Großer Bombenlegerprozess von Altona

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Der Prozess fand deutschlandweit Beachtung
Claus Rathjen wurde schon 1929 wegen Beleidigung straffällig

Im großen Bombenlegerprozess von Altona wurde im Oktober 1930 der Bargfelder Landwirt Johannes Rathjen (*1886) zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt[1]. Unter dem Anführer Claus Heim hatten außer ihm noch mehr als zehn weitere Vertreter des radikalen, terroristischen Flügels der Landvolkbewegung in der Zeit von Mai bis September 1929 dreizehn Sprengstoffanschläge auf staatliche Gebäude verübt. Offenbar wurde dafür auch auf dem Hof von Rathjen Sprengstoff versteckt oder zu Bomben verarbeitet[2].

Vorgeschichte

Im September 1928 verkündete der Dithmarscher Landwirt Claus Heim öffentlich in der Regionalzeitung Heider Anzeiger, dass er den bestehenden Staat ablehne und deshalb keine Steuern mehr zahlen würde („Von heute ab zahle ich keine Steuern mehr!“), und forderte seine Standesgenossen auf, es ihm gleichzutun.[3] Bei der norddeutschen Bauernschaft fand er mit dieser Forderung starke Resonanz. Den Staat der Weimarer Republik lehnte Heim dabei unumwunden als ein „politisches System, das den freien Bauern vernichten will“ ab.

Wer in der Reichshauptstadt an die Macht kam, hatte automatisch die Marschenbauern gegen sich. Resümiert Zeithistoriker und spätere Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg: »Als in Berlin monarchisch-konservativ regiert wurde, wählte die periphere Provinz demokratisch und sozialistisch. Nach der Revolution von 1918 begann in einer sich steigernden Opposition zum neuen Regierungssystem die Wendung zur deutschnationalen Rechten und schließlich zum völkisch-nationalsozialistischen Radikalismus.«[4]

Am 19. November 1928 verhinderten über 200 Bauern die Pfändung von zwei Ochsen in Beidenfleth, die zwangsversteigert werden sollten, um die rückständigen Gemeindesteuern des Besitzers zu bezahlen. Aus Solidarität lehnten die Viehmärkte in Hamburg und Altona den Verkauf von gepfändetem Vieh ab.

Die Boykottbewegung der Bauern gegen die Zwangsversteigerung von Vieh und Höfen gipfelte schließlich in einer Serie aus dreizehn Sprengstoffanschlägen, die Heim und seine Anhänger in der Zeit von Mai bis September 1929 auf staatliche Gebäude verübten. Der Hauptmann a.D. Hans Nickels aus Heide in Holstein hatte 50 Kilo Ammonit-Sprengstoff und 700 Sprengkapseln - das Rohmaterial für die ersten Bomben - aus der Pulverkammer eines Steinbruchs bei Mülheim/Ruhr gestohlen. Der als national gerühmte Holländer, Mitglied des Stahlhelm-Bundes, wurde für vertrauenswürdig befunden, die Beute zu verstecken. Das Ammonit wurde dann von seinem Hof an der dänischen Grenze nach Hamburg gebracht, wo es in einem, in der Friedensstraße gelegenen Maleratelier, zu Bomben mit einem Gewicht von je vier Kilogramm verarbeitet wurde. Später wurden an vielen Orten in Schleswig-Holstein Bomben gebastelt. Das vom Hauptmann Nickels erbeutete Ammonit war schnell verbraucht, mithilfe von Leukoplast formten die Landleute nun aus Schwarzpulver neue Sprengkörper, Draht verband jede Sprengkapsel mit einer Taschenlampenbatterie und dem Läutewerk eines Weckers[5].

Die mit den Bomben verübten Anschläge, die wohl vor allem demonstrativ gemeint waren, richteten erhebliche Sachschäden an, waren aber darauf angelegt, niemanden zu töten oder zu verletzen. Anschlagsziele waren unter anderem Landratsämter, Dienstwohnungen von Beamten und sogar die Redaktionsräume einer der Landvolkbewegung kritisch gegenüberstehenden Zeitung. Betroffen waren unter anderem die Städte Rendsburg, Niebüll, Schleswig, Itzehoe, Bad Oldesloe, Lüneburg und Neumünster. Hinzu kam der sogenannte Tumult von Neumünster vom 1. August 1929 anlässlich der Haftentlassung von Wilhelm Hamkens, der wegen seiner Aktivitäten in der Landvolkbewegung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Wegen des rabiaten Vorgehens der Polizei bei dem Tumult wurde die Stadt Neumünster ein Jahr lang von den Bauern boykottiert. Am 1. September 1929 wurde Heim durch die Unvorsichtigkeit eines seiner Komplizen gefasst.

