Geschenke bestanden nämlich aus lauter kleinen Tellerchen, Schälchen und dergleichen, die man ja jetzt für teures Geld kaufen kann und die Wiebke gut „gebrauchen“ kann, da die Hauptspielerei draußen aus „Kochen“ besteht, wobei unglaublich viel Dreckzeugs ... gefuttert wird. Wiebke war sehr „zufrieden“ und entzückt über ihren Gabentisch...

Denke Dir, Frl. Wilde schickte ein entzückendes Domino, helle grüne Steine mit großen Punkten![21] Tante Else nähte eine neue Schürze. Und Walter war selig, daß auch 3 kleine Teile, außer Deiner Schaufel, auf seinem Platz lagen. Es hat sich bei uns eingebürgert, daß das zweite Kind auch einen kleinen Gabenplatz hat. Bei Zweien läßt sich das ja machen.

Ein Kinderfutterfest gibt es ja nun nicht, aber heute ist in Innien Kasperletheater, da werde ich statt Spielen mit einer kleinen Schar hinziehen. So, das war der Geburtstag. Wiebke ist ein großes Mädchen, aber sehr dünn. An ihren Schulterblättern kann man allerlei aufhängen.

So, nun zu Dir! Du hast ja auch allerlei vor. Die Operation ist ja wenig erfreulich ... Ob Du in Harburg ein paar Tage liegen mußt? Und wann? Dann würden wir unsere Reise ... vielleicht danach einrichten können und Dich im Krankenhaus wenigstens besuchen können. Ich würde Dich gern sehen ... Dann schreib mir man kurz!

Du würdest Wiebke sicher auch gern sehen, aber beide Kinder sind mir zuviel. Das ist für alle Teile mit zu viel Geräusch verbunden. Ein Kind ist ein „Engel“, aber beide oftmals 2 Kampfhähne. Und bei der Reise habe ich in der einen Hand Gepäck, (Kartoffeln usw.) und dann langt es, wenn ich bloß auf ein Kind zu achten habe. Denn das ganze Unternehmen soll für mich ja auch so was wie ein Vergnügen sein, nicht? Das Experiment läßt sich ja schließlich mal wiederholen mit Wiebke ..... Dienstag will ich nach Neumünster zum Schuster und versuchen, zum englischen Kommandeur vorzudringen. Vielleicht gelingt mir das ja. Mal sehen, was dabei herauskommt. Wahrscheinlich nichts.

Na, im Grunde ist es ja auch das Beste, man bleibt im kommenden Winter an seinem Platz. Er wird bös genug. Ich habe es man bloß satt hier ; aber wer hat sein Dasein heute nicht satt?

Du hast recht, Karls Geschick, sollte sich wohl so erfüllen. Und deswegen darf man auch nicht mehr dagegen revoltieren, innerlich. Was hätte man aus ihm gemacht? Sein Leben wäre doch zerbrochen worden, und das seiner Familie wahrscheinlich mit.[22]

Herzliche Grüße mit vielem Dank von Wiebke!

Deine Claudia“

1.9.46

Homfeld über Hohenwestedt

„Liebe Hermine!

Nun sind wir schon wieder 1 1/2 Wochen zu Hause im alten Dreh; aber die Reise hat mir doch wieder sehr gut getan. Ich habe Harburg wirklich sehr genossen; es war schön, mal hier heraus zu sein. Und auch, von Euch allen doch wenigstens etwas zu sehen und zu hören, wenn sich auch in so kurze Zeit nicht viel hineindrängen läßt.

Walter ist auch wieder vernünftiger geworden; für ihn war das Schönste, seine Mutter mal restlos und ganz für sich allein zu haben. Als ich ihm kurz vor Innien erklärte: „Nun muß Wiebke aber wieder die Hälfte ihrer Mutter abhaben“, erklärte er laut und prompt: „Dann will ich aber das Oberteil haben!“ Das war schon direkt peinlich!

