Auswanderungen aus dem Aukrug im 19. Jahrhundert
Bei den Auswanderungen aus dem Aukrug im 19. Jahrhundert verließen auch viele andere Schleswig-Holsteiner in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ihre Heimat, um den prekären Lebensverhältnissen zu entgehen. Zwischen 1871 und 1914 wanderten ungefähr 140.000 Menschen von hier aus, der Zeitraum Anfang der 1880er Jahre zählte dabei zu den Höhepunkten. Vor allem Angehörige der besitzlosen ländlichen Unterschicht wollten sich in Übersee eine Existenzgrundlage schaffen und ein neues Leben aufbauen. Die Formulierung Suche nach dem besseren Fortkommen und dem Glück war eine feste Redewendung, die beinahe in jedem Entlassungsantrag[1] vorkam[2].
Geschichtlicher Hintergrund
1867 waren die Herzogtümer Schleswig und Holstein nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 in das Königreich Preußen eingegliedert und am schon 13. Oktober 1866 eine dreijährige allgemeine Wehrpflicht eingeführt worden. Die Abspaltung von Dänemark wurde nicht von allen Zeitgenossen begrüßt, besonders Männer der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein versuchten, einer Einberufung zum Militär zu entkommen[3].
Georg Reimer schilderte, dass die Zahlen der Volkszählungen im 19. Jahrhundert durchweg eine Zunahme der Einwohnerzahlen zeigten, während sich von 1860 und 1875 eine bedeutende Abnahme ergab: Bargfeld 56, Böken 57, Bonzen 38, Innien 19. Nur Homfeld zeigt eine Zunahme von 17 Einwohnern. Der Aukrug hat also in den 15 Jahren einen Verlust von 153 Einwohnern zu verzeichnen. Der Grund dürfte in einer starken Auswanderung nach den aufblühenden Vereinigten Staaten von Nordamerika und Australien sein. Auch die Furcht vor dem preußischen Militärdienst mag ein Grund gewesen sein. Nach den ihm vorliegenden, von Pastor Reinhardt aus den Nortorfer Kirchenbüchern gefertigten Familienblättern der Aukrugdörfer sind aus den Geburtsjahrgängen 1823 — 1854 nach Amerika 26 Männer und 19 Frauen, nach Australien 5 Männer und 2 Frauen ausgewandert. Es sind dies nur Angaben, die sich aus den Eintragungen der Sterbefälle der Eltern ergeben. Wie viele außerdem ausgewandert sind, lässt sich kaum feststellen. Ebenso steht es mit dem Abwandern in die Städte.
Namen der Auswanderer
Namen der Auswanderer, soweit sie in den Familienblättern vorhanden sind:
Nach Australien:
- Gehrt, Jochim, geb. 1829, Bünzen.
- Greve, Hinrich, geb. 1844, Bargfeld.
- Hamann, Hans.
- Rathjen, Anna, geb. 1836, Homfeldt erst nach Buenos Aires, dann nach Australien.
- Rathjen, Carl, geb. 1840, Homfeld.
- Rathjen, Catharina, geb. 1837, Homfeld.
- Rathjen, Henning, 1854 ausgewandert, Homfeld-Eckhof.
Nach Amerika:
|
|
|
Auswanderung nach Amerika
Eine Fürsorgemaßnahme um 1850, von Georg Reimer, Landeszeitung vom 22. April 1939
In Innien lebten um 1850 zwei Vettern Johann Voß mit ihren Familien. Sie waren noch jüngere Leute; die eine Familie bestand aus 2 Erwachsenen und 2 Kindern, Jahre und 5 Monate alt; die andere aus 3 Erwachsenen, 2 größeren Kindern und einem Kind von 3/4 Jahren. Es ging ihnen wirtschaftlich schlecht, die Armenkasse hatte schon zu ihrer Unterhaltung beitragen müssen. Wenn das so weiterging, bildeten sie eine dauernde Last für das Kirchspiel Nortorf. Sie faßten deshalb den Plan, nach Amerika auszuwandern, ob aus eigenem Antrieb oder auf dringendes Anraten der Vollmachten, bleibe dahingestellt. Die etwa 225 Thlr. preuß. betragenden Reisekosten konnten sie natürlich nicht aufbringen. Da griff das Kirchspiel helfend ein. Auf Antrag des Innier Bauernvogts erklärte sich die Kirchspielversammlung mit einer Geldsammlung für diesen Zweck einverstanden.
