Archiv:Erdhütten in Holstein

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Abb.1 Erdhütte
Abb.2 Erdhütte des "Amtsvorstehers"
Abb.3 Erdhütte

Erdhütten in Holstein, von Wilhelm Looff, in Globus - Illustrierte Zeitschrift für Völker- und Länderkunde, 85. Band, S. 169f, Braunschweig 1904, Mit 3 Abbildungen nach photographischen Aufnahmen des Verfassers.

In mehreren Balkanstaaten, z. B. in Bulgarien und Rumänien, sowie im südlichen Rußland bilden Erdhütten noch jetzt häufig die ständige Unterkunft der ärmeren Landbevölkerung. Daß aber selbst in einem Lande von dem Kulturzustande Deutschlands noch Hütten in gößerer Anzahl vorhanden sind, die Wohnungen aus prähistorischer Zeit fast vollständig gleichen, dürfte vielfach nicht bekannt sein.

Eine ganze Ansiedlung solcher Bauten befindet sich in Holstein, im Kreise Segeberg, in der Nähe des kleinen Ortes Lentföhrden, einer Station der Eisenbahn von Altona nach Bramstedt. Etwas östlich von diesem Dorfe zieht sich ein mit Laub- und Nadelwald bestandener niedriger Höhenzug hin, an dessen südlicher Abdachung die Hütten, 14 an der Zahl, liegen. Wer mit den dortigen Verhältnissen nicht bekannt ist, kann beim ersten Anblick eines derartigen Baues wohl über dessen Zweck und Bestimmung im Zweifel bleiben. Einige Bauten sind direkt neben einem Feldwege errichtet, der zwischen dem Südrande des Waldes und einer hohen Hecke (im Holsteinischen „Knick“ genannt) hinführt, die übrigen liegen dagegen unregelmäßig im Gebüsch verstreut, und nur ein schmaler Fußpfad führt zu ihnen.

Zehn Hütten, die dicht beieinander stehen, bilden die Kolonie „Eichheim“, während vier etwas entferntere nach ihrem ältesten Bewohner mit dem Vornamen Claus die Bezeichnung „Clausberg“ (plattdeutsch Claasbarg) tragen. In genannter Kolonie hat sich ein Besitzer auch ein Hühnerhaus und einen Schweinestall geschaffen, die beide aus einem niedrigen, mit Zweigen durchflochtenen Holzgerüst bestehen und mit Stroh gedeckt sind.

Das Schwein, das sich ebenso wie das Hühnervolk am Tage öfter im Walde umhertreibt und nur während der Abwesenheit des Eigentümers oder des Nachts eingesperrt wird, hat sogar eine gewisse Dressur aufzuweisen. Auf einen bestimmten Pfiff seines Besitzers kommt es aus dem Gebüsch herbei; den Befehl, sich in seinen Stall zu begeben, befolgt es sofort, und erst nach erfolgter Genehmigung oder Aufforderung wagt es sich wieder aus ihm hervor.

Die Erdhütten sind durchweg rechteckig gebaut und alle mehr oder weniger tief in die Erde oder mit ihrer Rückseite in den Bergabhang eingegraben. Bei einigen ragt der Dachfirst kaum über den Erdboden empor, so daß man die Hütten schon fast als Erdhöhlen zeichnen kann.

Die Aufführung und Einrichtung derartiger Baulichkeiten erfordert gar keine oder nur verschwindend geringe Kosten, da der umliegende Wald fast das ganze nötige Material unentgeltlich liefert. Die Hütten werden in der Art gebaut, daß zunächst der Erdboden in entsprechender Tiefe — meistens 2 bis 4 Fuß — ausgehoben oder eine Höhlung in den Bergabhang eingegraben wird. (Abb. 1). Über der so entstandenen Grube errichtet man aus Pfählen und Baumstämmen ein starkes dachförmiges Gerüst, das mit Zweigen durchflochten und von außen zuerst dicht mit kleineren Ästen und Laub und danach mit der vorher ausgehobenen Erde bedeckt wird. Obenauf kommen ausgestochene Rasenschichten (im Plattdeutschen „Plaggen“ oder „Bült“ genannt) zu liegen. Im Sommer bildet das Dach der Hütte daher stets eine grüne Grasläche. Vorder - und Hinterwand werden, sofern letztere nicht in den Berghang eingegraben ist, durch übereinander geschichtete Rasenstücke gebildet .