Hier waren sie ganz gut ohne mich fertig geworden, wenn auch meine Mutter behauptete, wieder ein paar Pfund verloren zu haben. Das kann ich denn auch nicht ändern. Es gab natürlich allerlei zu tun, ganz besonders dadurch, daß die Pilze nun doch erschienen sind. Nun rennen wir in die Wälder und suchen. Wir merken, daß sie uns satter machen; ohne sie werden wir es auch nicht mehr. Aber wenn man sie erst im Haus hat, müssen sie geputzt und gewaschen werden, und so sitzen wird meist jeden Abend bis 22 h beschäftigt, alles für den Magen. Es hat aber doch keinen Sinn. Mit diesen Rationen müssen selbst wir, die wir Kartoffeln und Gemüse haben, es bös am Körper zu spüren bekommen. Vor einer Woche war ich ... beim englischen Obersten von Neumünster. Ich kam gleich durch und hatte die liebenswürdigste Audienz von der Welt. Der Herr war sehr angetan von meinem Plan, die Kinder zu unterrichten ... Wenn ich gewollt hätte, hätte er mir auch eine Wohnung gegeben; aber er schlug von sich aus sofort vor, was ich mir gewünscht hatte, nämlich ganz in einer (englischen) Familie zu wohnen.

Ich habe nun vor, 3 Tage in der Woche in Neumünster zu sein. Da die Familien noch nicht da sind und er auch gar nicht wußte, wie viele und wann sie kämen, haben wir natürlich gar nichts festgemacht. Er will mich benachrichtigen, wenn es so weit ist. Er war ganz besonders nett und fragte ganz bescheiden, ob ich auch die Soldatenkinder unterrichten würde oder nur die Offizierskinder. Der „Doktor“ machte ihn hierin wohl zaghaft.

Nun muß ich abwarten, ob die Sache etwas wird. Unter Umständen kann sie ja sogar sehr nett werden und ich viel davon haben. Wenn alles klappt und gutgeht, kann ich dann später meine Wünsche anbringen. Meine Mutter ist schwer entsetzt über mich; ihr paßt das alles nicht!

Inzwischen redet jedermann vom Krieg und daß gar keine englischen Familien kämen.[23] Das muß ich eben abwarten ... Was die große Welt machen wird, weiß man ja wirklich nicht. Auf alle Fälle ist es besser, das Homfelder Heim nicht abzubrechen in so ungewissen Zeiten Planst Du noch Dein Berliner Unternehmen oder hast Du es aufgegeben? Wie sehr wünschte ich Dir und Rudolf wieder ein eigenes Zuhause. Vielleicht in Harburg. Aber für die nächste Zeit ist ja alles Planen hoffnungslos.

Nun wünsche ich Euch einen schönen Herbst. Und vielen Dank, noch für all das Obst, den Kuchen und die Eßwaren, die Du und Berta nach Harburg schickten und die uns so schön schmeckten, so daß Walter noch davon schwärmt!

Wir alle, Groß und Klein, grüßen Euer ganzes Haus, besonders aber Dich!

Deine Claudia“

28.9.46

„Liebe Hermine!

Ich bin gerade am Schreiben und will Dir auch schnell einen Gruß schicken. Emma wird Dir von Wiebkes Besuch erzählt haben. Wiebke heulte beinahe, als sie fort sollte; das sagt ja alles. Sie war zu gern bei Tante Emma, ... war eine vergnügte kleine Seele, die einem nicht so auf die Nerven fiel wie mein Sohn. So war auch für mich der Aufenthalt ein voller Genuß; die Reisen zu Emma haben mich richtig aufgerappelt. Sie hat uns doll verwöhnt; ich bin zu gern da.

