Archiv:Der Kaiser-Wilhelm-Kanal
Der Kaiser-Wilhelm-Kanal
Ein Kapitel aus dem „Lesebuch für Gewerbeschulen sowie für gewerbliche Fortbildungs- und Fachschulen.“ Zugleich ein Hausbuch zur Selbstbelehrung von J. F. Ahrens, Direktor der Gewerbeschule in Kiel, Vierte verbesserte und stark vermehrte Auflage 1897
I. Der Kaiser-Wilhelm-Kanal
Nicht erst in unseren Tagen ist der Gedanke, die Nordsee mit der Ostsee zu verbinden, entstanden. Schon vor 500 Jahren (1391 – 98) wurde von L ü b e c k, damals Haupt der Hanse, durch den S t e c k n i t z k a n a l die erste Verbindung zwischen Elbe und Trave, Nordsee und Ostsee, geschaffen. Dieser Kanal wird jetzt weiter ausgebaut und fortan den Namen „E l b - T r a v e - K a n a l“ führen. Christian III. von Dänemark (1534 – 1559) hatte den Plan, die Nordsee mit der Ostsee durch einen Kanal von Kolding bis Ripen zu verbinden; aber das Vorhaben wurde nicht ausgeführt. Fast 100 Jahre später (1626) faßte Wallenstein auf seinem Kriegszug an die Ostsee den Entschluß, von W i s m a r durch den Schweriner See nach der Elde, die bei D ö m i t z in die Elbe fließt, eine Wasserstraße zwischen Ost- und Nordsee herzustellen. Sein jäher Sturz 1627 verhinderte die Ausführung des Planes, zu dem schon ein großes Arbeiterheer mit Hacke und Spaten gerüstet war. Die Ausführung dieses Kanals ist ebenfalls im Jahre 1895 beschlossen worden.
Eine bis zu unseren Tagen viel benutzte Wasserstraße hat Christian VII. in den Jahren 1777 – 84 ausführen lassen, nämlich den E i d e r k a n a l, der jetzt in den Kaiser – Wilhelm – Kanal aufgegangen ist. Dieser 180 Km lange Kanal von 31 m Spiegelbreite, 16 m Sohlenbreite und 3,5 m Tiefe war für die damalige Zeit ein bedeutendes Unternehmen und kostete 9 Mill. Mark. Es war ein Schleusenkanal, der dem Thale der Levensau folgend, den 9 m über dem Ostseespiegel liegenden Flemhuder See vermittelst 3 Schleusen erreichte und dann wieder mittelst 3 Schleusen sich zur Obereider senkte.
Wir werden also nach wenigen Jahren d r e i Schiffahrtsstraßen zwischen Ost- und Nordsee haben, von denen aber nur der Kaiser – Wilhelm – Kanal neben den Handelsinteressen auch den militärischen Bedürfnissen des Deutschen Reiches genügen kann.
Als 1848 der Gedanke, das deutsche Kaiserreich wieder aufzurichten, Gestalt gewann, schritt man zur Gründung einer deutschen Flotte. Da entstand auch der Wunsch, die beiden deutschen Meere, Nord- und Ostsee durch eine nur von Deutschland beherrschte Wasserstraße zu verbinden. Der Flottenausschuß der Nationalversammlung in Frankfurt beauftragte den Major Christensen, den Plan eines Nord –Ostsee – Kanals auszuarbeiten. Als aber Friedrich Wilhelm IV. die ihm angebotene Kaiserkrone ablehnte, ging auch die deutsche Flotte wieder ein und der Kanal kam nicht zur Ausführung. Im Jahre 1864 tauchte der Plan sofort wieder auf, aber die Kriege von 1866 und 1870/71 drängten den Kanalbau zurück. Als aber Preußens König deutscher Kaiser und Preußens Kriegsflotte Deutschlands Kriegsmarine geworden, wurde der Gedanke wieder lebendig. Aber Moltke gab den Rat, erst die Kriegshäfen Kiel und Wilhelmshafen mit einer Flotte zu füllen, bevor man sie durch einen Kanal verbinde. So ruhte die Ausführung des Kanals noch mehrere Jahre, bis 1778 der Hamburger Kaufmann Dahlström den Plan neu belebte. Im Jahre 1881 reichte er den ausgearbeiteten Plan bei der preußischen Regierung ein. Derselbe wurde genau geprüft und 1884 vom deutschten Reichstag angenommen. Am 16. März 1886 bestimmte ein Reichstagsgesetz: „Es wird ein für die Benutzung durch die deutsche Kriegsflotte geeigneter Schiffahrtskanal von der Elbmündung über Rendsburg nach der Kieler Bucht unter der Voraussetzung hergestellt, daß Preußen zu den auf 156 Millionen veranschlagten Herstellungskosten den Betrag von 50 Millionen Mark im Voraus gewährt.“ Der preußische Landtag gab dazu seine Zustimmung und es wurde zur Leitung des Baues eine geeignete Behörde, die kaiserliche Kanalkommission, mit ihrem Sitz in Kiel eingesetzt.