Prozess 1930

Bericht über die Anklage

Vom 26. August bis 31. Oktober 1930 wurde gegen Heim und einige Mittäter im sogenannten Großen Bombenlegerprozess von Altona verhandelt. Die Beschuldigten wurden von Oberstaatsanwalt Gollnick wegen 13 Attentaten angeklagt, der Anschlag gegen das Reichstagsgebäude und ein Anschlag gegen den Schulrat von Hohenwestedt wurden in eigene Verfahren abgetrennt[6]. Insgesamt wurden mehr als 100 Zeugen gehört. Der Prozess, in dem die Angeklagten sich demonstrativ unkooperativ verhielten (Heim weigerte sich, im Gerichtssaal auch nur ein Wort zu sprechen), endete am 31. Oktober 1930 mit der Verurteilung Heims zu einer siebenjährigen Zuchthausstrafe. Er erhielt unter den insgesamt 15 Angeklagten zusammen mit Herbert Volck die höchste Strafe. Da das Gericht Heim als Überzeugungstäter mit honorigen und selbstlosen Grundmotiven ansah und er bestrebt war, Todesopfer zu vermeiden, fiel das Strafmaß verhältnismäßig milde aus. Der Angeklagte Bruno von Salomon wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen, drei weitere Mittäter bekamen Geldstrafen. Später im Jahr 1930 wurde vor demselben Gericht der zweite sogenannte kleine Bombenlegerprozess verhandelt, in dem die Anschläge von Neumünster und Bad Oldesloe den Verhandlungsgegenstand bildeten. Die Urteile[7]:

Name Strafantrag Urteil Name Strafantrag Urteil Name Strafantrag Urteil
Heim 10 Jahre Zuchthaus 7 Jahre Volck 10 Jahre Zuchthaus 7 Jahre Vieck 8 Jahre Zuchthaus 8 Jahre
Schmidt 6 Jahre Zuchthaus 5 Jahre+3 M. Becker 7 Jahre Zuchthaus 5 Jahre+3 M. Johnsen 7 Jahre Zuchthaus 8 Jahre
Hennings 6 Jahre Zuchthaus 5 Jahre+3 M. Luhmann 5 Jahre 7 Jahre Rathjen 2 Jahre Zuchthaus 1 Jahr
Manecke 5 Jahre Zuchthaus 1 Jahr Rieper 5 Jahre Zuchthaus 1 Jahr+3 M. Nickels 7 Jahre Zuchthaus 2 Jahre+6 M. Gefängnis
Wiborg 1 Jahr Gefängnis 1 Jahr+3 M. Holländer 1 Jahr Zuchthaus 4 Monate Gefängnis Gossen 6 Monate Gefängnis 4,5 Monate
Hamkens 3 Monate Gefängnis 500 Mark Wäschke 5 Jahre+1 M. Zuchthaus 50 Mark Matthes 3 Monate Gefängnis 50 Mark

Auch während der Haft verhielt sich Heim weiterhin dem „System“ gegenüber unkooperativ: Er habe, so ein Beobachter, „den Fanatismus des Revolutionärs“ besessen, „der im Kerker des Feindes die Richtigkeit seiner Idee nur bestätigt“ gesehen habe.[8][9]

„Die ethischen Werte, die der Zusammenhang von Blut und Boden erzeugen muß, werden nirgends mehr klar erkannt. ... Auch die unzertrennliche Verbundenheit von Religion und Rasse muß unserm nordischen Bauernvolk als dem echtesten Vertreter arischer Rasse wieder zum Bewußtsein gebracht werden. Die Unkenntnis dieser Tatsache ist letzten Endes der Grund unseres Zus[ammen]bruchs.“

Claus Heim, Brief aus dem Gefängnis Moabit an Johannes Reimers vom 29. November 1929

Ihre Solidarität mit dem Gefangenen Heim bekundete vor allem die jeweilige Parteipresse der radikal-staatsfeindlichen Parteien NSDAP und KPD.

Einzelnachweise

  1. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre gefordert
  2. Zeitungsbericht, in dem Johannes Rathjen namentlich erwähnt wird und die Lagerung von 10 Kilogramm Sprengstoff in Bargfeld
  3. Hans-Hermann Wiebe: Schleswig-Holstein unter dem Hakenkreuz, 1984, S. 47.
  4. Gerhard Stoltenberg: Politische Strömungen im schleswig-holsteinischen Landvolk 1918 - 1933. Ein Beitrag zur politischen Meinungsbildung in der Weimarer Republik. Droste Verlag, Düsseldorf; 218 Seiten
  5. Landvolkbewegung - Der Väter Kampfnatur, Bericht über die Anschläge in einer Spiegel-Ausgabe aus dem Jahr 1963
  6. Bericht in der Sächsischen Dorfzeitung vom 15. Mai 1930
  7. Im Deutschen Reich war die Zuchthausstrafe im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 geregelt. Die Zuchthausstrafe stellte in allen Belangen die härteste von insgesamt vier Formen der Freiheitsstrafe dar, die in den Paragraphen 14 bis 19 beschrieben waren (die weiteren Formen {in der Reihenfolge „ab-nehmende Härte“} – Gefängnis, Haft und Festungshaft – unterschieden sich hinsichtlich Arbeitsverpflichtungen, Umgebungsbedingungen, Häftlingsrechten und Dauer voneinander)
  8. Herbert Blank: Adolf Hitler, Wilhelm III, 1931, S. 51.
  9. Aus der Untersuchungshaft in Berlin sind drei Briefe von Heim an den Bauern Johannes Reimers in Borsfleth und dessen Frau überliefert, in denen er über das Scheitern der Landvolkbewegung reflektiert: Klaus-J. Lorenzen-Schmidt: Drei Briefe des „Bauerngenerals“ Claus Heim aus der Untersuchungshaft (1929/30), Beirat für Geschichte in der Gesellschaft für Politik und Bildung Schleswig-Holstein e.V., Demokratische Geschichte. Jahrbuch für Schleswig-Holstein, Band 15, 2008, Seite 151-160