Archiv:Briefe meiner Mutter 1948

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BRIEFE MEINER MUTTER 1948

Neujahrstag 1948 (4.1.48 beendet)

„Liebe Hermine,

die Feiertage sind nun mit heute vorüber. Wir haben sie gut verlebt, d.h. die Kinder waren Froh und beschäftigten sich mit manchen neuen Dingen. Wir Großen waren auch zufrieden und genossen die hetzelosen Tage und trösteten uns mit den Kuchen ... Da wir ja eigentlich nie Kuchen haben, war das sehr schön für uns. Es war aber auch alles...

Dieses Jahr blieb alles Fleischige aus, so daß wir nur unsere gewöhnliche Ration hatten und es also gar nicht festlich war in dieser Hinsicht. Aber dafür gab es auch einen Trost, der in dem Naschteller bestand, den ich dank Ottos Hilfe machen konnte und der den Lütten viel Spaß machte. Wiebke hat nun Ferien und genießt sie wirklich in vollen Zügen, seitdem nun auch der Schnee hinzugekommen ist. Gestern habe ich sie gefragt, ob wohl alle Kinder es so gut hätten, daß ihre Mütter an der Tür stünden und sie mit trockenen Garnituren erwarteten, dazu mit einem Kuchenteller auf dem Tisch und Kaffee. Milch gehört ja ins Märchenland. Sie sind beide selig draußen und Muttern kann das Trocknen der Sachen besorgen. In der Stube gibt es neue Bücher zu erleben und zu schreiben.

Wiebke wachte am 29. mit den Worten auf, daß sie eine Geschichte schreiben wolle. Der Schnee hieß sie am Tage ja alles vergessen. Erst 10 Minuten vor dem Abendbrot fiel ihr ihr Vorhaben wieder ein, als der Tisch schon gedeckt war. Schnell holte sie Papier und ratzte die Sache in 10 Minuten herunter, wörtlich so, wie ich sie nun getippt habe.

Walter erklärte, er wolle mir nun auch eine diktieren und hieß keine Ruhe. Niemand wußte, was kommen würde, und es kam wörtlich die seine. Er, mit seinem männlichen Geist, beschäftigt sich mit großen Problemen ... Wie sehr sind beide doch Karls Kinder! Wiebkes Reichtum (an Ideen) ist wirklich fabelhaft. Was sie so alles an einem Tage macht! Da wird eine Jacke für „Hinzekater“ gemacht, gestrickt, geschrieben, geknetet und gelesen und gespielt.

Ich weiß selbst, daß ihre Schrift miserabel ist. Da ist das erste Pensum eben zu schnell gegangen und nun dazu das rasche Temperament.[1]

Wiebke ist ja ganz ohne Ehrgeiz und ohne Einbildung. Den Ehrgeiz muß ich aufbringen. Ab morgen soll sie jeden Morgen 1/2 Stunde rechnen, damit sie alles flott im Kopf hat bei Schulanfang...

Walter hat ein enormes Gedächtnis, aber er wird erst aufwachen, wenn er die Grundlagen intus hat, und das wird Mühe kosten. Während Wiebke das Lesen vom Himmel gefallen ist, wird er es mit Meckern lernen, und mir graut schon. Das bin ich nicht gewöhnt durch meine Deern.

Ich habe ja die Hoffnung, daß es etwas wird mit der Stube oben, im Geiste richte ich sie ein und lebe drin. Augenblicklich habe ich meine gute Zeit. Es gibt keine Außenarbeit, und so sitze ich und nähe, schreibe und stricke mir einen Pullover ... Abends genieße ich ein Buch... Nun hoffe ich, daß es Euch allen im Hause gut geht. Mit Schlachten und dergleichen habt Ihr ja genug zu tun ...

Mit Grüßen an Deine beiden „Kerls‘, besonders aber an Dich, und eine Entschuldigung wegen des Briefpapiers (ich war froh, wenigstens für die Weihnachtsbriefe das Deinige von damals zu haben) bin ich

Deine Claudia“

Meine Mutter fügte diesem Brief eine getippte Fassung der Erzählungen von uns Kindern bei und versah sie mit der Bemerkung: "geschrieben am 29.12.47 in Homfeld bei Innien."

Das kleine Kind
Eine Erzählung von Wiebke Isernhagen

Es war einmal ein kleines Kind, das hatte Vater und Mutter verloren. Es war ganz
traurig, wie es durch die Straßen ging, denn es war erst drei Jahre alt.
Und wie es so ging, dachte es: „Ach, hätte ich bloß Vater und Mutter, da wäre ich
auch froh wie die anderen Kinder, die hier in den Straßen spielen!“
Und wie es so gedacht hatte, trat ein Mann vor es hin und sagte: „Ich kann dir helfen
in deiner Not. Du mußt diesen matschigen Fisch einmal über dein Gesicht streichen,
dann hast du einen solchen Klumpen Gold, das kannst du gar nicht tragen. Kannst
du etwa einen Zentner tragen?“
„Nein, das kann ich nicht“, sagte das Mädchen.
„Dann trägst du das Gold in einzelnen Stücken nach Haus.“
„Aber ich habe doch kein Zuhause“, antwortete das Mädchen.
„Dann schlägst du einzelne Stücke ab und trägst sie zum Kaufmann und kaufst dir
was.“
Das Mädchen sagte: „Ich habe aber keinen Hammer!“
„Ich kann dir einen geben.“
Der Mann fragte: „Wer bin ich wohl? Ich bin der Kaiser.“
Das Mädchen sagte: „Kannst du mich nicht unterbringen in deinem großen
Schlosse?“
„Ja“, sagte der Mann, „das kann ich.“
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.


Der gute, liebe Gott
Eine Erzählung von Walter Isernhagen

Es war einmal ein schrecklicher Krieg, der hatte viele Menschen umgebracht und viel
Schaden im Lande Deutschland verbrochen. Die Menschen waren nicht froh wie im
Frieden; es ist furchtbar, so zu hungern in diesem Land Deutschland. Hoffentlich
schickt der liebe Gott bald wieder Frieden für alle Länder, besonders für
Deutschland.
Im Krieg, wie der Weihnachtsmann kam, da konnte man nicht so viel kaufen wie
vorher. Schade, daß der Krieg ausgebrochen ist, denn da sind die Menschen nicht
froh ...

6.2.48

„Liebe Hermine,

Gestern morgen fuhr ich schon 7.51 h nach Hamburg, um bei der Ärztekammer etwas für Otto zu erkunden, aber mit negativem Erfolg.[2]

Ganz in der Nähe wohnt eine Freundin, die ich jetzt immer aufsuche. Um 9 h stand ich schon vor ihr und durfte mich mit ihr und ihrem Mann an den Kaffeetisch setzen und klönte 2 Stunden bei ihr sehr nett.

Sie hat schon ca. 30 — 40 000 Mark, verfuttert und will nun gerade den dritten Teppich abzweigen.[3] Sie fand, daß ich entsetzlich herunter sei, und riet mir, mein kleines Vermögen ebenfalls zu verfuttern, da ich ja so nicht weiter könne. Aber dazu kann ich mich ja nicht entschließen, weil ich für meine Kleinen Kinder ein paar Notgroschen behalten möchte. Sie hat keine Kinder.

Auf dem Nachhausewege überlegte ich mir dann, was ich denn verscheuern könnte. Die „Erika“ hilft mir ja beim Broterwerb, mit ihr muß ich ja Übersetzungen tippen. [4] Es geht ja auch nicht, daß ich meinen guten Wintermantel weggebe; ich kann mir ja keinen neuen leisten; es bleibt eigentlich nur der Anzug, den ich Dir gab, um meinen Gewissensdruck (für die geleistete Hilfe) zu erleichtern. Aber den Karlkindern gegenüber war die Fortgabe ein Unrecht.

Dieser ... fettlose Winter hat mir so zugesetzt, daß ich so weit bin, wie ich bin, mir meine armen Schultern nicht mehr gehorchen und ich mir selbst so recht von Herzen über bin. Wenn Walter morgens und abends ... betteli: „So, Mutti, und nun noch einen Teelöffel schiere Milch ..., weißt du, so ganz wenig als Abschluß“, dann geht's mir durch und durch... Ich möchte Dich bitten, mir den Anzug doch gleich zu schicken, er soll’ noch diesen Winter seine Dienste tun. Es geht nicht anders! ... Bringe den Anzug bitte nicht zu Emma, Du sagtest ja ein übers andere Mal, daß dort alles gestohlen würde ... Als Wertpaket versichert, kannst Du ihn ruhig schicken, ihm passiert nichts dabei!

Ottos Paket, das er wohl'schickte, kann nicht vor Pfingsten hier sein ... Wie sehr bedrückt mich Emmas Hilfe, so sehr, daß ich eben schon wunderlich werde, wie dieser Brief zeigt, den ich hier heulend schreibe. Wie gern nehme ich die Flasche Lebertran mit. Walter wird sich den Mund wieder schlecken, und Wiebke wird er wieder so gut tun, und ich werde morgen schwer an ihm heimtragen; so schwer, ich mag diese Bettelei nicht mehr und tu es bloß der Kinder wegen.

Deine Käthe“

am 15.2.48

Homfeld bei Innien in Holstein

Das Paßfoto, das von meiner Großmutter im Frühjahr 1948 gemacht wurde, zeigt sie als von Not, Unterernährung und Arbeit gekennzeichneten Menschen. Meine Schwester dagegen strahlt in erwartungsvoller Neugier auf die geplante Reise nach England.

„Liebe Hermine,

bei meiner Rückkehr hierher fand ich alles so vor, wie ich es mir vorgestellt hatte: beide Kinder sehr erkältet im Bett, Walter sogar mit einer kleinen Lungenentzündung. Er hegt noch fest zu Bett, während Wiebke heute zum 2. Male aufstehen darf. So hatten die Großmütter viel zu tun gehabt während meiner Reise.

Als ich hier anlangte, legte ich mich auch mit einem Schnupfen ins Bett für volle drei Tage und half so gar nicht mit den Kindern. Ich war einfach fertig, wie Du wohl auch in Hamburg merktest und wie mein dummes Benehmen und meine Gereiztheit gezeigt hatten ... Außer den Hülsenfrüchtesuppen, in denen ja nichts Vernünftiges drin ist, haben wir nur ziemlich Scheußliches zu essen gehabt seit Monaten, vor allem gar keinen Aufschnitt außer Heringssalat und solchem Zeug, selbst kaum Fleisch, da dafür etwas Wurst für die Lütten gekauft wurde, und so war und bin ich richtig fertig ...

Ich bin nun also über Deinen Vorschlag mit dem Anzug sehr erfreut und darin ganz Deiner Meinung. Nun ist mir eine große Sorge genommen, denn ich sah nicht mehr recht, wie ich die nächsten paar Wochen die Kinder noch durchbringen sollte ... Ich werde also sofort nach Harburg fahren, wenn ich von dort höre.

Nun danke ich Dir in diesem Zusammenhange auch für die Milchdose, die mich gestern auch erreichte. Wie froh war ich über sie! Beide Kinder sind... blaß und dünn geworden, und ich muß versuchen, sie wieder herauszupäppeln, da kann ich die Milch so herrlich gebrauchen ... Und nun danke ich Dir für Deinen Brief ... Mit den Kindern und Schätzendorf hast Du ... ja recht ...[5] Aber trotz aller Einsicht gibt es bei mir so einige Hemmungen und Gründe, die stärker sind und mich die Kinder nicht hinschicken lassen.