Jede Hütte enthält nur einen Raum, der etwa 3 bis 3 1/2 m lang, 2 bis 2 1/2 m breit und 1 1/2 bis höchstens 2 m hoch ist, so daß man oftmals kaum aufrecht in ihm stehen kann. Der Fußoden wird durch die bloße Erde gebildet. Die Decke, sowie sämtliche Innenwände sind mit leeren Säcken bekleidet, um ein Herabfallen von Sand oder Erde zu verhüten. Fast das ganze Mobiliar ist aus Baumästen, Pfählen und Brettern hergestellt. Den Hinterraum der Hütte nimmt gewöhnlich die Lagerstatt ein, die mit ihren Eckpfeilern in dem Erdboden festgerammt ist. Zum Füllen der Betten werden getrocknete und in Säcke gestopfte Farnkräuter benutzt, die zugleich die gute Eigenschaft haben sollen, daß sie durch ihren Geruch Insekten und Ungeziefer aus der Wohnung fernhalten.

Im vorderen Teile des Raumes finden sich vor: ein Stuhl, mehrere Kisten — die als Tisch oder Schrank Verwendung finden — und eine primitive, aus Feld - oder Ziegelsteinen errichtete Feuerstätte. Eine schadhafte, durch das Dach geführte Oferöhre dient als Schornstein. Dieser wird bei feuchtem Wetter durch einen umgekehrt auf die Außenöffnung gestülpten Topf verschlossen, um dem Hereinregnen vorzubeugen (Abb. 3). Ein anscheinend besonders kunstsinniger Bewohner hat sich sogar einen praktischen Rauchabzug durch mehrere bodenlose, aufeinander getürmte Blecheimer, die nach oben hin immer kleiner werden, geschaffen.

Da die Erdhütten vorzugsweise nur zum Schutze gegen die Kälte dienen sollen, so erhalten sie so wenig als möglich Öffnungen nach außen. Fenster sind daher meistens gar nicht vorhanden. Die Tür ist aus alten Brettern und Kistenteilen zusammengenagelt und wird im Winter dicht mit Säcken überkleidet. In der Nähe der Ansiedlung fließt ein kleiner Bach vorbei, der das nötige Wasser zum Kochen und Waschen liefert.

Vor oder neben jeder Hütte, wie es die Natur des Ortes eben mit sich bringt, ist ein kleiner Garten angelegt, auf den die Besitzer meistens sehr viel Sorgfalt verwenden; doch werden die Anpflanzungen öfter von böswilliger Hand oder von den zahlreich in den Wäldern hausenden wilden Kaninchen geschädigt.

Die Bewohner der Erdhütten stammen vorwiegend aus den östlichen Provinzen Deutschlands; sie finden in einem, in der Nähe ihrer Behausung gelegenen Steinbruch Beschäftigung. Ihr Verdienst beträgt bei schwerer und anstrengender körperlicher Arbeit stündlich 20 Pfennig.

Im Sommer arbeiten sie wochentäglich 10, im Winter dagegen nur 9 Stunden. Mit Ausnahme eines einzigen, der verheiratet ist, führen die Erdhüttenbewohner alle eine Junggesellenwirtschaft. Zur Herrichtung und Einnahme des Mittagsmahles steht ihnen nur eine Stunde Zeit zur Verfügung. Sie kochen sich daher in der Regel ihre Speisen schon am Abend vorher fertig und wärmen sie am Mittag nur rasch auf, sofern sie nicht gänzlich mit kalter Kost, die häufig aus Brot, Kartoffeln und Heringen besteht, vorlieb nehmen. Als Getränk dient gewöhnlich Branntwein. Der Alkohol spielt überhaupt im Leben dieser Leute eine ziemlich große Rolle. Jeden Morgen nehmen sie eine bestimmte, nicht zu knapp bemessene Quantität mit zur Arbeitsstätte, und an Sonntagnachmittagen versammeln sie sich häufig in oder, wenn die Witterung es zuläßt, vor einer Hütte oder im Walde und singen ein Liedchen mehrstimmig, jedoch nicht besonders melodisch, wobei die gefüllte Schnapsflasche im Kreise herumgeht und ihr Inhalt oft zum Anfeuchten der trocken gewordenen Lippen und Kehlen benutzt wird. Die Folgen bleiben aber auch nicht aus. Am Montag früh erscheint nicht selten nur die Hälfte der Leute zur Arbeit. Die übrigen machen „blau“ und trinken weiter, wenn sie noch Geld in der Tasche haben. So geht ihnen auch noch ihr kärglicher Arbeitsverdienst für diesen Tag verloren.

