Archiv:Briefe meiner Mutter 1950

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BRIEFE MEINER MUTTER 1950

Wasbeker Straße 103, am 8.8.50

„Liebe Hermine,

nun habe ich es endlich geschafft, einen Bericht von unserm Umzug zu geben. Ich denke, daß Ihr, Du oder Emma, oder Du und Emma doch mal herkommen werdet, um Euch unser neues Heim zu besehen, denn ich selbst bin von hier so leicht nicht wegzukriegen, da mir jede Stunde in meiner Stube immer noch wie ein Geschenk ist. Wir sind alle sehr gern hier. Walter ist immer wieder wie ein Wiesel davongewetzt, er scheint sich blendend zu unterhalten mit allerlei Gefährten draußen.

Von Wiebke kann man das nicht so sagen, sie hat in der Nähe noch nicht so viel Freundschaft. Und im übrigen ist sie wieder die erste, die auf einem Krankenlager biegt. Die Masern haben sie erwischt, gestern und heut hat sie ihre bösen Tage, mit fast 40 Fieber, sie liegt ganz teilnahmslos in ihrem Bett. Die arme lütte Deern! Nun müssen wir arg aufpassen, daß nicht noch was hinzukommt ... Sie schwamm so vergnügt jeden Morgen im Bad und konnte schon fein schwimmen, nun muß sie ihre Ferien dafür hergeben, und Walter wird sicher gleich folgen.

Hier wird „Gabriele“ mit Zarah Leander gegeben, dahin gehe ich heute in die Nachtvorstellung. Da paßt es mir am besten, da die Kinder dann besorgt sind. Oma schläft Ja bei Wiebke, und ganz so schlecht wie gestern fühlt sie sich nicht mehr. Einen Bauplatz habe ich noch nicht finden können, es ist ganz furchtbar schwer. Mir gefällt in dieser landschaftlich doch absolut reizlosen Stadt nach der schönen Homfelder Natur nicht so leicht was. Ich habe auch mein Geld furchtbar ausgegeben und könnte jetzt nur schwer etwas bezahlen.

Vielleicht gibt es ja noch mal eine Nachzahlung, aber sicher ist mir das absolut nicht. Die höheren Beamten kriegen kaum mehr etwas dazu, scheint mir.

Ich habe ganz große Mühe, hier im Monat noch etwas überzusparen. Es war nur gut, daß ich das in Homfeld so eisern durchgeführt habe. Jedenfalls habe ich nichts auf Pump gekauft und keine Schulden, wie fast alle Leute, die sich neu einrichten. Nun will ich auf eine Sommerreise für das nächste Jahr sparen. Walter ist so wild hinter Fischen her, der sol mal nach Büsum, das wäre was für ihn. Er angelt mit Leidenschaft. Ich finde Fische ja zu blöd, er bleibt bei jedem Laden stehen, und die Fische auf dem Markt machen ihn ganz wild.

Er ist überhaupt ein Kerl! Und immer hübscher wird er auch noch, es ist direkt ein Genuß, ihn anzusehen, find“ ich.

(Wiebke) ist nun kein kleines Kind mehr. Die Schule strengt sie sehr an, es ist jedoch ein anderes Tempo, und von ihrem höchsten Thron wird sie auch herunterkommen, sie muß sich doch erst eingewöhnen. Im Englischen kann sie sicher mehr als ihre Lehrerin, nehme ich an, aber das wird diese ja nicht so merken.

Ich passe bei beiden Kindern tüchtig auf die Schularbeiten auf, das nimmt viel Zeit weg. Das eine Kind hat morgens Schule, das andere am Nachmittag.[1] Es ist ein buntes Leben und nicht so gemütlich wie im Dorf, auch für mich nicht. Wiebke muß hier doch anders ran, nur gut, daß sie das vor der Aufnahmeprüfung (zur Oberschule) noch zeitig merkte, deshalb wollte ich auch jetzt in die Stadt.

So, nun hoffe ich, daß Emma etwas von ihrer Reise gehabt hat ... Mittenwald kennen wir sehr gut. Und meine Mutter hatte besondere Freude an den Karten. Sie war doch dort öfter und ich mit ihr. Am liebsten aber mögen wir Oberstdorf. Das muß sie auch mal probieren. Nun grüßen wir Euch alle herzlich.

Deine Claudia“

Fussnoten

  1. An vielen Schulen herrschte noch weit bis in die 50er Jahre Raumnot, der man mit Schichtunterricht am Vor- und Nachmittag begegnete.