Walter ist nicht einer, der nur so mitläuft, er macht Mühe, oder sonst fühlt er sich gar nicht wohl. Ich weiß, daß man bei Euch Gefühle nicht demonstriert, aber dieses völlige Fehlen sind meine Kinder nun mal nicht gewöhnt. Sie fühlen sich da nicht glücklich. Wie war Wiebke unglücklich![6]

Und mit Walter würde das viel schlimmer. Er ist es gewöhnt, auf so viele Dinge einzugehen, wie sein Verlangen nach einem Atlas zeigt ... So geht das den ganzen Tag. Und dazu würde Adele weder Zeit noch Lust, noch Verständnis haben. Ich hätte einfach keine Ruhe dabei.

Auf dem Lande ist man eben anders, das sehe ich ja drüben bei Blöckers, wo die kleine, nette Margret mit einer schweren Nierenentzündung im Bett liegt. Nie trug sie einen Mantel zur eiskalten Schule, nie ziehen sie den Kindern die nassen Schuhe und Strümpfe aus, und nun ist man sehr erstaunt, daß es schief gegangen ist ... Und wenn man ihnen erzählen würde, was sie alles unterlassen, würden sie lachen und es nicht begreifen!

Nach Wyk, schrieb ich gestern noch mal. Wenn Walter dorthin kann, so genügt das. Und gebt es mit Eurer komischen Schwägerin man auf für einen Besuch dieses Jahr, das erspart mir so komplizierte Absagen, wie diese Episteles wieder ist.

Meine Mutter schickte ich gleich zum Photographen für die Paßbilder ... Mit Wiebke muß ich nun warten, bis sie wieder an die Luft kommt ...<ref<Ihre englischen Verwandten, darunter ein Bruder, hatten meine Großmutter und deren Enkelin Wiebke eingeladen. Auch hier war außer einem Wiedersehen der Zweck, sich einmal richtig satt zu essen.</ref> Es tut mir so leid, daß ich Ottos Wünsche nicht erfüllen konnte. Ich bin ihm so dankbar, daß er uns mit einschließt in seine Hilfe. Und wenn man es ganz genau nimmt, so geht es den Kindern seines Bruders (also uns) von allen Isernhagen am allerdreckigsten ... So, nun vielen Dank, für Deine Mühe wegen des Anzuges und der Sorge dabei um die Lütten ....

Mit Grüßen von uns allen bin ich

Deine Claudia“

23.2.48

„Liebe Hermine,

letzten Donnerstag erhielt ich Deinen Brief und machte mich gleich reisefertig. Bei dem eiskalten Wind kam ich dann recht erfroren in Harburg an, und mir graute vor der Rückfahrt am nächsten Tag, die aber viel angenehmer in ganz warmen Zügen verlief. Voller Seligkeit brachte ich „ihn“ nach Hause, das wirst Du Dir ja vorstellen können.[7] Nun sind wir ja ganz gerettet für die nächsten Monate bis zum Sommer, und mein Gemüt ist leichter geworden. Ich sehe, wie begeistert meine Lütten sind, und das tut wohl. Im Sommer gibt’s dann warmes Wetter und Beeren und Früchte, das ist dann nicht so schlimm wie gerade jetzt. Ich glaube nicht, daß ich ein großes Sparprogramm vornehmen werde, denn dazu sind wir ja viel zu sehr ausgehungert ... Otto half in der letzten Woche auch so rührend, so daß ich meine Knirpse nach ihrer Krankheit nun pflegen kann ...

Beide sind ... höchst vergnügt. Wiebke hat immer ihre Schularbeiten gemacht; sie haben nun starke und schwache Verben rauszusuchen. Oma ist photographiert, Wiebke ja noch nicht; mit Rendsburg muß ich all die Zeit warten, bis ich Wiebkes Paßbilder habe![8]

An das Zimmer glaube ich nicht mehr, da jetzt auch Heimkehrer zurückkommen, die ein Zimmer haben wollen; da wird’s mit mir doch nichts.[9] ... Versuchen werde ich es in Rendsburg aber noch mal.

Walters Schule rückt näher.[10] Tante Else hat ihm einen herrlich scheußlichen Schulsack, genäht, der muß nun genügen. Er findet ihn schön. Man gut! Ich habe noch viel zu nähen, auszubessern usw. Wiebke braucht noch ein Nachtröckchen, ein Kleid und eine Mütze. Beide Reisenden nehmen nur wenig Zeug mit, da die arme Oma ja an dem wenigen noch sehr zu schleppen haben wird. Wiebke hat schon beinahe Reisefieber. Hoffentlich geht’s nun auch los und kommen beide heil zurück! Ich weiß ja, wieviel Schönes meine aufgeweckte Deern erwartet, die doch hier .. so einfach gelebt hat in den letzten Jahren. Ich denke, daß man sie wird leiden mögen, und dann sind die Engländer entzückend zu Fremden. So ein kleines Kind wird man ja nichts entgelten lassen.

Aus Wyk hörte ich noch nichts. Walter ist aber entschlossen, auch einiges zu erleben. Man freut sich auf Frühjahr und Sommer, nicht? Ich bin schon froh, daß uns dieses Jahr das Holzproblem nicht so drücken wird; es hat uns letztes Jahr beinahe erdrückt. Aus diesem Grunde will ich versuchen, schon für 1949/50 etwas an festem Holz vors Haus zu legen, es wird knapp hier, und wer weiß, wie lange der Kaffee noch seinen Wert behält! Nach der Währungsreform schickt Brasilien sicher wieder welchen her für alle zum Kauf.[11]

So, nun möchte ich noch sagen, daß ich mit dem, was ich evtl. noch für den Anzug haben soll, lieber bis zum nächsten Herbst warte, damit ich es dann für den Winter habe. Jetzt ist es so ja wunderschön, noch üppiger dürfen wir nicht sein. Lieber etwas für den nächsten Winter lassen! Meinst Du nicht auch?

Herzlichen Gruß von uns allen

Deine Claudia“

3.3.48

„Liebe Hermine,

Dienstag erhielt ich die Brotmarken, die ich gestern unserem Bäcker zeigte ... Bis jetzt waren 1.500 g davon aufgerufen, aber er meinte, die anderen Nummern kämen auch noch dran.[12]

So danke ich Berta vielmals; wir können das Brot nur zu gut gebrauchen, denn ich will Montag früh einige Tage nach Rendsburg. Oma hatte schon sorgenvoll bemerkt, daß diese Spritztour Brot kosten würde ...

Um beim Essen zu bleiben, will ich nur bemerken, wie gut „er“ (der für den einen Anzug meines Vaters eingetauschte Schinken) uns tut. Ich merke es jedenfalls schon richtig. Wir 3 Isernhagen haben aber auch schon recht reingehauen!

Von Wiebke ist zu vermelden, daß sie seit 3 Tagen wieder in der Schule ist, sie fehlte 4 Wochen. Mit Eifer ist sie am Lernen und ist immer erstaunlicher. Nun macht sie sich schon dran, englische Briefe zu schreiben. Sie ist vor nichts bange. Leider hat sie wieder Würmer und Schatten unter den Augen. Hättest Du noch Kürbiskerne? Wir haben ja auch leider keine Wurzeln mehr.

Zur Englandreise ist zu schreiben, daß sie nun auch noch eine Einladung von der Cousine haben, die eine Tochter im Alter Wiebkes hat. Bisher wußten wir noch nicht, daß sie dort auch für längere Zeit sein könnte. Die kleine Nora schreibt Briefe, und Wiebke antwortet ihr. Sie werden zusammen schlafen und freuen sich auf einander.

Walter geht's gut. Er darf 10 Wochen nach Wyk, ich freute mich über die Zusage. In den Sommerferien muß ich dann aber mit ihm arbeiten, da er ein so langes Schulschwänzen ja nicht wird vertragen können wie seine Schwester. Und somit wird er der Wykreise wegen nicht nach Schätzendorf kommen .....

Hat Dein Mann nun günstigen Bescheid?[13]

Mit einem schönen Gruß an alle bin ich

Deine Claudia“

12.3.48

„Liebe Hermine,

heute erlebten die Kinder das schöne Paket! Walter ist höchst beglückt über den Tornister und dankt herzlich. Über seinen Inhalt herrschte auch große Seligkeit, und deshalb danken wir auch dafür vielmals! ...

Ich war den ganzen Montag in Rendsburg, rannte zu allen Behörden und in die Läden. Wegen der Pässe hatte ich beim Engländer zu tun und bat ihn, mir zu einem Ofen zu verhelfen, da unser gar nicht ausreicht. Dann telefonierte ich mit dem Bürgermeister von Rendsburg, einem ehemaligen Kollegen, der sehr nett ist, und bat ihn, mir zum Zimmer + Ofen zu verhelfen; er versprach zu tun, was er könne.

Was den Ofen angeht, so erlebte ich die größte Überraschung heute. Als ich den Bürgermeister hier danach fragte, bekam ich heute sofort einen Schein![14] Ich hatte ihn vorher nicht gefragt, weil ich noch nie was bei ihm erreichte ... Ich brachte den Schein sofort zu Braasch und kriegte dafür einen Ofen, etwa wie Emma ihn hat. Er hatte die größte Nummer nicht da und versucht, sie zu bekommen, sonst nehme ich den, den er hat. Wir hoffen, daß er eine Verbesserung sein wird. Muß er ja eigentlich. Das wäre schon viel wert, Nun bin ich gespannt, ob das mit dem Zimmer mal wird! Die Kinder sind vergnügt. Die letzte Erkältung war die erste in diesem Winter; ich finde, das geht noch. Wiebke sieht etwas angespannt aus; ich glaube, sie arbeitet zu viel im Kopfe ...

Ich habe immer allerlei vor, aber schwere Arbeit ist es ja nicht. Nächste Woche kommt der Buschhacker, da wird unser Holz gehackt. Für Ottos Kaffee tausche ich mir noch festes Holz ein, da das hier knapp werden .....“

(Hier endet der erste Bogen des Briefes. Der Rest fehlt.)

(ohne Datum)

„Liebe Hermine!

Die Eier sind uns sehr willkommen in dieser fleischlosen Zeit! So haben doch beide Lütten viele schöne Mahlzeiten davon und sind sehr glücklich. Dir danke ich für die Mühe. Hier ist alles wieder auf. Wiebke sah noch nie so garstig aus, aber sie ist nie müde, sondern voller Leben. Ihre Lehrerin sagte, daß man ihr langes Fehlen überhaupt nicht merke, sie sei so gut wie immer. Sie ist unglaublich interessiert und ein dolles Ding im Lernen. Sie ist ja genau wie ihr Vater, jedes Lebensgebiet macht ihr Spaß. Dabei ist sie artig und nett und immer vergnügt.

Walter ist ein unglaublicher Bengel, er hat vor keinem Schneeloch Angst und wir sorgen uns oft um ihn. Schon aus diesem Grunde könnte er nach Schätzendorf nur, wenn Du da bist, » sonst auf keinen Fall. Berta kann die Verantwortung für ihn nicht tragen. Du mußt schon für ihn da sein; aber das hat ja auch noch Zeit, denn Mitte Juli kriegt er ja erst Ferien. Wir sind sehr betriebsam. Gestern saß ich den ganzen Tag an einem Kleid für Wiebke, heute auch noch, und morgen wird ‘s vielleicht fertig ...

Nebenbei bin ich im Garten und sause in der Welt umher. So holte ich letzte Woche aus Rendsburg den Paß; 2 Tage drauf nahm ich Wiebke und Walter (mit) zum Ohrenarzt in Neumünster; er konnte bei beiden gar nichts finden.

Beide seien sympathische Kinder und würden in ihrer Kindheit dauernd und immer unter Erkältungen und Mittelohrentzündungen zu leiden haben.[15] Das einzige sei viel Verreisen an See und Gebirge oder (Schätzendorf!!) als Luftveränderung. Von England war er begeistert, und Walter solle ja nur nach Wyk, und Ohrenentzündungen würden sie auch dort kriegen. Da sei nichts zu machen.