Der Kirchspielvogt genehmigte den Beschluß und gab eine Empfehlung für die Sammlung:
„Die beiden Vettern Voß und ihre Familien von Innien bitten um einen Beitrag zu den Kosten ihrer Auswanderung nach Amerika. Wir meinen, diese Bitte empfehlen zu müssen, da sie schon angefangen haben, der Armenkasse zur Last zu fallen, und da sie für diese, wenn sie nicht nach Amerika ge hen, leicht eine große Last werden können Sowie viele einem helfen können, möchte hier ebenfalls der Satz Anwendung leiden, daß es seliger sei zu geben, als zu nehmen, woher der Bauernvogt in dieser Sache tun wolle, was er kann.“
Später ging an die Bauernvögte ein zweites Schreiben:
„„Das Resultat der heutigen Kirchspielsversammlung ist dem Dorfe bekannt geworden. Innien gibt das fehlende Geld zur Reise nach Amerika für die zwei Familen Voß her, aber vorher soll in jedem Dorfe freiwillig gesammelt werden. Wir ersuchen den Bauernvogt und der Armenvorsteher, persönlich diese Sammlung vorzunehmen, damit ein jeder recht nach seinen Kräften und seiner Lage gebe. Doch soll vorläufig nur geschrieben werden, wieviel ein jeder geben will. Erst nachher, wenn die Familien nach Amerika gegangen, wird das Geld eingefordert werden; und wolle der Bauernvogt diesen Bogen nach 3 oder 4 Tagen an die Kirchspielvogtei zurückgeben.“
Die Sammlung erbrachte etwa 200 Mark. Den Rest des Fahrgeldes erklärten Hufner Jacob Reimers und Henning Jargstorff wollte die Dorfschaft aufbringen. Sie beten den Kirchspielvogt, die Verhandlungen mit dem Allgemeinen Auswanderungsbureau Knorr und Jansen in Hamburg zu führen. Kirchspielvogt Ahlmann forderte abweichende Bedingungen. Das Draufgeld (Anzahlung) von 12 Thlr. preuß, je Person will er erst entrichten, wenn die Familien mit dem Schiff die Hamburger Reede verlassen, den Rest, wenn sie den englischen Kanal passiert haben. Das hält er für nötig, damit die Gemeinde nicht, wie es vor kurzem geschehen ist, getäuscht werde. Man fürchtete, die Reederei könnte die Familien in Hamburg „vergessen“ oder unterwegs wieder an Land setzen. Die Gemeinde will Sicherheit haben, daß sie nicht unnütz Geld ausgibt.
Die Fahrt sollte am 1. April geschehen, mußte aber auf den 15. verschoben werden. Die Fa. J. J. Mansfeldt, Hamburg, Englische Planke 14, übernahm die Beförderung mit dem schön und schnell segelnden Schiff Maria Friederike, Kapit. W. F. Schmidt, nach Quebek. Der Preis betrug 31 Thlr. pr. für Erwachsene, 24 Thlr. für Kinder unter 10 Jahren, Kinder unter einem Jahr waren frei. (Nach Neuyork betrugen die Preise 3 bzw. 30 Thlr., Kinder unter 1 Jahr zahlten 2 1/2 Thlr. Kopfgeld.) Die Fahrt erfolgte im Zwischendeck. Wünschte eine Familie eine besondere Abteilung im Zwischendeck, konnte sie diese gegen eine Sondervergütung von 6 Thlr. pro Kopf erhalten. Das erforderliche Eß., Trink= und Waschgeschirr, Messer, Gabel. Löffel, Matratzen oder Betten und Decken hatten die Passagiere selbst zu besorgen. Ein Reisegepäck von 150 bis 200 Pfund je erwachsene Person wurde frachtfrei mitgenommen.
Die Schiffe fuhren am 1., 15. und 25. jeden Monats nach Neuyork, am 15. April und 15. Sept., 1. und 15. Okt. nach Neuorleans, am 1. u. 15. April, 1. u. 15. Mai, 1. u 15. Juni und 1. Juli nach Quebek. Die Schiffe waren von obrigkeitlich bestellten und beeidigten fachkundigen Besichtigern als vorzüglich eingerichtet anerkannt. Auch die Güte und Menge der mit genommenen Verpflegung wurde von vereidigten Sachverständigen geprüft. Eine Bescheinigung darüber wurde vor Abgang des Schiffes der Hamburger Behörde eingereicht. Es wurden für 90 Tage reichende Lebensmittel mitgenommen, damit auch bei einer sich ungewöhnlich verlängernden Reise kein Mangel entstehen konnte. Mitgenommen wurden Ochsenfleisch, Schweinefleisch, Schiffsbrot, Mehlspeisen, Erbsen, Bohnen, Graupen, Reis, Kartoffeln, Sauerkraut, Pflaumen, Butter, Essig usw. Morgens und abends gab es Kaffee oder Tee, vormittags erhielten die Männer ein Glas Branntwein.
Weiter berichten die Akten nur über den Eingang der gezeichneten Beiträge. Die Akten tun so, als ob man den verarmten Familien zu einer besseren Existenz im freien Amerika helfen wollte, man merkt aber deutlich den Unterton des krassen Eigennutzes: Entlastung der Armenkasse und Beseitigung der Verpflichtung dauernd zu helfen. Im Dritten Reich würde man anders handeln, für Gesundung der Familie und Beschaffung geeigneter Arbeit sorgen[4].
Einzelnachweise
- ↑ Auswanderungswillige, die Preußen auf legalem Wege verlassen und damit ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben wollten, mussten über den Landrat beim Regierungspräsidenten einen Antrag auf Entlassung aus dem Untertanenverband stellen.
- ↑ Caroline Hoppe: Von Ostholstein nach Nordamerika (und zurück), Die Wanderungsentscheidung der schleswig-holsteinischen Aus- und Rückwanderer zwischen 1868 und 1914 am Beispiel des Kreises Plön, 2011
- ↑ Oliver Auge (Hrsg.): Brokstedt - 475 Jahre Geschichte einer Gemeinde in Holstein, Nordelbische Ortsgeschichten, Band 1, Solivagus-Verlag, 2013
- ↑ Georg Reimer war Mitglied der NSDAP und offenbar noch 1939 von der Sozialpolitik der Nationalsozialisten überzeugt.