Archiv:Mein Leben als Landarzt

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Mein Leben als Landarzt

Dr. Dobicki vor seiner Praxis
Die erste Praxis im alten Innier Schulhaus von 1834, Hauptstraße 24

von Dr. Dobicki

Es war im Frühjahr 1955, als ich mit meiner Familie in einem DKW 3/6, der bestens auf Wechsel lief, bei stürmischem Regenwetter Innien erreichte. Auf Kopfsteinpflaster erreichten wir unser Ziel: eine Reetdachkate, die unser neues Zuhause sein sollte und in der auch die zu übernehmende Praxis war. Diese war mir nach langem Warten, wie damals üblich, endlich zugeteilt worden. Nun, bei fünf Patienten, die im Ort und in der Umgebung wohnten, wurde ich bekanntgemacht; alles weitere sollte sich einlaufen. Tat es auch, wenn es anfangs auch langsam ging.

Innien war seinerzeit noch ein richtiges Bauerndorf. Die Durchgangsstraße war mit Kopfsteinen gepflastert, und in der Umgebung gab es sonst nur mit Gräben und Knicks eingesäumte Feldwege, auf denen man bei trockenem Wetter so schöne Staubwolken erzeugen konnte, aber bei schlechtem Wetter, besonders im Winter bei Eis und Schnee, sich auch mitunter festfuhr. Eine Landpraxis ist oder war hauptsächlich Besuchspraxis. Früher gab es kaum ein Auto, höchstens ein Fahrrad. Zu Fuß waren die Wege auch zu unbequem und weit, besonders für kranke und ältere Patienten.

Deshalb habe ich viele Patienten in regelmäßigen Abständen in ihren Wohnungen aufsuchen müssen. Ich wurde schon meist erwartet. „Hüüt kummt de Dokter" hatte es vorher schon geheißen. Sie waren erfreut und zufrieden, und so gab es auch mal einen Köm oder eine gute Tasse Kaffee.

Im allgemeinen hielt ich vormittags in der Praxis Sprechstunden ab und machte am Nachmittag die Hausbesuche, oft bis in den späten Abend. Ich war immer in Bereitschaft — ob Tag oder Nacht, ob Werk- oder Feiertag. Ich fuhr bei jedem Wetter, auch bei der großen Schneekatastrophe 1979. Zuerst konnte ich noch zu Fuß einige Besuche machen, denn mein Auto war in der Garage total eingeschneit. Auf der Auffahrt waren Schneewehen bis in Höhe der Dachrinne des Wohnhauses.

Dank der Hilfe eines Bauern, der mit seinem Frontlader den Schnee unermüdlich wegräumte, konnte ich dann die entfernteren Patienten aufsuchen und auch Notfälle versorgen. Obwohl Fahrverbot bestanden hatte, ich durfte fahren. Die Menschen hier waren eigentlich immer hilfsbereit. Als ich mit meinem Wagen außerhalb auf einem Feldweg steckenblieb, holte ein Bauer seinen Trecker heraus und kam mir zu Hilfe.

Auf dem Lande mußte man immer für alle und für alles da sein: vom Schnupfen bis zur Lungenentzündung, von Ohrenschmerzen bis zu Augenverletzungen, vom Herzinfarkt bis zu Entbindungen.

Die Hausentbindungen waren immer belastend und zeitaufwendig und doch auch wiederum etwas Einzigartiges und Besonderes. Ungewöhnlich war es einmal, als ein Baby mit einem Zahn zur Welt kam. Auch kleine Operationen in örtlicher Betäubung oder Vollnarkose mußten gemacht werden. Als endlich die sogenannte Betonstraße — B 430 — gebaut worden war und die Autos zunahmen, wurden auch die Verkehrsunfälle mehr.

So schwer und belastend oft die Arbeit war, so erfreut und glücklich war man, wenn alles gut gegangen war — besonders beim ersten „Babyschrei". In den ersten Jahren war ich hier mit einem älteren Kollegen im Aukrug tätig. Aus Altersgründen war dieser dann weggezogen. Einige Jahre mußte ich so allein alles schaffen, bis eine Vertretungsgemeinschaft mit einem Nachbarbezirk gegeben war. Man muß ja mal etwas ausspannen können. Inzwischen hatte sich ein junger Kollege am Ort niedergelassen und gut eingearbeitet. Meine Praxis habe ich nach 30jähriger Tätigkeit in jüngere, sehr befähigte Hände gegeben. Mit zwei Ärzten ist der Aukrug noch gut betreut; es sei denn, daß die Einwohnerzahl weiter zunimmt.

Ich denke, daß die Kollegen, genau wie ich, später einmal mit viel Genugtuung und Freude an die erste Zeit in Aukrug zurückdenken werden.