Für England braucht man immer wieder ein neues Papier. Und alles dauert lange. Nun fehlt wieder ein Transitvisum durch Holland... Sie fahren nun, sobald alle Papiere es erlauben. Ich stelle fest, daß Holzhacken leichter ist als Englisch in der Dorfschule. Das ist 'ne Hundearbeit. Doll![16]

Herzliche Grüße an Rudolf und Dich

Deine Claudia“

19.7.48

„Liebe Hermine,

vielen Dank für all’ die Nachrichten ...! Ich freue mich, daß sie alle so gut sind, aber das habe ich mir schon gedacht.

Walter hatte die Homfelder Stube und seine Leute richtig satt und war fest entschlossen, die Schätzendorfer Onkel und Tanten viel netter zu finden und sich ordentlich zu amüsieren. Und so wird er sich ja auch tüchtig erholen. Du aber bist durch seine pütscherige Mutter so bange geworden, daß Du ihm vor lauter Angst wohl’gar zu viel anziehst. Selbst bei der Temperaturlage der Regentage genügt das blaue Marinejäckchen oder der kleine graue Mantel. Und ich hoffe, daß Du mit der Wolljacke nur das meinst, was ich seinen Pullover nenne (den mit rot oder den kleinen zum Knöpfen), denn außer diesem braucht er nicht noch eine Wolljacke, sonst schmilzt er ja ...

Und wenn er nachts nicht gerade das geöffnete Fenster auf seinem Buckel hat, so braucht er auch keinen Seelenwärmer. Denn Eure Kammer ist ja nach Süden und kann nicht kalt sein. Ich freue mich, daß es ihm gefällt. Sollte er bei dem Vertrauterwerden frech werden, so müßt Ihr Euch das verbitten, und dann läßt er das schon, besonders wenn er einen ordentlichen Mann vor sich hat. Onkel Rudolf wird das schon gelingen.

Sonnabend verlebte ich einen langen Tag bei Dora Koeppen mit viel Anregung. Und Freitag war ich seit 1942 zum ersten Mal im Kino. Auch das war herrlich! Wiebkes Brief lege ich in den nächsten ein, der auch mein Geburtstagsbrief wird...[17]

So, nun danke ich Euch Faustens herzlich, vor allem aber auch Berta dafür, daß der hütt Murks bei Euch sein kann ....

Also viele Grüße an Euch alle!

Deine Claudia“

Wie dieser Brief zeigt, fuhr ich in den Sommerferien schließlich doch nach Schätzendorf auf den Hof meiner Tante Berta, die mit Ernst Voss verheiratet war. Dort lebte auch meine Tante Hermine mit ihrem Mann Rudolf. Weshalb es nicht nach Wyk auf Föhr ging, wie geplant, ist mir nicht mehr erinnerlich. Auch besteht von März bis Juli 1948 eine Lücke im Briefwechsel. Außer den Sommerferien wurden mir von der Schulbehörde zwei weitere Wochen Ferien genehmigt, damit meine bäuerliche Verwandtschaft mich unterernährten Jungen einmal richtig aufpäppeln konnte. Meine Mutter fügte ihren Briefen an meine Tante auch immer einige Zeilen an mich bei, die ich hier ebenfalls wiedergebe.

„Lieber Walter!

Dein allererster Brief hat mir so viel Freude gemacht. Das hast Du aber sehr fein geschrieben. Und ich bin froh, daß es Dir so gut gefällt ... Und all’die Onkel und Tanten! Nun genieße man jeden Tag tüchtig, bleib gesund, laß Dir trockene Schuh‘ anziehen, wenn Deine naß sind, und sei nicht zu frech!

Viele, viele Grüße von Deiner Mutti“

Homfeld am 27.7.48

„Liebe Hermine,

vielen Dank, für Deinen ausführlichen Brief. Ich freue mich, daß es meinem Jungen so gut geht. Natürlich bist Du immer in Unruhe, das bin ich als seine Mutter aber auch, wenn er hier ist. Immer denkt man: „Was stellt der Bengel nun wieder an?“ Aber hoffentlich strengt Dich das nicht zu doll an!

Er macht doch wirklich Spaß, der kleine Kerl! Er scheint ja bei Euch wie zu Hause zu sein, wenn er Euch auch an seinem ganzen Innenleben teilnehmen läßt. Das ist das beste Zeichen. Es ist auch fein, daß er noch die anderen Häuser von seinen Verwandten hat. Ich kann ihn im Geist die Dorfstraße entlangrennen sehen, voller Wichtigkeit ... Ja, so viel essen tut er gar nicht mal, das sagte ich Dir ja, er ißt einem nicht die Haare vom Kopf, wie sein Vater zu sagen pflegte. Und so hoffe ich denn, daß er Euch noch eine Weile nicht lästig wird, sonst müßt Ihr es schreiben.

Ich schicke nun an dünneren Hosen mit, was ich habe, mehr habe ich nicht und Besseres auch nicht. Ich bin richtig froh, daß er es so nett bei Euch hat, und sage Berta auch meinen Dank dafür...

Von Wiebke habt Ihr ja sicher ebensoviel gehört wie ich, sie hat schon dicke Backen, und Omas Gesicht sähe direkt geschwollen aus. Nun fahren sie in die große Stadt, und es wird viel zu sehen geben...

Hier ist es nun wie im Märchen. Diese Ruhe ... Ich möchte gar nicht woanders sein. Wir machen uns aus dem Garten schön zu futtern und genießen diesen Frieden sehr. Im Nebenberuf schreibe ich Briefe, alle auf der Maschine, wobei ich fein üben kann. Es geht schon ganz fix.. Für Oma habe ich immer einen Brief in der Maschine, an dem ich täglich etwas dazu schreibe ...

Montag waren Tante Else und ich in Neumünster. Aber dort gibt es weniger, schlechter und teurer zu kaufen als bei Braasch, und so kauften wir nichts.[18] Wir wollten bis um 21 (Uhr) dableiben, aber um 16 (Uhr) hatten wir die Nase so voll’von der Stadt und solche Sehnsucht nach unserm Dorf, daß wir schon um 17 (Uhr) in dem jetzt viel zu teuren Bus saßen und strahlend nach Hause fuhren. Wir sind wohl doch schon für die Stadt verdorben, es sei denn, daß man dort ein Heim im Grünen hat ... Abends bin ich erst mal in den Garten gestürzt, um anständige Luft zu schnappen, und habe mich direkt über mich selbst amüsiert. Es ist ja aber auch alles teuer, für 2 Schränke und 2 Bettbezüge ist man schon 450,-- DM losgeworden, 2 Paar wollene Strümpfe für Wiebke 11,40 DM. Man muß einfach so weiterleben. Nützt nichts!

Ansonsten lag mir an Walters Wegkommen zu Euch oder nach Wyk, nicht nur seine Erholung am Herzen, ebenso sehr seine Erziehung. Ich schrieb ja schon, daß er uns satt hatte. Ein Kind empfindet so ein enges Zusammenleben nicht so bewußt als Qual, aber es beeinflußt seine Seele doch ...

Walter war ... ausgesprochen eklig, unverschämt, schwerhörig, taub, frech! Tante Else war empört, daß ich ihn nicht jeden Tag Kurz und Klein haute. Ich habe aber zu ihm gesagt: „Deinen Seelenzustand verstehe ich und will mit dir Geduld haben, bis du weggewesen bist und dich bei anderen anständig benommen hast und dich daran gewöhnt hast, daß du auch hier nett bist. Bist du aber auch dann noch nicht Kuriert, dann kriegst du dicke Senge, jeden Tag. Bis dahin laß ich dir aber Zeit.”

Und so wird es auch gemacht! Ich hoffe aber, daß es nützt bei Euch. Wenn er artig ist, kann er aber doch ein reizender Kerl sein in seiner klugen Art, und so niedlich anzusehen. Sieht er nicht süß aus, wenn er schlafend im Bett liegt? Und all seine Fragen! Aber gegen Wiebke ist er noch ein Baby.

Nun will ich aber noch an Walter schreiben. Allen schicken wir ... Grüße, der ganzen Familie Faust herzlichen Dank, dazu für die Betreuung und Berta ebenfalls!

Herzlichst

Deine Claudia“

27.7.48

„Lieber Walter!

Wie freue ich mich, daß es Dir so gut geht! Es ist doch fein, daß Du nun Schätzendorf auch mal richtig kennenlernst. Und alle Onkel und Tanten dazu!

Hier ist es nun ganz still in der Homfelder Stube. Das kannst Du Dir gar nicht vorstellen. Tante Else sucht jeden Tag Pilze, und unser Garten gibt uns beiden genug zu essen, so daß wir überhaupt kein Geld für Gemüse und Kartoffeln ausgeben. Denk, mal, an 2 Stauden haben wir genug für 2 Mittagessen, ich hole immer frisch vom Land. Und die Erdbeeren schmecken uns prima. Tante Else hat immer ein schlechtes Gewissen dabei und sagt, die müßte Walter doch haben. Ich lache sie aber aus und sage, daß Ihr alle es doch so gut habt, da könnten wir uns die Beeren doch einmal schmecken lassen, wo ich so allein auf den Garten aufpasse. Was meinst Du?

Letzte Woche habe ich was Feines erlebt. Da hat mich Herr Braasch mit seinem schönen großen Lieferwagen mit nach Rendsburg genommen. Der Wagen fuhr ganz seicht und schnell. Dort habe ich 2 schöne Pakete von Onkel Otto abgeholt mit schönen Sachen. Für Dich ist Stoff für 1 oder 2 Oberhemden dabei.

Nun habe ich aber Onkel Otto geschrieben, daß er jetzt kein Geld mehr für uns ausgeben dürfe, weil es jetzt hier besser wäre, da mag ich das nicht mehr annehmen. Aber sollte er noch einmal selbst packen, da habe ich mir Schmalz und Honig gewünscht, damit Ihr 2 Lütten im Winter was Schönes gebacken kriegt ... Oma schreibt auch schon, daß sie für das Homfelder Essen wohl verdorben wären, weil Tante Girlie sie so verwöhnt.[19]

Heute Nacht kommt die kleine schwarze Katze von Dierks zu mir zu Besuch. [20] Ich kann vor Mäusen bald nicht mehr schlafen und will es nun mit der Katze versuchen. Letzte Nacht hat so ein Viech stundenlang mit Papier geraschelt im Kohlenkasten ... Tante Mimis

Katzen haben alle Kinder, und sie meint, da möchten sie keine Nacht weg sein und würden bloß Spektakel'machen.[21] Frau Rauter geht nun wohl weg, und Ihr kriegt Herrn Zillen, aber jetzt hast Du wohl Ferien und liest gar nicht, was?[22]

Tante Hermine schreibt, daß Du artig seist. Ist das nicht viel schöner? Das willst Du bei uns nun doch auch sein, damit Tante Else gar nicht wieder zu schimpfen braucht, nicht wahr? Das wäre doch fein, nicht? 5o, mein lütten Jung, nun bleib schön gesund und laß Dir einen bütten Kuß geben! Wiebke schreibt das auf englisch. „A sweet little kiss! On your little nose“, schreibt sie, denk mal an!

Viele Grüße von Deiner Mutti

Und alle Tanten und Onkel’grüße auch! Das ist aber eine Riesenbestellung, was?“

Homfeld am 6.8.48

„Liebe Hermine,

es wird Zeit, daß ich mich herzlich bedanke für Deinen ausführlichen Brief, was ich also hiermit tue. Es freute mich, so viel von meinem Sohn zu hören, und ich hoffe, daß es ihm auch nun noch gut geht trotz der Bäder in der kalten Au. Auch hier hat alles nur ans Baden gedacht. Wenn Walter nur nicht stundenlang immer rein und raus geht, kann es ihm ja nicht schaden ...