II. Die Grundsteinlegung zum Kaiser – Wilhelm – Kanal am 3. Juni 1887
Dem Begründer des deutschen Reiches, dem hochverehrten greisen Heldenkaiser Wilhelm I. war es noch vergönnt, am 3. Juni 1887 in Holtenau den Grundstein zu dem großen Werk zu legen und noch einmal eine Heerschau über die deutsche Flotte abzuhalten.
Es war ein sonnenheller Sommertag, wie man ihn nicht schöner für das bevorstehende prächtige Schauspiel und das bedeutsame Ereignis wünschen konnte. Eine frische Brise kräuselte die blauen Wellen der Förde und die zahlreichen Flaggen und Wimpel der Schiffe rauschten lustig im Winde. In langer Linie von dem inneren Hafen bis Holtenau lagen die schönsten und größten Kriegsschiffe der deutschen Flotte, um ihren obersten Kriegsherrn mit begeisterter Begrüßung zu empfangen. Vormittags 9 ¾ Uhr trafen die Gäste und das Gefolge des Kaiser auf dem Festplatze ein und nahmen Platz auf der Tribüne. Um 10 ¼ Uhr fuhr Kaiser Wilhelm vor, von berauschendem Jubel der Festversammlung begrüßt. Die Feier begann. In Vertretung des Reichskanzlers verlas Staatsminister von Bötticher die für den Grundstein bestimmte Urkunde. Der bayrische Bevollmächtigte des Bundesrats überreichte dem Kaiser Kelle und Mörtel und der Präsident des Reichstages den Hammer. Das Haupt entblößend vollzog der Kaiser die drei Hammerschläge mit den Worten: „Zu Ehren des geeinigten Deutschlands! Zu seinem fortschreitenden Wohle! Zum Zeichen seiner Macht und Stärke!“
Hofprediger Kögel hielt jetzt die Weiherede. Nach Beendigung derselben brachte der Staatsminister von Bötticher das Hoch auf Se. Majestät den Kaiser aus, in welches die Festversammlung mit lautem Jubel einstimmte. Musik und Gesangchor begannen das „Heil Dir im Siegerkranz“, welches von der Festversammlung begeistert mitgesungen wurde. Damit war die Feier beendigt. Der Kaiser begab sich an Bord der „Pommerania“, um die Flottenschau abzuhalten. Jetzt blitzte es in den Pforten des „König Wilhelm“ auf. Ringsum widerhallend, dröhnte der erste Schuß über den Hafen. Nun blitzt und kracht es von allen Schiffen; ein schier endloses Donnern und Rollen, wie in einer großen Seeschlacht. So fährt der oberste Kriegsherr an der Reihe der Geschwader entlang. Auf dem jeweiligen Schiff, welches der Kaiser passiert, schweigt solange der Salut, desto lauter und freudiger schallen die Hurrahs aus der Takelage und von den Decks. --- Es war nach Gottes Ratschluß die letzte Flottenschau, welche unserem unvergeßlichen Kaiser Wilhelm I. beschieden war.