Aus Neumünster vom Obersten höre ich nichts; die englischen Familien sollen nur sehr spärlich und langsam kommen; er braucht mich wohl noch nicht; vielleicht wird ja überhaupt nichts draus. Ich hätte sonst Lust dazu gehabt; bin überhaupt außerhalb dieser Stube wie geheilt. Siegfried hat mich zum 3. November übers Wochenende eingeladen. Das ist doch ein hübscher Gedanke, und ich freue mich darauf.[24]

Gestern brachte mir meine Mutter meinen neuen Mantel aus Karls Offiziersmantel mit vom Schneider. Es ist ein Prachtstück geworden; ich bin so glücklich darüber. Seit Monaten will ich Dir 10 Mark, für all’ das „Einschreibenporto“ schicken, wollte es Dir in Harburg geben, und alles vergaß ich. Nun denke ich heute dran in der festen Überzeugung, daß Du es nicht etwa zurückweist. AU das viele Porto zu der Arbeit dazu kann ich doch nicht auf meinem Gewissen haben, wo Du nun auch so in der Patsche sitzt. Nicht wahr, das verstehst Du doch?

Eine Reise nach Brasilien planen meine Kinder auch schon .„Wo gibt's besseres Essen, Mama, in Brasilien oder England?“ Danach will Walter sich richten.[25]

Morgen gibt es Deine 3. und letzte Kaninchendose aus Anlaß zu „Mamas“ 39. Geburtstag. Das soll unser Festessen sein! Nochmals 1.000 Dank dafür! Ihr seid sicher beim Kartoffelbuddeln wie hier alle. Dank, Omas Stunden brauchen wir nicht „nachsammeln“, sondern Kriegen so etwas dazu.[26]

Meine englischen Cousinen schreiben, daß sie beide ein Paket losgeschickt haben mit getragenen Sachen, 2 Paar Kinderschuhen und Pullovern zum Aufrebbeln und Büchern und dergleichen. Im Oktober schicken sie wieder eins mit Kleidungsstücken. Hoffentlich werden sie nicht geklaut!

Emma schenkte mir so viel Birnen, daß wir alle eine Woche geschwelgt haben. Hier würden wir nicht eine kriegen. So habe ich das Obst von Emma voller Glück, genossen. Ich glaub‘, ich sause bald mal’ wieder zu ihr... Hoffentlich ist ihr das nicht doch lästig! Nun grüßen wir 5 das ganze Haus, Dich besonders!