Wie schön, daß er Dir Freude macht! Hoffentlich nicht allzu viel Arbeit oder Sorge oder Unruhe ... Und wie nett, daß er sich mit Onkel Erich angefreundet hat![23]

Ja, er ist ein aufgeweckter kleiner Kerl und macht uns ja auch viel Spaß ... Und er scheint sich ja ganz so zu geben, wie er ist. Selbst seine Neigung zum Albernsein hast Du schon erfaßt ...

Ich habe schon oft zu Omas Empörung gesagt, daß er einen wunderbaren Grog abgeben würde, und heute schon würden die Leute über ihn wiehern.[24] Vielleicht hat er dafür Begabung, nicht, daß ich davon entzückt bin, aber ich beobachte das ja auch und bin Euch dankbar, wenn Ihr ihn dämmt. Man braucht das ja nicht zu unterstützen, wenn ich auch manchmal innerlich platzen könnte ... Macht man einen ordentlichen Kerl aus ihm, so manches mußte falsch hier geraten in der einen Stube mit 3 Frauensleuten! Habt Ihr ihn nun auch schon satt? Bitte, Du schreibst mir doch ganz ehrlich, wenn Ihr genug von ihm habt, nicht wahr? Und wann ich ihn abholen soll? Hat er noch was an die Füße zu ziehen? Er braucht nichts zu schonen, das ist ihm mit diesem Herbst doch alles zu klein.

Und nun noch mal allen herzlichen Dank (an die) im Hause, die dazu beitragen, daß er so feine Ferien hat. Er wird davon ja den ganzen Winter zehren und erzählen! Von Wiebke treffen nicht allzu oft, aber gute Nachrichten ein. Sie haben auch was Besseres vor, als Briefe zu schreiben.

Wiebke hat schon rundere Schultern und dicke Backen bekommen. Ihr wird es in unserer armseligen Behausung nur noch schlecht gefallen ... Ich fange an, an die Kinder zu denken, bin aber andererseits auch noch gern für mich. Ich kann ja viel’vom Alleinsein vertragen, und meine Nerven sind auch noch schlecht genug, die kriege ich wohl doch so schnell nicht heil.

Wenn bloß kein neuer Krieg kommt, Kann es sonst ja jetzt besser werden. So manche Sorge schwindet, wenn man bloß daran denkt, daß sich doch vieles beschaffen läßt, auch ohne Punkte schon, wie Schuhwerk und so manches mehr.[25]

Und gestern stand bei uns im Blatt, daß sie... nicht die Pensionen kürzen wollen. Das wäre wunderbar, und dann käme ich ja gut weiter! Und Ihr werdet ebenso aufatmen. Weißt Du, einen so eleganten Küchenschrank, will ich mir in diese feuchte Küche nicht setzen, hier verdirbt der bloß. Wir schaffen uns nur das Allernötigste an, man weiß ja nicht, in was für eine Wohnung man noch kommt.

Ich war viel in den Himbeeren und gehe morgen auch wieder. Tante Else machte aus allen schönste Marmelade, die sich halten soll. Wir sparten dafür das ganze Jahr über Zucker zusammen. Und nun geht’s auch noch in die Brombeeren, dann habe ich im Garten zu tun, außerdem habe ich manchmal ein Buch vor und vergesse darüber alles. Gerade las ich „Via Mala“ von John Knittel, es hat mich ganz in seinen Bann genommen.

Mit Tante Else und mir geht es recht gut. Es ist eben bloß alles eine Frage des viel’ zu engen Lebens, was den Menschen so verändert. Ich kann das einfach nicht aushalten und bin ganz friedlich, sobald die Bude nicht so voll ist. Ein eigenes Zimmer würde eben doch meine Rettung sein!

Und nun will ich man Schluß machen und mit vielen Grüßen an Euch alle bin ich Eure

Claudia“

Beigefügt waren dem Brief einige Zeilen an mich.

„Lieber Walter,

vielen Dank für Deinen Brief! ... Wie fein, daß Dir Deine Ferien so gefallen, Du hast es aber auch gut! Emmi Schröder und all Deine Freunde wissen hier gar nicht recht, was mit sich anzufangen, merke ich immer.[26]

Wie fein, daß die Pflaumen bald reif sind! Das ist doch was besonders Gutes, und Du kennst die gar nicht, was? In Gedanken seh‘ ich Dich dort spielen. Gehst Du auch mal mit zu Tante Adele? Ist es nicht doll, was Du alles für Onkel und Tanten hast! Und Vettern und Cousinen, und fast alle in Schätzendorf!

Bist Du auch noch mein Jung? Oder bist Du nun schon Tante Hermines Jung? So ein bißchen doch, was? Sie sorgt ja nun für Dich ... Tante Else und ich wohnen nun ganz allein hier und finden das sehr schön. Aber wir denken doch immer an Wiebke und Dich. Und hoffen, daß Ihr bis zum Schluß gesund und vergnügt bleibt ... Was Ihr alles zu erzählen haben werdet!

So, mein Walter, nun bin ich müde und will zu Bett. Vorher kriegst Du noch einen Kuß, den Tante Hermine Dir ja geben kann. Und dann sei weiter ieb zu allen und tu, was man Dir sagt, denn Du willst doch, daß alle Dich leiden mögen, und grüße alle schön, besonders aber grüßt Dich Deine

Mutti“

7.8.48

„Liebe Hermine,

heute früh, als ich in die Himbeeren ging, steckte ich den Brief an Dich ein, und als ich wiederkam, liegt auch einer von Dir da. Ich würde mich ja sehr freuen, wenn Walters Tante Berta, Onkel Ernst, Tante Hermine und Onkel Rudolf sich noch ein wenig länger mit dem Knirps befassen mögen und ihm eine schöne, lange Erholung geben, die sein Körper und seine Seele wohl gleich nötig haben.

Mit der Schule ist das ja kein Problem, ich werde Dir schreiben, wie weit man hier ist. Wenn er eine halbe Stunde liest und dann für sich allein abschreibt und etwas rechnet ... , dann kommt er ja dicke mit. Das Lesen ist bei ihm das Wichtigste, und er soll auch besser schreiben lernen als seine Schwester.

Wiebke schreibt mir nicht mehr, sie sei beleidigt, weil ich ihr auf deutsch und englisch erklärt habe, sie sei ein Ferkel und ihre Schrift wieder unglaublich. Nun straft sie mich, indem sie nicht mehr schreiben will.

Heute hörte ich aus Southampton ... Bisher war alles ländlich ruhig. Nun hat sie eine entzückende Geburtstagsfeier gehabt, mit 8 Lichter in Zuckerrosen, großen Kuchen und vielen Geschenken, mit Kino „Die roten Pantoffeln“ nach Andernsens Märchen, mit Auto an die See und dort baden, mit Angeln im Fluß, wobei aber die Fische wieder ins Wasser geworfen werden mußten .... , mit Kaffee bei meiner Tante. Und so geht das jeden Tag..... Ich war heute wieder in den Himbeeren und fand auch schon viele Brombeeren. Meine Tante ist froh, daß sie für all die Leutchen sorgen kann, die nun ein besseres Leben gewöhnt sind. Aber auch wir merken doch eine große Besserung, und wenn man die Pensionen bleiben, können wir auch nun satt zu essen kaufen. Man wird etwas friedlicher in seinem Gemüt. Nun man besser ernährt wird, sieh t die Welt ... besser aus. Möge ein Krieg nicht alles wieder umstürzen! Es wäre so schön!

Ja, ich würde gern mit Freundinnen zusammenkommen, aber das ist noch zu schwierig ... Die Anschaffungen, die das tägliche Leben angenehmer gestalten sollen, sind nun erst mal wichtig, dafür muß das Geld bleiben ......

Mit vielem Dank und Grüßen an Euch alle bin ich

Eure Claudia

Seit gestern ist hier ein Orkan! Bei solchem Umschwung muß man etwas auf Walter passen da erkältet er sich leicht!“

12.8.48

„Liebe Hermine, Dank, für Deinen Brief, er soll’gleich beantwortet werden.

Die Wasserbauleidenschaft Walters hat mich ja amüsiert. Frage ihn mal auf Ehr‘ und Gewissen, was seine Mutter über diese Leidenschaft denkt! Nun lernst Du das mal kennen. Diese Touren hat er hier auch ab und zu. Die erste war im März, als es noch fror, jeden Tag 2mal mit durchnassen Schuhen, anschließend Schelte, ab und zu Haue, deftige mit Ins-Bett- Müssen, und nach 14 Tagen Krankheit ... Danach durfte er dann nur am Händchen spazieren gehen, was ja für den großen Jungen zu blöde ist.

Aber Anfang Mai startete er bereits die zwote Tour der Wasserbaukünste mit nochmaliger Krankheit von 4 Wochen im Bett. Und nun kannst Du Dir ja ausmalen, was ich davon halte. Ihm und Euch will ich bloß wünschen, daß die Sache jetzt im Hochsommer kein Krankwerden nach sich zieht ...

Aber — die Schuhe! Ja, so hat er schon glücklich alles durch, dieser Lausebengel! Die braunen Halbschuh waren doch noch nicht so schlecht? Hat er die auch schon erledigt? Dieser kleine Wassermanscher?

Ich habe ihm also in Eile den ganzen Rest der Schuhe eingepackt, die zum Kanalbauen ja noch gut genug sind. Mehr können dafür nun aber nicht geopfert werden ... Tante Else nimmt dieses Päckchen gleich mit nach Innien, ... und bei der Gelegenheit geht sie sich erkundigen, wieviel der Schuster in Innien nimmt für ein Paar Kinderstiefel. Zu diesem Thema habe vielen Dank, für Deine Fürsorge. Wenn Tante Else Bescheid bringt, will ich Dir heute abend darüber schreiben, ob ich zusage oder absage für Euern Schuhmacher ...

Selbst wenn Walter welche bei Euch gemacht kriegte, dürfte er sie niemals für seine Wasserbauwerke anziehen, denn das halten auch die teuersten Schuhe nicht aus. Seine Oma kauft ihm für diese Zwecke ein Paar Gummilangschäfter in England. Wiebke hat auch welche von ihr zum Geburtstag gekriegt, und ich nehme an, daß sie auch sein Hauptgeschenk von der Oma für seinen Geburtstag sein werden ... Du siehst, wir versuchen, ihm „Berufsstiefel“ zu besorgen .....

Es ist ja fein, daß er so lange bleiben darf. Er scheint es ja wirklich gut zu haben bei Euch und richtig gern dort zu sein. Und wo er gar noch Kanäle bauen darf, ohne daß seine Mutter hinter ihm her ist, macht die Sache ja märchenhaft!

Ich packte noch ein paar kurze Hemden ein. Man hat ja nur von geschenkten und zusammengemurksten Sachen gelebt für die Kinder, das siehst Du nun ja. Sie waren ja noch klein, als wir abbrannten, seitdem „behelfen“ wir uns ... Die Rosinen sind für den „lütt Murks“ als süßer

Gruß von seiner Mutti, In Eile

Deine Claudia“

12.8.48

„Liebe Hermine,

heute nachmittag schickte Tante Else in Innien ein Päckchen an Dich ab, nun will ich diesem noch diesen Brief folgen lassen, wegen der Stiefel. Vielleicht kommt dieser Brief ja sogar zuerst an.