III. Die Kanallinie, Schleusen, Brücken, Fähren und Bauausführung
Der Kanal ist 98,65 m lang. Er durchschneidet zuerst das niedrige Marschgebiet der Elbe, gelangt dann in ansteigendem Boden an die 24 m hohe Wasserscheide zwischen Elbe und Eider bei Grünenthal und tritt bei Km 40 in die Niederung des letzteren Flusses ein, gegen dessen Hochfluten er durch einen Deich geschützt wird. Die alte Festung Rendsburg wird im Süden umgangen. Bei Km 65 tritt der Kanal in die Obereiderseen und folgt dann dem Laufe des alten Eiderkanals, nur die Krümmungen vermeidend, bis zu seiner Mündung in den Kieler Hafen. Der Kanal ist als Durchstich hergestellt. Um ihn gegen den wechselnden Wasserstand der Elbe und Ostsee jederzeit abschließen zu können, sind an beiden Enden S c h l e u s e n erbaut. Sie sind als Doppelschleusen mit zwei Durchfahrtsöffnungen eingerichtet, wovon die eine für eingehende, die andere für ausgehende Schiffe bestimmt ist. Jede Öffnung hat 25 m lichte Weite und eine Kammer von 150 m nutzbarer Länge. Zur Verbindung des Kanals mit der Eider ist bei Rendsburg eine Schleuse angelegt, die bei 12 m Weite eine Kammerlänge von 68 m hat. Die E l b – s c h l e u s e bleibt während der Ebbe, sobald der Wasserstand in der Elbe und im Kanal ausgeglichen ist, bis zum Eintritt der Flut (3 – 4 Stunden) offen. Während dieser Zeit können die Schiffe frei aus- und einlaufen. Der Wasserstand der Ostsee zeigt nicht den regelmäßigen Wechsel von Ebbe und Flut, wie die Nordsee; an der deutschen Küste wechselt er nur in Folge der Winde. Für gewöhnlich sind die Unterschiede im Wasserstand so gering, daß die Ostseeschleuse nur dann geschlossen werden muß, wenn das Wasser im Hafen um ½ m gegen den mittleren Wasserstand im Kanal höher oder niedriger wird. Dies ist nur an ca. 25 Tagen im Jahr der Fall.
Der Kanal hat eine Tiefe von 9 m unter Mittelwasserstand von Holtenau. Die nachstehende Abbildung zeigt nun das Profil des Kanals. In seinen geraden Strecken beträgt die S o h l e n b r e i t e 22 m; an den stärkeren Krümmungen erweitert sie sich um 12 – 20 m. Für Schiffe von 6 m Tiefgang besitzt der Kanal eine Breite von 36 m, auch bei niedrigstem Wasserstande. Die Breite des Wasserspiegels beträgt 66 m in geraden Strecken und 100 m in den Krümmungen und Ausweichstellen. Für die großen Panzerschiffe sind 6 Ausweichstellen in einer Entfernung von je 12 m geschaffen worden von 60 m Sohlenbreite. Außerdem bieten die Obereiderseen Ausweiche- und sogar W e n d e s t e l l e n für alle Schiffsgrößen.
Von den 4 Eisenbahnen, die den Kanal kreuzen, werden zwei (Itzehoe – Heide und Neumünster – Rendsburg) durch ungleichförmige D r e h – b r ü c k e n von 50 m lichter Weite und zwei, die westholsteinische und die Kiel – Flensburger Bahn, vermittelst H o c h b r ü c k e n überführt. Die Hochbrücken dienen gleichzeitig zur Überführung von Chausseen. Sie haben eine lichte Durchfahrtshöhe von 42 m über dem mittleren Kanalwasserstand. Die Fahrbahn stützt sich auf elastische Bogenträger mit Kämpfergelenken. Die Brücke bei Grünenthal hat 156,5 m, die bei Levensau 163,4 m Stützweite.
Die eigentlichen E r d a r b e i t e n am Kanal begannen im März 1888, in weiterer Ausdehnung im Oktober desselben Jahres. Mit dem Bau der Schleusen wurde im Herbste 1890, mit dem der Brücken im Frühjahr 1891 begonnen. Die ganze zu bewegende Erdmasse, aus S a n d und L e h m mit Findlingen und aus M o o r bestehend, betrug 84 Millionen Kubikmeter. Zur Förderung dieser Erdmassen waren im Jahre 1892 in Thätigkeit 20 Trockenbagger, 42 Schwimmbagger, 65 Lokomotiven, 1790 Transportwagen, 662 Muldenkipper und Schiebkarren, 11 Dampfprähme, 123 Transportprähme (Schuten) und 37 Schleppdampfer. Die Zahl der beschäftigten A r b e i t e r betrug in den Winter- und Herbstmonaten 1892 durchschnittlich 5785, in den Frühlings – und Sommermonaten 8270.