Deine Claudia“

Fussnoten

  1. Zu den Maßnahmen der Entnazifizierung gehörte u.a. vorläufig die gänzliche Streichung bzw. Kürzung der Versorgungsansprüche von durch eine nationalsozialistische Vergangenheit belasteten Beamten, auch für deren Hinterbliebene. Mein Vater, so meine ich mich zu erinnern, war Mitglied der SA, galt als „Alter Kämpfer“, trat 1933 in die NSDAP ein und war seit Dezember 1934 in Salzwedel einer der jüngsten Bürgermeister des Dritten Reiches.
  2. Die Hoffnung auf Hilfe durch unsere englischen Verwandten war ein Dauerthema, auch bei Gesprächen mit uns Kindern.
  3. Pg = Parteigenosse. So nannte man ein Mitglied der NSDAP, der mein Vater ja angehört hatte.
  4. Im Jahr 1945 fiel die Schule zumeist aus. Die für Ostern 1945 vorgesehene Einschulung der Erstkläßler in die Homfelder Dorfschule wurde offensichtlich erst ein Jahr später vorgenommen.
  5. Die Ersparnisse meines ns-belasteten Vaters beschlagnahmte die russische Besatzungsmacht.
  6. Der Sohn der befreundeten Neumünsteraner Familie Quasebarth war während des Krieges tödlich verunglückt.
  7. Karla ist die Tochter von Ernst und Berta Voss, Eibe der Sohn von Friedrich Wilhelm und Grete Rey.
  8. Meine Mutter fegte den zufällig herabfallenden Mist, aber auch die auf der Straße liegenden Pferdeäpfel mit Handfeger und Schaufel zusammen und tat dies dann in einen Eimer, als Dünger für unseren Garten.
  9. Meine Mutter scheint sich wegen der Pension meines gefallenen Vaters an den Landrat gewendet zu haben und erwartet eine Pensionszahlung für sich bzw. uns Kinder.
  10. Es bestanden in der ersten Nachkriegszeit offensichtlich keinerlei Möglichkeiten, regulär Post aus dem ehemaligen Feindstaat Deutschland nach Großbritannien zu übermitteln.
  11. Man wollte meiner Mutter augenscheinlich keine Pension geben, sondern sie und uns Kinder der Wohlfahrtsunterstützung zuweisen.
  12. Homfeld gehörte und gehört verwaltungsmäßig zum Landkreis Rendsburg.
  13. Mit „Stunden“ sind die Privatstunden gemeint, die meine Mutter gab, vor allem in Englisch, da eine rege Nachfrage nach Lehrkräften herrschte, die die Sprache der englischen Besatzungsmacht unterrichten konnten.
  14. „Eubasin, Handelsname für Sulfapyridin, das erste Sulfonamid, das sich als geeignet zur Behandlung der Lungenentzündung erwies.“ Aus: dtv-Lexikon, München 1969, Bd. 5, S. 236
  15. Meine Schwester, im Juli 1940 geboren, wurde Ostern 1946 noch nicht eingeschult (s. Brief vom 14.2.46). Als äußerst interessiertes Mädchen fieberte sie ihrem Schuleintritt 1947 entgegen und wurde zur Befriedigung ihrer Wißbegier von unserer Mutter und Großmutter auf die Schule vorbereitet. Bei Schuleintritt konnte sie bereits lesen, schreiben und rechnen und wurde daraufhin nach einigen Wochen von der 1. in die 2. Klasse versetzt.
  16. Das Erbe wurde als „Feindvermögen“ beschlagnahmt. Im Zuge des Lastenausgleiches für durch den Krieg und seine Folgen erlittene Verluste erhielt meine Mutter als Erbin ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter und Tante Else im Jahr 1970 eine Entschädigung, ausgezahlt von der Bundesrepublik. Sie betrug fast 50.000,-- DM, ca. ein Zehntel der ursprünglichen Erbmasse.
  17. Da die Heirat meiner Mutter und die Geburt von uns Kindern in die Zeit des Krieges fiel, wußten unsere englischen Verwandten davon noch nichts, da während des Krieges keine Postverbindung zwischen dem Deutschen Reich und England als verfeindeten Mächten bestand.
  18. Am 31.7. hat meine Schwester Geburtstag, daher die Einladung.
  19. Dora Koeppen war eine Freundin, Kommilitonin und Kollegin meiner Mutter; ich meine, am Gymnasium in Eutin.
  20. Mit den „kommenden Familien“ sind die Familienangehörigen den britischen Besatzungsoffiziere gemeint, die bei einer längeren Stationierung ihre Frauen und Kinder nach Deutschland holten.
  21. Im Hause der Schwestern Wilde, beides unverheiratete Damen, daher im Brief die Bezeichnung „Fräulein“, hatte mein Vater während seiner Amtszeit als Bürgermeister von Salzwedel eine Wohnung gemietet.
  22. Mein Vater wäre als nationalsozialistischer Amtsträger und Mitglied von SA und NSDAP wohl erst einmal hinter Gittern gelandet und hätte danach auf Jahre hinaus seinen Beruf als Jurist bzw. Verwaltungsfachmann nicht ausüben dürfen.
  23. Der beginnende „Kalte Krieg“ ließ eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den drei Westmächten und der UdSSR befürchten.
  24. Siegfried Küster, bester Freund meines Vaters, wählte als Zeitpunkt der Einladung dessen Geburtstag.
  25. Meine Mutter hoffte auf Hilfe aus England, aber auch von den beiden nach Brasilien ausgewanderten Brüdern meines Vaters, Otto und Gustav.
  26. Meine Großmutter erteilte Privatstunden, die ihr — außer mit Bezahlung — auch in Naturalien vergütet wurden.