Der Schuhmacher in Innien hatte viel zu tun und keine Zeit, so daß sie wegen der Kinderstiefel auch keinen vernünftigen Bescheid mitbrachte. Bei der Stiefelfrage ist es bei ' uns immer so, daß Walter den Nachteil des Zweitgeborenen zu spüren bekommt, das heißt, daß er nie neue Schuhe kriegt, sondern Wiebke, und er sie dann erbt. Das ist er so gewöhnt und kennt es gar nicht anders, und meine Verhältnisse sind ja auch weiterhin so, daß erst mal Wiebke mit ihren größeren Füßen die Schuhe ausgenutzt haben muß.

Wenn also welche in Schätzendorf gemacht werden, so müssen sie die Größe 34 haben, das Braucht Wiebke schon, mit Doppelsocken gerechnet, vielleicht sogar 35. Sie haben nämlich für den kommenden Winter genug, wenn Oma die Gummischuhe bringt. Aber wenn er mir ein Paar No. 34 oder 35 für 25,-- DM oder wenig mehr macht, so nehme ich sie noch gern dazu. Vielleicht kannst Du das noch mal erforschen? Wenn es Dir nicht zu viel Mühe macht.

In Holzschuhen geht Walter nicht gern, das kenn‘ ich, aber er muß es auch hier, weil er ja im Wasser alles ruiniert! Ich freue mich, daß er noch bleiben darf, und danke Berta und Ernst dafür! Ja, er ist ja kein langweiliges Kind, auch wir haben so viel Spaß an ihm. Und kannst Dir ja denken, daß es mit der Konsequenz ... oft hapert und dabei nicht immer was Gutes rausbrät ... Aber ein niedliches Kerlchen ist er doch, nicht wahr? Nun allen wieder vielen Dank, für die Betreuung und das Gute, was alle an dem Jungen tun ...

Wiebke hat keine Zeit zum Schreiben, sie muß zu vielerleben. Na, denn laß sie man!

Herzlichst

Deine Claudia

Hier tut es nichts als gießen, herrlich für Wasserbauten! Er kann ja mal lesen bei dem vielen schlechten Wetter. Weiß er noch, wie weit er im Buch ist? Auf der Seite mit der Hexe und den „Bremer Stadtmusikanten“.“

20.8.48

„Liebe Hermine,

ich freue mich immer wieder zu hören, daß es dem Knirps gut geht bei Euch. Ich kann mir so richtig vorstellen, wie wichtig er alles nimmt und wie wichtig er Dir alles erzählt. Es ist ja schön, daß er Dir auch Spaß macht, das wiegt dann die Arbeit wieder auf, denn es ist für Dich natürlich doch belastend, das weiß ich sehr wohl. Ob man die Sorge um so ein Kerlchen hat oder nicht, macht doch einen Unterschied...

Du wirst mir ja schreiben, wann seine Zeit abgelaufen ist, nicht wahr? Da sie in meine Schulzeit fallen wird, wird es nötig sein, daß er wieder nach Harburg gebracht wird, am liebsten von Dir. Den Bus zahle ich Dir...

Mir würde es passen mit meinem Unterricht, wenn er an einem Sonnabend nach Harburg käme. Ich schreibe das schon heute, weil ich gerade Zeit dazu habe ... Ich habe keine Ahnung, wann Oma wiederkommt ... Ich nehme selber an, daß sie in den Oktoberferien wiederkommen will, ... so gegen den 10.

Meine Mutter hat dort am Orte 8 Häuser mit Schwester, Bruder und deren verheirateten Kindern, die sie alle mal aufsucht. Überall sind Kinder. Wiebke wird von Oma morgens hingebracht zum Spielen und ein Vetter fährt sie mittags nach Haus, nicht ohne ihr vorher 2 Shilling für Eis in die Hand gedrückt zu haben ...

All seien reizend, auch die Tante, die einen Pik,auf Deutschland hat. Aber davon merkt man nun gar nichts. Und zu Wiebke sind sie auch so nett. Ab und zu Kriegt sie Schuhe und Kleider geschenkt ... Sie geht mit einkaufen, sie hilft im Hause, es ist alles himmlisch! Wiebke selbst gab mir eine glühende Beschreibung vom Verkleidenspielen in Tanzgewändern mit Lippenstift und Schminke und Puder ... Und der Bruder meiner Mutter sei rührend. Es fehlt ihnen an nichts. Ich freue mich auch so für meine Mutter, daß sie noch mal im Kreis der Ihrigen sein kann. Jeden Abend (ein) warmes Bad, nein, Hermine, es kann einem schwindlig werden ... !

Wir haben hier ja auch eine schöne Zeit, und da das Wetter sehr schlecht war und ich mich bei all den Güssen doch nicht in der Flur herumdrücken konnte, haben wir uns eine bequeme Zeit gemacht. Ab und zu gehe ich in die Brombeeren, aber da sind so viele hinterher, daß es keine großen Mengen gibt.

Heute holte ich ein Paket von Oma ab mit Klamotten ... Es sind allerlei Sachen, die ich noch gut für die Kinder gebrauchen kann, vor allem 3 von den schönen, grauen Wollhosen für Walter, die noch sehr gut sind und die er lange tragen kann. Da ich nun wieder Nachschub habe, kann er meinetwegen seine gute Sonntagshose auch alltags tragen, wenn Ihr die mit dem dunklen Streifen zu schrecklich findet. Die kann er ja hier auftragen, da kennen sie ihn mit der Hose ja. Oder ist die Sonntagsbüx auch zu lang? ... Sollte der schöne graue Stoff nicht die Länge wettmachen in Schätzendorf? Ich sag’s ja immer, es ist nicht so einfach mit den Heidjern!

Hier würde nun jeder die gute Hose bestaunen, und die Länge kennen sie ja, und da verliert keiner ein Wort, aber ich weiß auch, daß das nicht überall so ist, und bin nicht etwa erstaunt. Ich bringe es eben nicht fertig, so ein schönes Stück, kurz zu schnippeln, und mag überhaupt die kurzen Hosen nicht leiden, auch bei den anderen Jungen nicht.

Genau wie ich nicht leiden Kann, wenn Wiebke bloß bis zum Popo angezogen geht und so viel von ihren häßlichen dünnen Beinen zu sehen ist. Du siehst, ich nehme mir heute abend viel Zeit, sonst könnte ich so lange Abhandlungen wohl nicht schreiben. Es war auch eine kleine Trainingshose dabei, die ich Walters Lehrerin für ihren Jungen brachte, die hochbeglückt war, wie ich auch gestern erlebte, daß mein Geschenk, für die Wildes dieselben richtig selig gemacht hat.

Sie baten mich vor 2 Jahren um Kakao, falls ich mal was hätte ... Ich habe mir das gemerkt, und als Ottos großes Carepaket, das im Februar kam, 2 Dosen enthielt, legte ich eine für sie beiseite. Ich schickte sie damals nicht, weil die Russen immer so viel Schwierigkeiten machten mit den Päckchen. Nun wagte ich es endlich, legte Trockenmilch von der, die hier mal ausgegeben wurde, und Haferflocken bei, und sie sind ganz aus dem Häuschen gewesen vor Seligkeit! Das hat mir viel’ Spaß gemacht.

Nun grüße und danke ich wieder Berta, Ernst, Dir für alles und Rudolf. Überhaupt danke ich allen, die dazu beitragen, Walter die Ferien so schön zu machen.

Und für heute allen viele Grüße

Eure Claudia“

Beigefügt waren einige Zeilen an mich.

„Lieber Walter,

von Dir höre ich immer Gutes, und Du weißt ja, daß mir das viel Freude macht. Frau Rauter läßt Dich grüßen, und sie erlaubt Dir, länger zu bleiben, weil sie ja weiß, daß Du nun bei Tante Hermine zur Schule gehst. Macht Dir das auch Spaß? Wenn Du eine halbe Stunde liest und dann noch etwas schreibst, hast Du wohl genug gelernt für den Tag und kannst dann ... weiterspielen.

Nun sind bei Tante Adele die Zwetschen wohl bald reif. Darfst Du da mal ein paar essen? Wie hast Du es doch schön, nicht wahr? Wenn gar kein Krieg mehr kommt, kriegen wir in ein paar Jahren aber auch wieder ein schönes Zuhause, vielleicht sogar ein ganz schönes ... Vorläufig genießt Du das schöne Haus von Tante Berta und das hübsche Zimmer von Tante

Oma kann nicht viele Briefmarken zusammenkriegen. Na, sie schickt Dir ja öfter einen Brief, das genügt denn ja auch. Oma und Wiebke wollten Dir auch wieder schreiben. Ich fange an, Euch schrecklich zu vermissen, nun bin ich ausgeruht, nun fehlt Ihr mir .....

Und nun wünsche ich Dir weiter viel Spaß und einen Kuß von Deiner

Mutti“

25.8.48

„Liebe Hermine,

heut schreibt Oma, daß sie auch wieder an Walter schreiben wollen. $o wirst Du auch von ihnen hören, daß sie bis zum 31.10. bleiben dürfen und es tun werden ... Wiebke macht sich blendend. Ich muß sagen, daß alle Welt reizend zu ihr ist. Es geht einem schier der Atem weg, wenn man liest, was sie alles erleben. Am 28. wollen sie einige Tage in ' das vomehmste Bad Südenglands kommen. In diesen Tagen ist meine Mutter auf 3tägiger Autotour nach Devonshire, der berühmten Grafschaft im Süden an der Küste, die märchenhaft ist und wo sie noch nicht war. Wiebke ist derweil bei meiner Cousine und deren Töchterchen, mit der Wiebke dicke befreundet ist.

Und wie geht es dem Walter? Ich schicke ihm viele Grüße und hoffe, daß er gesund und munter ist. Bei dem Regen wird er hoffentlich nicht zu lästig! Er soll nur jeden Tag ein Stückchen weiterlesen und abschreiben; (eine) 1/2 Std., alles in allem, kann er gern was tun. Ich glaube, Wiebke tut nichts. Aber erzähle ihm das man nicht! Die hat keine Zeit. Na, denn laß sie man, sie holt das ja ein, und was sie nun hat, ist viel’ wertvoller! Geht es bei Euch sonst allen gut? Was macht Rudolf? ...

Die Regierung hier, die so großzügig englischen Unterricht verteilt, hat seit Ostern der ganzen Provinz noch nichts dafür gezahlt! ...

Nun grüße ich das ganze Haus und Tante Else mit!

Eure Claudia“

27.8.48

„Liebe Hermine,

unsere Post geht mal'wieder aneinander vorbei. Heute früh steckte ich die Karte an Dich ein und bekam dann Deinen Brief, vielen Dank, , ich will ihn gleich beantworten. Ich fahre nun am 11.9. nach Harburg ... Und ich habe folgendes vor. Montags und mittwochs habe ich frei, und da uns die Regierung nun ein halbes Jahr noch nicht bezahlt hat, werde ich mir den Dienstag auch frei nehmen ... Mit diesen Tagen möchte ich anfangen: 1.) Walter noch tüchtig die Großstadt genießen lassen. Du weißt ja nun, was es für sein Innenleben bedeutet, wenn er mal was anderes sieht, davon zehrt er ein ganzes Jahr. Man weiß ja nie, was kommt, und dann hat er auch ein wenig von der größeren Welt gesehen, und das ist ja nötig, wo seine Schwester nun so viel sieht.

Und 2.) möchte ich in Hamburg nun noch etwas Freundschaft besuchen. Das ist jetzt mit der Jahreszeit netter als Ende Oktober .....

Du könntest Walter ja am Sonnabendabend in den Bus stecken, und ich hole ihn in Harburg an der Post ab. Es fahren ja immer Leute mit, die Ihr kennt und ein Auge auf ihn haben. Ich will Dich nicht erst in Harburg mit diesen Plänen bekannt machen ... Wir können ja noch am Dienstag etwas klönen.....

Ich habe Walter noch Stellingen versprochen. Wenn es gibt, vielleicht Circus oder so was, und die Stadt, die hiebt er ja glühend. So, das wäre das!