Die Ausgrabung des Kanalbettes erfolgte durch Hand- und Maschinenarbeit. Letztere, durch T r o c k e n- und S c h w i m m b a g g e r ausgeführt, war weit überwiegend. Unser Bild zeigt einen Trockenbagger in Thätigkeit.
Das Schienengeleise für die Wagen und für den beweglichen Bagger liegt dicht an der Böschung. Das Häuschen enthält die Dampfmaschine, welche die Schaufeln des Baggers treibt. Zugleich bewirkt sie beim Arbeiten ein langsames Vorrücken des Baggers. Der Wagenzug (ca. 30) fährt unter das Häuschen, in welchem die Entleerung der vollen Schaufeln stattfindet. Unten schleifen die Schaufeln an der Böschung entlang und füllen sich, oben auf der schiefen Ebene kehren sie leer zurück, nachdem sie ihren Inhalt bei der Wendung in die darunter stehenden Wagen geschüttet haben. Treffen die Schaufeln auf einen nicht zu großen Granitblock, der sich in Sand und Lehm eingebettet hat, so ist es interessant, zu beobachten, wie sie sich seiner bemeistern und ihn mit fortnehmen. Die erste, vielleicht auch noch die zweite und dritte Schaufel schrammt und hopft über ihn hinweg, die folgende erfaßt ihn schon etwas tiefer und lockert ihn bedeutend, aber erst der fünften oder sechsten gelingt es, ihn aufzunehmen und fortzuschaffen. Sind die Blöcke gar zu groß, so müssen Arbeiter sie forträumen. In einer halben Stunde sind die 30 Wagen gefüllt. Die Lokomotive führt die gefüllten Wagen nach dem Ablagerungsplatz und ein leerer Wagenzug fährt wieder vor. So geht die Arbeit ohne Aufenthalt weiter.
Diese großen Findlinge sah man zu Hunderten, ja zu Tausenden in dem Kanalbett liegen. Sie wurden zersprengt, zerschlagen und lieferten ein vortreffliches Material zur Fundierung der Schleusen und für die Befestigung der Böschungen gegen den Wellenschlag. Der Kanal hat, wie das Profil zeigt, mehrere Böschungen. Die Böschungen der im höheren Gelände liegenden Strecken haben 2 m unter dem mittleren Wasserstand eine Steindecke, die bis 1 m über den gewöhnlichen Wasserspiegel reicht. In dieser Höhe liegt ein breites Bankett, an welches die Einschnittsböschung anschließt.
Der Schwimmbagger tritt erst in dem mit Wasser gefüllten Kanalbett in Thätigkeit; außerdem arbeitet er in den Seen und an den Mündungen des Kanals, um dort die genügende Tiefe herzustellen. Schleppdampfer führen die gefüllten Schuten ins Meer hinaus, wo sie entladen werden.