Die Erdhüttenbewohner bilden gewissermaßen eine kleine Gemeinde für sich. Der älteste Mann der Ansiedlung wird gewöhnlich von den andern schweigend als Oberhaupt anerkannt. Er scheint sich nicht wenig geschmeichelt zu fühlen, wenn er von auswärtigen Besuchern mit dem Titel „Herr Amtsvorsteher“ angeredet wird. Seine Hütte (Abb. 2) ist die größte ihrer Art; er teilt sie mit einem Arbeitskameraden, einem Taubstummen. In ihr findet sich gar ein Bettvorleger in Gestalt eines Ziegenfelles, ein Luxusgegenstand, wie ihn sich allerdings nur der „Herr Amtsvorsteher“ leisten . Über der Hütte flattert, vielleicht als Zeichen der besonderen Stellung und Würde ihres Eigentümers, an einer hohen Stange eine kleine Fahne. Sämtliche Erdhütten sind ohne Zweifel nur aus dem Grunde errichtet, weil ihren Erbauern und Bewohnern die nötigen Mittel zur Erwerbung und Einrichtung größerer und zeitgemäßerer Wohnungen fehlen. Manche Leute hausen schon über 15 Jahre in einem solchen Bau und sind wohl und munter dabei. Dies dürfte als Beweis dienen, daß der ständige Aufenthalt in den Erdhütten nicht allzu ungesund sein kann .

Zeitungsberichte 1910 bis 1936:

Die Erdhüttenbewohner von Lentföhrden

Die Erdhöhlen und ihre Bewohner waren jahrelang ein beliebtes Ausflugsziel, von dem es sogar Ansichtskarten gab.

aus: Chronik des Dorfes Lentföhrden, Kreis Segeberg, Offizielle Veröffentlichung der Gemeinde Lentföhrden, Selbstverlag 2015

Als in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts viele Provinzialchausseen ausgebaut wurden[1], musste man sich oft das Material von weit her holen. Weil dies den Bau wesentlich verteuerte, ging man daran, näher gelegene Lager zu suchen und auszubeuten. So fand man auch in der Gemarkung Lentföhrden, östlich der Bahn, eben unter der Erdoberfläche viele große und kleinere Findlinge. Eine Quickborner Firma übernahm die Ausbeute dieses Lagers. Als Arbeiter wurden vorwiegend Handwerksburschen eingestellt. Hier wurden sie allgemein die "Monarchen" genannt.

Zuerst wohnten sie im Gasthaus "Stadt Kiel" in Langeln, etwa 10 km von der Arbeitsstelle entfernt. Das Mittagessen wurde dort in einer Gemeinschaftsküche gekocht und ihnen mit einem Handwagen nachgebracht. Weil aber vielen von den schon teilweise älteren Leuten der tägliche Anmarschweg zu weit war, siedelten sie sich nach und nach hier an. Da sich die "Monarchen" auf Grund langer Erfahrungen darüber klar waren, dass von dem verdienten Geld außer für Alkohol nur noch etwas für das tägliche Essen übrigbleiben würde, mussten sie sich nach einer eigenen Behausung umsehen. Zu dem Zweck bauten sie sich Erdhütten. Man kann wohl sagen, dass damit die eigenartigste Siedlungsform begann, die Lentföhrden je erlebt hat. Die Hütten entstanden hauptsächlich in den Eichenkratts am Nützer Weg und an dem den Wiesen zugekehrten Waldburgabhang. Einer dieser Arbeiter war verheiratet, es war Karl Haupt. Weil er aus Sachsen war, wurde er kurz "de Sachs" genannt. Von seiner Frau wird erzählt, dass sie ihm im Trinken nichts nachgab.

Der letzte Vertreter dieser Erdhüttenbewohner war der alte Adler, der sein Leben mit Flechten von Mulden und Körben sowie dem Verkauf von Ansichtskarten seiner Hütte fristete. (Siehe beiliegende Bildmappe.) Er starb erst um das Jahr 1930. Die damals geworbenen Steine wurden an Ort und Stelle geschlagen und mit Pferdefuhrwerken an den Verwendungsplatz gefahren. Der Waldburgweg führte damals noch über den Wessel'schen Hof (heute Heinrich Böge), der dann auch von den dauernden schweren Lastfuhren dementsprechend zerfahren war.

Einzelnachweise

  1. 1832 wurde die durch die Gemeinde führende Bundesstraße 4 als Altona-Kieler-Chaussee fertig gestellt. Die L320 (früher B 433) folgte 50 Jahre später und ist heute Lentföhrdens schnelle Verbindung an die A 7. Die Erdhütten sind Überbleibsel dieser Bauzeit.