Und nun noch mal Schuhe aus folgenden Gründen. Ich nehme an, daß die schwarzen Halbschuhe nach dem Schuster schreien und doch ausgebessert werden müssen. In diesem Fall kann Grete sie gleich dabehalten, wenn sie sie will. Walter sind sie mit dickeren Strümpfen doch nun zu klein. Falls die braunen Halbschuhe noch lebensfähig sind und die Sandalen, kann er sie hier ja noch im Herbst tragen, hinterher kann Grete sie auch noch haben ... Und den Kleinen grauen Mantel kann Grete auch gleich dabehalten, den braucht er nun nicht mehr, und Gretes Lütte kann ihn vielleicht noch etwas tragen, und wenn es nur zum Spielen ist.

Und wenn sie das Hütchen will, kann sie es auch gleich behalten, er wird nun zu groß dafür, und man kann ja mal wieder was kriegen.

Walters Genossen sind (im Lesebuch) mit $. 29 fertig. Ich finde sein Lesen auch furchtbar, und dabei ist er der Beste! In der Kasse! ... Aber lies ihm das mal nicht vor, sonst verliert er den Mut! Wenn er erst mal lesen kann, mag er noch ein guter Schüler werden, denn er ist ja nicht dumm, aber das Lesen ist schlimm ...

Ich halte es nun immer höchst unpädagogisch so, daß er einige Seiten voraus ist, damit er den glänzenden Namen nicht beschattet, den seine Schwester geschaffen hat. Also übe auch Du man etwas weiter (im voraus)! Ich denke, dieses Unpädagogische schadet nicht so viel, als wenn die andern Kinder grausam sagen würden und die Lehrerin dazu womöglich: „Du bist dumm, und deine Schwester ist so klug.“ Da würde er ja eine Wut auf Wiebke kriegen und seine kleine Seele Schaden nehmen. Er steht ja so schon leicht im Schatten. Und das möchte ich nicht.

Ich glaube ja auch, daß er Verstand hat, und wenn erst mal lesen kann, wird er sich besser entwickeln. Wiebke war ja darin einfach ein Wunderkind, so sind wenige, und er hat 5 Wochen Pause gehabt und alles vergessen ..... Er kann aber famos auswendig lernen. Und sang er Euch eigentlich je etwas vor mit seinem süßen Stimmchen? ...

Sag mal, trinkt er nicht zu viel Milch? Ist das denn gut? ... Und mit dem Obst ist es eine Plage, da ist nichts zu machen, da ist er wie ein wildes Tier. Und frißt! Zum Glück, kann man hier Äpfel kaufen, da bin ich froh .....

Hier macht es nichts als regnen, und das Korn wächst aus und wird schwarz. Tante Else und ich sind wohl die einzigen im Dorf, die persönlich jetzt ... nicht so unter dem Wetter ächzen. Wir machen es uns in der Stube gemütlich ...

So, nun wieder allen Grüße ...

Für heute Schluß, aber wahrscheinlich demnächst mehr

Eure Claudia“

Ein Brief für mich lag anbei.

„Lieber Walter,

Du hast mir ja einen feinen Brief geschrieben. Vielen Dank! .....

Stell’ Dir vor, ich wußte gar nicht, daß Onkel Ernst auch so schöne Pflaumenbäume hat ... Ich kenne nur die Zwetschenbäume von Tante Adele. Davon habe ich auch schon gegessen. Hier werden wir Dir Äpfel kaufen. Aber Du weißt ja, gute Milch haben wir nicht. Schade, daß es so viel regnet, nicht? Wenn Dein Schuhwerk, nicht mehr gut genug für die 3 Tage in Harburg ist, so bitte Tante Hermine, mir das zu schreiben, dann bringe ich Dir gute Stiefel mit...

Wiebke bleibt ja noch lange weg, und Du bist noch länger Muttis Jung ganz allein. Da bin ich nachts nicht mehr so allein. Und dann lesen wir morgens wieder zusammen, nicht wahr? Aber nun sollst Du die letzte Zeit noch tüchtig genießen. Bleib gesund und vergnügt, und vor allen Dingen mußt Du nun immer ganz artig sein und immer gehorchen, mein Freundchen. Das weißt Du doch?

Viele Grüße schicke ich Dir, mein Jung,

Deine Mutti“

17.9.48

„Liebe Hermine,

unser Programm in Harburg durchliefen wir glatt ... Jedenfalls war Walter mit seiner Mutter zufrieden ...

Walter geht erst Montag zur Schule, da wir ihn hier noch einfuchsen mußten. Alle 2 Stunden muß er zum Lesen antreten bei Tante Else, mit gutem Erfolg. Er ist sehr gern wieder hier.

Mit dieser Karte muß sich Euer Haus erst mal begnügen. Ich komme nur noch schlecht zum Schreiben. Tante Else mußte mir was Furchtbares eröffnen: Sie hat Brustkrebs und muß Montag zur Operation nach Neumünster. Ich bin ganz erschlagen, die gute, alte Seele! Und - Oma weg. Schreiben darf ich ihr (das) nicht.

Nun bin ich dann hier allein und habe selten Zeit, nach Neumünster zu fahren. Jetzt wäre es leichter, wenn Walter noch bei Euch geblieben wäre. Er grüßt alle, besonders und am meisten Onkel Erich, der den allergrößten Platz bei ihm einnimmt.

In Eile

Eure Claudia“

Im Stapel der Briefe meiner Mutter an ihre Schwägerin Hermine befinden sich auch einige, die sie an ihre Mutter während deren Aufenthalts in England schrieb. Diese ergänzen ihre Schilderungen des täglichen Lebens in Homfeld. Merkwürdigerweise redet sie ihre Mutter mit „Oma“ an und unterschreibt selbst mit „Mama“. Sie nimmt hier wohl den Blickwinkel ein, aus dem wir Kinder die beiden Erwachsenen betrachteten.

24.9.48

„Liebe Oma!

Heut‘ kam Dein Brief vom 18. Ich sitze gemütlich im Sessel und benutze nicht die Maschine. Es ist abends und ein schöner warmer Ofen vor uns. Die letzten Tage brachten polare Kaltluft, es war scheußlich, dazu Schauer. Und in der Stube so eisig, daß es grausig war. Da habe ich den Ofen angemacht, er braucht ja jetzt noch nicht viel. Und warum soll man frieren bei so viel Holz und Briketts?

Gestern wurden neue annonciert, Herr Dierks wollte unsere mitbringen, aber Lohse hat sie ihm nicht gegeben.[27] Er brächte sie selbst. Stell’ Dir vor! Dienst am Kunden! Ich kann nur sagen, die Währung gefällt mir prima, so lange wir unsere Pensionen ... kriegen. Uns geht es ja viel besser... Du kriegst ja alles für Geld, sogar die Briketts gebracht!

Mittwoch heizte ich schon früh um 8 h, es war eklig draußen, und es wurden stundenlang die letzten Äpfel geschält, da sollte es wenigstens warm sein. Nun haben wir einen Zentner geschält und machen ... Schluß. Aber bilde Dir bloß nicht ein, daß der Beutel mit getrockneten (Äpfeln) so riesig ist! Immerhin mehr, als wir je hatten. Und der Fußboden bei Tante Else biegt auch voll.

Ich dachte, ich wollte ca. 50 Pfd. Boscop zum Kochen kaufen. Das ist Dir doch ... recht? ... Gestern fanden Walter und ich ca. 40 schöne Pfifferlinge ... Heute pflücken wir reife Bohnen ab. Das Wetter war zum Ernten schändlich, und dabei nehmen nun alle Kartoffeln auf für 4,-- DM den ganzen Tag. Ich bin froh, daß ich meine Taler schneller verdiene. Bloß habe ich noch nie Geld gekriegt! Die Sozis sind mir welche, dicke Gesetze und kein Geld! Walter sieht wohler aus, es geht ihm besser, und es gefällt ihm gut hier. Tante Else hest mit Engelsgeduld, Eifer und Geschick mit ihm, mit gutem Erfolg. Aus der Schule bringt er täglich eine große Portion Suppe, die ich esse. Er mag sie nicht, es ist immer Milchsuppe mit was Obstigem drin, das mag er nicht ...[28]

Zu Wiebkes Schularbeiten will ich ... vorschlagen, daß sie hier 8 - 10 Tage noch nicht zur Schule geht und zu Hause arbeitet. Rede ihr das man schon ein, denn sie soll sich ja nicht erst blamieren ... In einer Woche holt sie ja manches nach. Ist das ein Plan? Weißt Du, eine Kapitalabgabe kommt natürlich. Das ist ... der Lastenausgleich; aber der betrifft uns ja nicht, da wir doch zu den Geschädigten gehören. Wir sollen ja eher was kriegen ...[29]

Ich habe aus verschiedenen Gründen das Nötigste gekauft. Seit 2 Tagen steht der erste Schrank, im Flur ... Er hat 2 Bretter, also 3 Fächer, und ist bildschön, weiß lackiert, sticht allen in die Augen und ist sehr billig... Was werden sie erst zum nächsten sagen? Ich denke, der kommt in 1 1/2 Wochen. Mögen wir immer so viel zu essen haben, wie wir nun verstauen können! Viel Fleisch haben wir immer noch nicht, das ist noch knapp. So, ob Ihr nun noch zu Fred seid, Ihr 2 Reisetanten?[30] Ich bin ja gespannt!

Und von uns 3 nun viele Grüße an Euch und alle drüben! ...

Mama“

26.9.48

„Liebe Hermine,

Dank, für Deinen Brief! Gestern war ich bei Tante Else. Sie ist sehr tapfer und wird hoffentlich bald mit heiler Wunde entlassen... Den Arzt sah ich nicht. Vielen Dank, für Dein Angebot, Walter wieder zu nehmen. Falls es irgendwie nötig werden sollte, sage ich Bescheid, aber ich hoffe, es geht so. Ich habe ihn und seine Gesellschaft doch sehr gern hier. Er hat sich gut eingelebt, wir arbeiten schön und mit Erfolg zusammen, und so wird es schon gehen.

Gestern kam er unter einen Wagen, aber es ging gnädig aus, sein Fell ist an beiden Beinen stellenweise ab ... Nun soll er2 Tage liegen. Ich aber wurde mit dieser Botschaft empfangen, als ich zurückkam. Der Schreck sitzt mir noch in den Knochen. Es hätte leicht ganz schiefgehen können.

In einer Ecke meines Herzens erwarte ich Emma bald, es paßt jetzt so schön. Aber sie mag sich wohl nicht aufraffen. Sollte sie es aber doch erwägen, so muß es in der Woche bis zum 4. Oktober sein, da hinterher Tante Else wieder da ist, und der wird Besuch dann zu viel...

So, nun Dir und Emma viele Grüße!

Eure Käthe“

2.10.48

Meine Mutter kommentierte den Zeitungsartikel in einem Nachtrag zu ihrem Brief und informierte meine Großmutter, wie sie sich bei Ihrer Rückkehr aus England verhalten sollte.Aus der Zeitung siehst Du, daß es beinahe bei dem 5 %-Geld bleibt. Um die anderen 5 % betrügen sie uns nun auch. Man hat also tatsächlich kein Bankguthaben mehr hinter sich! ... Ich versuche, nach Hamburg zu kommen. Nur ein Notfall hält mich ab, ... nicht am Zug zu stehen. Für solchen Fall mußt Du Dich zu Tante Emma durchschlagen. Dein Geld reicht für Gepäckträger aus, und 2 Vorortfahrkarten schicke ich im nächsten Brief. - Käthe

„Liebe Oma,

ob Ihr nun eine schöne Zeit in Wales habt? So viel wie dieses Mal hast Du wohl noch nie auf einer Englandreise erlebt, was? Diese Fahrt muß ja wunderbar sein, und daß Onkel Fred sich nun auch zur Mitfahrt entschlossen hat, ist ja enorm! Wahrscheinlich fährt er Euch da auch etwas umher... Wie Wiebke das wohl alles verdaut? Ich freue mich auch so, daß Du von allen Deinen Geschwistern was gesehen hast. Nach all den letzten Jahren muß das doch fein für Dich gewesen sein. Du mußt ja nun Erzählstoff für den ganzen Winter... haben.