IV. Die Bedeutung des Kaiser – Wilhelm – Kanals
Die Bedeutung des Kanals ist eine militärische und eine wirtschaftliche. Der Kanal soll in erster Linie der Wehrkraft der deutschen Kriegsmarine dienen. er gestattet die rasche Verwendung unserer Kriegsschiffe in der Ostsee und Nordsee. Selbst größere Geschwader können in 24 Stunden den Kanal passieren. Dadurch wird der Nachteil, der für unsere Flotte daraus entsteht, daß ein fremdes Gebiet (Jütland und die dänischen Inseln) sich zwischen beide Meere trennend legt, wesentlich wieder behoben. Aber nicht blos für die deutsche Marine, auch für den deutschen Handel ist der kanal von großer Bedeutung. Diese wirtschaftliche Bedeutung besteht darin, daß er dem Schiffsverkehr zwischen Nord- und Ostsee eine Abkürzung des Weges und eine größere Sicherheit gewährt. Die Schiffsunfälle an den Küsten, welche bei der Reise um Skagen berührt werden, sind ganz beträchtlich. Von 1855 – 1885 strandeten an der Westküste von Jütland, bei Skagen, im Kattegat, in den Belten, im Sund auf Falsterbo und bei Bornholm 6316 Schiffe, von denen 3133 gänzlich verloren gingen. Von 1877 bis 1881 sind 91 deutsche Schiffe mit 708 Menschen zu Grunde gegangen an Stellen, die nach Eröffnung des Kanals nicht mehr berührt werden. Der Verlust an Eigentum wird bei diesen Schiffen auf 6 Millionen geschätzt. Aber auch die Abkürzung des Weges ist ein Gewinn für die Handelsmarine. Die Abkürzung der Fahrt hängt naturgemäß von der Lage der einzelnen Häfen zu einander ab. Die Abkürzung nach der beigefügten Karte für Leith an der Westküste von Schottland 83,8 Seemeilen, für Hamburg 424,8 Seemeilen. Auf dieser Küstenstrecke von Leith bis Hamburg liegen die bedeutenden Handelshäfen von Newcastle, Hartlepool, Hull, London, Dünkirchen, Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam, Emden und Bremerhafen und der Zeitgewinn durch die Abkürzung des Weges beträgt 3,57 Std. bis 44,91 Std. Daraus ergibt sich, daß Hamburgs Handelsschiffe um beinahe 2 Tage ihre Fahrt nach der Ostsee abkürzen. Für Segelschiffe wird dieser Gewinn wesentlich größer sein und bei widrigen Winden Wochen betragen können. Durchschnittlich wird er auf 3 Tage zu veranschlagen sein. Der Seehandel mit den deutschen Industrie- und Bodenprodukten wird erheblich dadurch gewinnen. Steinkohlen und Eisen der Rheinprovinzen, die bis jetzt nur an der Nordseeküste mit den englischen Produkten derselben Art den Wettkampf aufnehmen konnten, werden mit Hilfe des Ems – Dortmunder – Kanals auf deutschen Schiffen in den Ostseehäfen ein neues Absatzgebiet erlangen können.
V. Die Eröffnung des Kanals durch Kaiser Wilhelm II.
Im Frühjahr 1895 wurde mit dem regsten Eifer an der Vollendung des Kanals gearbeitet. Am 20. Juni sollte die Eröffnung der neuen Wasserstraße durch Kaiser Wilhelm II. vollzogen werden. Und so ist es geschehen. Alle seefahrenden Nationen Europas und die Vereinigten Staaten von Nordamerika waren zur Teilnahme an der Eröffnungsfeier des Kanals eingeladen worden. Nach und nach trafen ihre größten und schönsten Kriegsschiffe auf der Kieler Förde ein und legten sich in langer Linie an den Bojen vor Anker. Oesterreich, England, die Niederlande, Spanien, Portugal, Italien, die Türkei, Rumänien, Rußland, Dänemark und Schweden und Nord – Amerika waren durch 51 Kriegsschiffe vertreten; dazu gesellte sich das deutsche Geschwader mit 27 Kriegsschiffen, 2 königliche Yachten und 9 Handels- und Passagierdampfer, welche Festteilnehmer an Bord hatten. Von sämtlichen Masten wehten die Wimpel und die Flaggen der verschiedenen Nationen. Es war ein Flottenbild, wie es niemals ein Menschenauge gesehen hatte.
Am 19. Juni traf Kaiser Wilhelm mit seinen fürstlichen Gästen in Hamburg ein. In dem großen Festaale des neuen Rathauses fand ein glänzendes Festmahl statt. Um 10 ½ Uhr abends begab sich der Kaiser an Bord der „Hohenzollern“, die auf der Elbe lag. Begleitet von 15 Festdampfern mit den Gästen an Bord, langte die Kaiser – Yacht 3 Uhr 15 Minuten vor der Brunsbütteler Schleuse an. Um 3 Uhr 35 Minuten durchschnitt der Bug des Schiffes die über den Kanal gespannte Schnur und nahm dann, von einer Abteilung Husaren an beiden Kanalseiten begleitet und von zwei Torpedobooten gefolgt, die Fahrt durch den Kanal auf. Die anderen Schiffe folgten in gemessenen Zwischenräumen. Die Morgendämmerung lag noch auf den weiten Fluren der Marsch; aber das Schiff hatte kaum die erste Kanalbiegung erreicht, da ging die Sonne auf und begrüßte den hoch auf der Kommandobrücke stehenden Herrscher.
