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Der Viehhändler
Nach Böken kam 1950 ein neuer Viehhändler, es war Ernst Beer. Der gelernte Schlachter hatte nach dem Krieg in Wesselburen, Weddingstedt und Heide gearbeitet und ein Mädchen aus Böken geheiratet. Aber es war schwer, eine Wohnung zu bekommen. Auch war der Schlachterberuf nicht das Ideale für Ernst. Das Haus der Schwiegereltern war groß genug, und das junge Ehepaar zog in Böken ein. Was nun aber machen? Den Viehhandel kannte Ernst durch seinen Vater aus seiner Heimat Schlesien, und er meinte, Viehhändler wäre das Richtige. Plattdeutsch würde er auch wohl noch lernen. Zu der damaligen Zeit mußte ein Viehhändler von Beruf Schlachter sein. Das waren natürlich Pluspunkte. Zweitausend DM Startkapital hatte er mit Schwarzschlachten in Dithmarschen verdient und mitgebracht.
Als Fremder war es natürlich gar nicht so leicht, ins Geschäft zu kommen. Willi Wichmann hatte ihm auch noch ein bißchen Angst eingejagt. Der sagte: „Wenn du mit Tetje Frahm ins Geschäft kommen willst, mußt du vorsichtig sein. Entweder mag er dich, dann kocht Minna Frahm für dich Kaffee, oder er mag dich nicht, dann wirst du mit der Peitsche vom Hof gejagt." Die erste Zeit hat er sich vorsichtshalber nicht bei Frahm sehen lassen.
In der Gastwirtschaft Hannes Rohwer trafen sich die Viehhändler und Bauern jeden Tag. Hier wurden Geschäfte abgewickelt, Vieh gewogen und bezahlt. Auch Tetje Frahm kam eines Tages in die Gaststube. Er sagte zu Ernst Beer: „Na, und du büst de nie Veehhändler? Denn laat di man ok mal bi mi op'n Hoff sehn". Ernst antwortete: „Ich komme in den nächsten Tagen." Die Woche darauf fuhr Ernst zum Helenenhof. Das erste, was Tetje sagte, war: „Minna, kook man mal'n Taß Kaffee för uns beiden."
Da wußte Ernst, er würde nichts mit der Peitsche bekommen. Tetje und Ernst gingen auf die Koppel, und zwei schwere schwarzbunte Kühe wechselten per Handschlag den Besitzer. Über den Preis hat Ernst immer wieder nachgedacht. Er wußte nicht, ob er jetzt eine oder beide Kühe für den niedrigen Preis gekauft hatte.
Tetje hatte aber auch gesagt: „Du bust flietig und mußt ok wat bi mi verdeenen." Der Spediteur brachte die beiden Kühe und bekam einen Scheck über die vereinbarte Summe für Tetje Frahm mit. Zwei Tage später war Ernst wieder auf dem Hof von Frahm. Tetje Frahm sagte ganz trocken: „So, Ernst Beer, nu geiht't för rejell."
Seitdem war das Verhältnis zu Minna und Tetje Frahm freundschaftlich. Ernst bekam stets Kaffee, wenn er zur Kaffeezeit auf dem Hof war. Er hat auch nie gesehen, daß jemand mit der Peitsche vom Hof gejagt wurde.