Nun will ich berichten, daß am Donnerstag das Kleiderpaket ... eintraf und gestern ein Eßpaket ... Das Mantelpaket war in bestem Zustand und enthielt denn wohl auch alles ... Dein eigener Mantel war aber nicht darin, sondern der braune, der blaugraue und der kleine blaue, 2 Wollhemden und eine schwarze Seidenbluse.

Nun zu den Mänteln: Wir finden hier alle, daß Du doch am besten den grauen tragen kannst ... Ich meinerseits würde am liebsten den braunen haben, er paßt mir wie angegossen .. Es sind ja beides sehr gute Qualitäten, auch der graue ist so weich und mollig ... Ich bin froh, noch einen zu Kriegen, denn mein oller blauer ist ja fürs Dorf schon bald zu schlecht ... Ich erinnere mich noch genau, wie Miss Wilson sich den braunen Mantel für die Italienfahrt 1937 kaufte und Dir dann davon erzählte. Damals mochte ich ihn nicht gern, er stand ihr auch nicht, und sie scheint ihn nicht viel’ getragen zu haben, denn er ist ja noch gut... Jetzt gefällt er mir sehr.

Das Wetter ist jeden Tag anders. In der letzten Woche habe ich viel gearbeitet, erst die Kartoffeln ... Sie ergaben die große Kiste voll... Dann habe ich aus allerlei Gründen schon die Stube wieder gründlich gemacht ..., und dann hatte ich große Wäsche gestern. Nun ist mein Buckel lahm von alldem Gewühle.

Und mit der Arbeit geht es denn auch so weiter, um so etliches für den Winter in die Reihe zu kriegen, wie Garten abernten, was ich ja nie gerne tat ...

Irgend etwas scheint es jetzt immer zu belaufen zu geben, ich habe immer zu tun, und die faulen Zeiten sind längst vorbei. Nun will ich noch an die Deern schreiben und Euch viel Schönes für die letzte Zeit wünschen, für alles, was Ihr noch unternehmt.

Und so schicken wir 3 Euch allen wieder Grüße!

Herzlichst Mama“

Ihrem Brief heftete meine Mutter den folgenden Ausschnitt aus den „Kieler Nachrichten“ bei. Er betraf die Währungsreform. Nach dem „Umstellungsgesetz“ waren Sparguthaben im Verhältnis 10 : 1 abgewertet worden. Von den umgestellten Guthaben, nun nur noch 10 % des bisherigen Nominalwertes, konnten bis zu einer Höhe von DM 500,-- über die Hälfte sofort verfügt werden. Die verbleibende Hälfte, mithin 5 % des ehemaligen Reichsmark-Betrages, wurde auf einem Festkonto blockiert. Darüber wurde wie folgt beschlossen (s. Zeitungsausschnitt zum sogenannten „Festkontengesetz“):

7.10.48

„Liebe Oma,

letzten Montag waren Walter und ich in Neumünster zum Zahnarzt. Bei der Gelegenheit fragte ich bei Fuhlendorf nach Gummistiefeln für Kinder. 80 bekäme er, und 8.000 könne er verkaufen, ich könne also nicht mit welchen rechnen ...

Heute kamen das zweite Futterpaket ... und Dein eingenähter Sack, Wir finden, daß doch noch allerlei Brauchbares in ihm enthalten ist, über die Verteilung kannst Du hier ja mitbestimmen. Jedenfalls habe ich mich gleich auf den kleinen niedlichen Rock, gestürzt, der wohl auch nur für mich sein kann. Die Schuhe passen Dir wohl nicht, mir scheint, Wiebke kann sie bald tragen. Zum übernächsten Vogelschießen werden sie ihr wohl passen. Hier ist allerlei zu belaufen. Die Kartoffeln bei Paul sind bestellt, er braucht keine Marken mehr, und so konnte ich 3 Kg weißen Zucker auf meinen Einkellerungsschein Kriegen. ... Mimi erwartet ein bebé und hat mir ihre Mütter-Milchkarte gegeben, 1/2 L. pro Tag. Ist doch schön! ...[31]

Bubi schrieb einen jammervollen Brief aus Berlin. Wann fängt denn nun der Krieg an?[32] Wohl, wenn Ihr wieder hier seid!

Tante Else mag ihre grüne Wolljacke im innersten Herzen ja nicht, und die weiße aus dem Sack ist auch nicht das rechte, am liebsten hätte sie ja dunkelblaue Wolle. Braasch hoffte (die) zu kriegen, es ist ihm aber nicht geglückt ... Es ist alles wieder knapper, das geht immer so hin und her.

Wir ernteten die Kürbisse, so an die 60 — 70. Und ich soll das alles unterbringen! So, Oma, ich weiß nichts mehr! Genießt noch die letzte Zeit und laßt Euch herzlichst von uns grüßen!

Mama“

9.10.48

„Liebe Hermine,

Tante Else ist seit dem 4.10. zu Haus und beginnt tapfer den neuen Alltag ohne jede Klage. Sie krabbelt herum, schläft bei mir, ist aber noch schonungsbedürftig, jedoch guter Dinge. Walter ist vergnügt. Jeden Tag arbeitet Tante Else mit ihm, sie ist recht zufrieden und versteht es gut.

Ich habe viel zu tun, da alles ja bei mir biegt. Oma schreibt von vielen interessanten Tagen. Sie wollen am 30.10. abends in Hamburg eintreffen, hoffentlich kannst Du da kommen.

Wiebke scheint doch viel’gelernt zu haben. Schularbeiten konnte sie nicht machen, das wäre zu viel gewesen. Ihre Reise nach Wales war auch fein, alles per Auto. War Deine Reise nett; schläfst Du besser?

Herzlich grüßen wir Euch alle.

Deine Claudia“

13.10.48

„Liebe Oma,

Dein Brief, vom 10. abgestempelt, war heute schon hier, schönen Dank! Walter dankt auch sehr. Eine Banane und Apfelsine würden für ihn ja ein Erlebnis sein, wenn Ihr das (mitbringen) könnt! Er kann es vor Sehnsucht bald nicht mehr aushalten und fragte mich gestern, nach wem ich mich am meisten sehnte, er nach seiner „‚Buhm“.[33] Ich wählte daraufhin Wiebke ... Er kann nicht begreifen, daß Ihr noch die 14 Tage bleibt, Ihr könntet doch mal schnell packen und kommen, meinte er.

Es geht ihm sehr gut ... Er nimmt 2 x (täglich) Lebertran, und der tut ihm sehr gut ... Er spielt den ganzen Tag. Die ganzen Pakete sind doch ein rechter Schatz und werden uns lange helfen, all die schöne Seife allein![34] Nach dem 1. Krieg haben wir uns auch jahrelang „Englisch“ angezogen, und nun wieder.

Weißes Nähgarn No 40 sei für Hohlsaum nötig (meint Tante Else), überhaupt etwas weißes Nähgarn für uns ...

Tante Else braucht ein großes Brillenfutteral. Sie behauptet, die gäbe es hier nicht, ich weiß es leider nicht, habe es nicht erforscht. Und ihr Traum ist ja dunkelblaue Wolke! Sonst haben wir wohl keine Wünsche. Ich schrieb ja schon, daß es mit Gummistiefen hier nichts wird, auch für Dich wohl kaum ...

Wir trafen in Innien unsern Tischler, er ist sehr nett zu mir. Der letzte große Schrank, ist geleimt, und ich kann hoffen, daß er in 14 Tagen hier ist, darauf freue ich mich. Wie gut, daß wir einen Kleiderschrank dazu haben, sonst wäre der englische Segen nicht zu bergen. Heute habe ich den ganzen Tag im Garten gearbeitet ... Es war heute selten schön. ... kaufte ich 50 Pfd. Boscop. Wir haben ja viel Geld an Äpfeln ausgegeben, aber das macht nichts. Ein besseres Lebensgefühl kriegt man eben nicht umsonst.“

Hier endet der Brief; merkwürdigerweise ohne Gruß und Unterschrift. Vielleicht fehlt auch ein Blatt.

3.11.48

„Liebe Emma,[35]

wir kamen gut hier an. Am Eingang des Dorfes erwartete Wiebke die halbe Dorfjugend, vor dem Haus die andere Hälfte. Sie ist hier ganz ruhig und sinnig. Bei Dir war sie glatt durchgedreht ...

Von der (englischen) Sprache hat sie enorm viel weg, sie kann auch fabelhaft lesen und schreiben und ist in meinem Unterricht glatt die Beste.[36]

Wir aber erlebten einen großen Schreck, Der Onkel, der alles bezahlte, bei dem sie 3 Monate waren, ist am Montag gestorben. Stell Dir bloß vor! Nun ist es mit dem Reisen aus für immer nach England. Meine Mutter ist ganz benommen. Das Einleben ist nicht ganz leicht!

Dir... 1.000 Dank!

Deine Käthe“

14.12.48

Homfeld bei Innien

„Liebe Emma und liebe Hermine,

heute werde ich Euch wieder gemeinsam einen rief schreiben. Ich glaube, daß Ihr dabei besser wegkommt, denn nun hat man vor dem Fest ja viel zu tun, auch an Briefen ... Zunächst danke ich Euch dafür, daß Ihr etwas für die Kinder (als Geschenk) wissen wollt. Ihr sollt Euch nicht in Unkosten stürzen, wir erhalten sowieso so oft von Euch Geschenke. Die Hauptwünsche habe ich beiden ja erfüllt. Ich glaube, es klingt nun sehr merkwürdig, aber freuen würden sich beide über 1 DM jeder. Mehr soll und braucht es nicht zu sein. Sie haben beide einen Sparfimmel für irgendeinen Traum ... Ich lege ihnen 1 DM von Euch hin, da habt Ihr keine Schickerei und macht ihnen doch eine große Freude. Bei uns laufen die Tage man nur so weg. Von Walter wäre zu berichten, daß der Groschen tatsächlich fiel und er nun auch an einen fremden Text einigermaßen ordentlich herangeht. Wir sind alle froh. Ansonsten ist er der gleiche Kerl, der mir oft am Tage die Luft wegnimmt.

Er sollte bei der Weihnachtsaufführung eine Rolle spielen, aber war zu schüchtern, um laut zu sprechen, und da hat der Lehrer ihn rausgeworfen. „Gott sei Dank, ich hatte solch Ärgernis damit“, erklärte er. Er ist ein Lauser!

Wiebke sollte die Hauptrolle kriegen und hätte sie sicher entzückend gespielt. Ich aber bat, sie gar nicht mitmachen zu lassen. In diesem Jahr hat sie genug zu verdauen gehabt. Nun Freut sie sich aufs Zusehen. Sie ist eine ernsthafte kleine Person geworden, setzt sich sofort an die Hausarbeiten und dann an die Bücher. Stundenlang liest sie allein für sich oder laut. Sie liest ... wie ein Erwachsener. Mit etwas Gewalt müssen wir sie allerdings ans Englische zerren; wie großartig hat sie das doch bloß gelernt! Nun muß sie aber weiterarbeiten, und sie mag ja lieber nur, was ihr so zufliegt. Na, ich überanstrenge sie auch nicht damit, aber sie muß diesen Schatz ja aufrechterhalten. Hier in der Stube hat sie also nur Hausaufgaben und Bücher vor. Dazu noch an die Luft gehen, und im Nu ist der Tag hin. Meiner Tante geht es gut; der Arm schmerzt zwar noch, aber uns erzählt sie das nicht. Sie arbeitet und rennt den ganzen Tag.