Es war gegen 1 Uhr, als ein Salut von 33 Schüssen über den Hafen dahin donnerte und der harrenden Festmenge verkündete, daß die kaiserliche Yacht vor der festlich geschmückten Holtenauer Schleuse angelangt sei. Unter dem brausenden Hurrah der Tribünengäste verließ die „Hohenzollern“ wenige Minuten vor 1 Uhr die Schleusen und dampfte in die Förde hinein, empfangen mit dreifachem Hurrah von den in den Reelings und Wanten paradierenden Mannschaften. Der Kaiser in Admiralsuniform grüßte von der Kommandobrücke freundlich nach allen Seiten. Langsam dampfte die „Hohenzollern“ an ihre Boje zwischen den Flaggschiffen „Royal Sovereign“ und „Kaiser Alexander II.“ und legte sich dort vor Anker.
Am folgenden Tag fand die S c h l u ß s t e i n l e g u n g statt. Es war wieder ein herrlicher Sommertag. Sämtliche Kriegsschiffe prangten im farbigen Flaggenschmuck. Pünktlich 11 Uhr nahte das Kaiserboot mit den beiden Majestäten. Nachdem der Reichskanzler die Urkunde, die mit anderen Schriften und Münzen in den Grundstein eingeschlossen werden sollten, verlesen hatte, trat der Kaiser an den Schlußstein. Der Bevollmächtigte des Bundesrats reichte dem Kaiser die Kelle, den Schlußstein einzumauern, und der Reichspräsident überreichte Se. Majestät den Hammer mit den Worten: “Eure Kaiserliche und Königliche Majestät wollen heute geruhen, ein Unternehmen abzuschließen, wie es auf vaterländischem Boden an Großartigkeit der Leistungen deutscher Technik und Industrie noch nicht hergestellt ist. Nach 8 Jahren, mit Gottes Hilfe ohne erhebliche Störung, aufgewendeter Arbeit sehen wir ein Werk vollendet, welches deutsche Herzen und deutscher Geist seit lange sehnlich erstrebt und geplant haben, -- zunächst bestimmt, die nationale Wehrkraft zu stärken und deutschen Handel und Verkehr zu fördern. So dürfen wir uns denn der Hoffnung hingeben, daß das gelungene Werk dauernd auch seinen weiteren Zweck in reichem Maße erfüllen werde, dem internationalen friedlichen Verkehr einen nutzbringenden Weg zu erschließen. Geruhen Euer Majestät, den Hammer huldvoll entgegenzunehmen, den ich namens der deutschen Volksvertretung zu überreichen die Ehre habe, um damit zur Weihe des Unternehmens den letzten Hammerschlag zu führen. Möge Gottes reichster Segen denselben begleiten!“
Der Kaiser vollzog die drei Hammerschläge mit den Worten: „Zum Gedächtnisse Kaiser Wilhelms des Großen taufe ich dich K a i s e r - W i l h e l m – K a n a l ! Zum Ruhme des deutschen Reiches! Zur Wohlfahrt aller Nationen!“
Mit dem ersten Hammerschlag hatte der Salut der Geschütze begonnen. Nach dem Kaiser vollzogen die Kaiserin, der Kronprinz und die deutschen Fürsten die Hammerschläge. Mit dem Hoch des Reichskanzlers auf den Kaiser schloß die Feier unter jubelndem Hurrah der ganzen Festgesellschaft. –
Um 3 Uhr nachmittags folgte dem Festakt der Schlußsteinlegung die von Kaiser Wilhelm abgenommene Flottenschau über sämtliche im Hafen liegende Geschwader. Zwischen 7 und 8 Uhr versammelten sich in der Festhalle zu Holtenau über 1000 Gäste des Kaisers zu einem Festmahle, welches der großen nationalen Feier den Charakter eines Friedensfestes gab.
Bearb. vom Verfasser[1]
Einzelnachweise
- ↑ J.F. Ahrens war der Herausgeber des Lesebuches