Meine Mutter hütet seit 14 Tagen wieder einen dollen Schnupfen, aber noch ging es ohne Fieber und Bronchitis ab, so daß sie doch auf ist und den ganzen Tag ihren Verrichtungen nachgeht.

Auch mein Tag ist voll, abends stricke ich. Die Schulstunden machen mir Spaß. Außerdem verdiene ich mir gern das Geld. Ich hatte zu Weihnachten große Ausgaben, denn alle Engländer sollten eine Kleinigkeit haben, die ich ja nun bezahlen mußte, denn meiner Mutter Pension reicht nur für das Tägliche, und außerdem mußte ich ja wenigstens das tun, wo alle so viel für Wiebke taten.

Wiebkes Hauptgeschenk, von mir ist eine Blockflöte, ihr großer Wunsch, dazu einige Stunden bei ihrem Lehrer, damit sie etwas mehr macht als nur Piepen.

Waliers Hauptgeschenk; ein Rodelschlitten ... Dazu kriegen sie zusammen „1001 Nacht“ und getrennt jeder noch andere Bücher wie „Heidi“ für Wiebke und kleine Bücher für Walter ...Meine Mutter lachte mich aus, als ich mit den „Sagen des klassischen Altertums“ von Schwab ankam, und ich legte sie also erst mal'weg. Die kriegt sie dann zum Geburtstag! Auch „Nils Holgerson“ liegt bereit. Wiebke kann man immer mit Büchern selig machen. So war ich auch und ihr Vater gewiß erst recht. Aber Ihr seht, daß meine Börse recht leer wurde, Nach Neujahr soll ein tolles Sparen bei mir losgehen. Es sind jetzt immer Angebote in der

Zeitung, daß man sich in einen Ausbau oder Neubau mit einkaufen kann. Darauf steure ich nun los. Auch diese Last liegt ganz bei mir ... Tante Else wird im Februar ihre Operationsschulden los, und dann muß sie helfen. Oma kann nicht mitmachen. In 2 Jahren will ich's schaffen. Hoffentlich glückt das! Ab Ostern werde ich ja mehr Stunden an der Schule haben, und verreist wird 1949 nicht ...

Wir kochen diesen Winter keinen Sirup; das ganze Dorf läßt in einer Sirupfabrik, Kochen, und daran beteiligen wir uns. Wir kriegen 50 Pfd. Das ist eine große Erleichterung. Heute holte ich unsere braunen Kuchen vom Bäcker, wir hießen ... dort backen, das ging prima. Den Teig rührten wir an ...

Eine Gans war leider zu teuer; aber einen Hahn gibt es. Ich habe Sehnsucht nach Schweinebraten, aber den gibt es ja nicht, vielleicht nächste Weihnachten. Zum Schluß wünsche ich Euch ein paar schöne Feiertage und ein gutes 1949 ... Hermine nochmals 1.000 Dank,, daß sie 1948 den Walter so gut betreute! An Berta und Ernst schreibe ich noch.

Und herzliche Grüße von uns allen 5 an Euch!

Eure Käthe“

Fussnoten

  1. Es machte sich am Schriftbild offensichtlich negativ bemerkbar, daß meine Schwester die 1. Klasse übersprungen hatte und ihr manche Schreibübung zur Schulung der Motorik fehlte.
  2. Es geht wohl um meinen Onkel Otto in Brasilien. In Hamburg wohnte meine Mutter einige Tage bei ihrer Schwägerin Emma.
  3. Geld und Sachwerte wurden auf dem „Schwarzen Markt“ gegen Lebensmittel eingetauscht.
  4. Meine Mutter übersetzte für andere im Dorf Briefe und Dokumente aus dem Englischen, die sie mit ihrer Schreibmaschine der Marke „Erika“ tippte. Als Entlohnung nahm sie Lebensmittel.
  5. Für die Sommerferien 1948 war ein Aufenthalt bei unseren bäuerlichen Verwandten für ein Kind oder uns beide im Gespräch. Wir sollten uns dort einmal richtig satt essen und erholen.
  6. Diese Bemerkung bezieht sich wohl auf Wiebkes letzten Aufenthalt in Schätzendorf.
  7. Mit „ihn“ ist ein Schinken gemeint. Meine Tante Hermine hatte den Anzug meines Vaters, von dem schon in den letzten Briefen die Rede war, in Schätzendorf gegen Fleisch, u.a. einen Schinken, eingetauscht. Ihn hatte meine Mutter in Harburg bei meiner Tante Emma abgeholt.
  8. In Rendsburg befanden sich die Behörden, die meine Mutter für die geplante Englandreise aufsuchen mußte.
  9. Anfang 1948 kehrten immer mehr Männer aus der Kriegsgefangenschaft zurück und benötigten Wohnraum.
  10. Damals erfolgte die Einschulung nach den Osterferien.
  11. Mein Onkel Otto hatte u.a. Bohnenkaffee in seinen Paketen geschickt, der, da es keinen zu kaufen gab, ein wichtiges Tauschgut, vor allem für Brennholz, darstellte. Holz wurde insofern knapper, da um Homfeld herum viel Wald als deutsche Reparationsleistung abgeholzt worden war. Der damalige „Kaffee“ war immer Ersatzkaffee, im Volksmund „Muckefuck“ genannt.
  12. Lebensmittel gab es bekanntlich nur auf Marken. Die einzelnen Abschnitte der Lebensmittelkarten enthielten Nummern, die nacheinander aufgerufen wurden. Danach erst konnte man die Waren auch kaufen.
  13. Der Mann meiner Tante Hermine, Rudolf Faust, war, wie so viele Lehrer, nationalsozialistisch belastet, hatte Berufsverbot und wartete auf einen Bescheid, ob er wieder in den Schuldienst übernommen würde.
  14. Für größere Anschaffungen wie einen Ofen benötigte man von der Behörde einen sogenannten „Bezugsschein“; erst bei dessen Vorlage im Geschäft konnte man den Ofen erwerben.
  15. Leider hatte der Arzt mit dieser Diagnose recht.
  16. Meine Mutter unterrichtete auf Bitten der Schulbehörde einige Stunden Englisch in der Homfelder Dorfschule. 1939 war sie wegen ihrer Heirat nach drei Jahren Unterricht als Studienassessorin aus dem Schuldienst ausgeschieden.
  17. Meine Großmutter und meine Schwester weilten zu der Zeit in England. Sie blieben dort nach meiner Erinnerung über drei Monate. Wiebke schrieb regelmäßig nach Hause.
  18. Im Juni 1948 war die lange erwartete Währungsreform durchgeführt worden. Die DM löste die bis dahin gültige Reichsmark ab und erwies sich als wertbeständig. Die Geschäfte füllten sich mit bis dahin gehorteten Waren, und die Wirtschaft nahm den erhofften Aufschwung. Allerdings zogen erst einmal die Preise an.
  19. Tante Girlie war eine Nichte meiner Großmutter. Bei ihr blieben sie und Wiebke einige Zeit während ihres Aufenthaltes in England.
  20. Bauer Dierks lebte mit seiner Familie auf einem benachbarten Bauernhof.
  21. „Tante Mimi“ bewirtschaftete mit ihrem Mann „Onkel Paul“ Ratjen den Bauernhof gegenüber.
  22. Anfangs hatte ich nach meiner Einschulung 1948 eine Frau Rauter als Lehrerin. Danach bis zu unserem Umzug nach Neumünster Herrn Zillen, der als Mitglied der NSDAP nach Kriegsende als Lehrer an der Homfelder Dorfschule entlassen worden war und erst nach seiner Entnazifizierung ab Sommer 1948 wieder eingestellt wurde.
  23. Onkel Erich war ein Bruder des Mannes meiner Tante, also ihr Schwager. Er lebte ebenfalls auf dem Hof der Familie Voss, war körperlich behindert und hatte viel Freude daran, sich mit mir die Zeit zu vertreiben.
  24. Meine Mutter spielt hier auf den berühmten Schweizer Musikclown Adrian Wettach (1880 — 1959) an, der unter dem Künstlernamen „Grock“, nicht „Grog“ , wie sie fälschlicherweise schreibt, auftrat. Sein Markenzeichen war der Ausruf: „Akrobat schööön!“
  25. Nach der Währungsreform wurde Schritt für Schritt die Zwangsbewirtschaftung von Waren aufgehoben. Benötigte man vorher eine bestimmte Anzahl von „Punkten“ auf den Bezugskarten für den Einkauf von Schuhen, so waren diese jetzt wieder frei im Handel erhältlich. Textilien z.B. kaufte man zuvor mit Hilfe einer „Kleiderkarte“, wobei für den Erwerb von einem Paar Socken weniger „Punkte“ als für eine Hose benötigt wurden.
  26. Die Brüder Ernst (‚Erni“) und Karl-Heinz („Koller“) Schröder wohnten im gleichen Haus wie wir, waren im gleichen Alter und meine Freunde und Spielkameraden.
  27. Bauer Dierks wohnte neben uns; Herr Lohse wir Kohlenhändler in Innien.
  28. Die sogenannte „Schulspeisung“ war 1947 auf Initiative des us-amerikanischen Ex-Präsidenten Hoover eingeführt worden. In der Homfelder Dorfschule wurde um 9.30 h eine Pause zum gemeinsamen Essen abgehalten.
  29. Als Hilfe für Vertriebene und Flüchtlinge sowie durch den Krieg Geschädigte waren Finanzhilfen zum Existenzaufbau, zur Hausratbeschaffung u.a. geplant. Die Mittel sollten durch eine Vermögensabgabe der Nichtgeschädigten bereitgestellt werden. Diese Maßnahmen wurden als „Lastenausgleich“ bezeichnet und mit dem „Soforthilfegesetz“ vom 8. August 1949 und dem „Lastenausgleichsgesetz“ vom 14. August 1952 gesetzlich geregelt.
  30. Fred war ein Bruder meiner Großmutter.
  31. Mit „Paul“ ist der gegenüber wohnende Bauer Paul Ratjen gemeint, mit dem und dessen Frau „Mimi“ wir auf freundschaftliichem Fuß standen, auf deren Bauernhof wir Kinder spielten und die wir mit „Onkel Paul“ und „Tante Mimi“ anredeten, obwohl keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen bestanden. Die Familie Ratjen benötigte verständlicherweise keine Milch auf Lebensmittelkarte, da sie eigene Kühe hatte.
  32. „Bubi“ ist der Spitzname eines Studienkollegen meiner Mutter namens Müller, der damals in Berlin lebte. Die Blockade West-Berlins durch die Sowjetunion erzeugte allgemeine Angst vor einem erneuten Krieg.
  33. „Buhm“ nannte ich meine Großmutter.
  34. 5 Mit Grauen denke ich an die rauhe graufarbene Nachkriegsseife zurück, mit der man sich eher die Haut vom Körper schmirgeln als gründlich waschen konnte.
  35. Meine Mutter holte meine Großmutter und Wiebke, die aus England zurückkamen, in Hamburg vom Zug ab. Danach fuhren alle zu meiner Tante Emma in Harburg. Danach ging es erst nach Homfeld. Daher ist diese Postkarte an meine Tante Emma gerichtet.
  36. Meine Mutter unterrichtete in der Homfelder Dorfschule Englisch, woran Wiebke, obwohl erst in der dritten Klasse, teilnahm, um ihre gerade erworbenen Kenntnisse nicht zu verlieren.