Joachim Hein
Joachim Hein (* 4. Juli 1901 in Nysa|Neisse, Provinz Schlesien; † 5. Mai 1987 in Sierksdorf) war ein deutscher Internist und Hochschullehrer in Kiel. Von 1934 bis 1966 war er Ärztlicher Direktor in Tönsheide.
Joachim Hein wurde am 04. Juli 1901 in Neiße/Schlesien geboren. Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums legte er 1918 in Halberstadt das „Notabitur" ab, um anschließend sofort als Fahnenjunker beim „Kaiser-Franz-Grenadier-Regiment Nr. 2" zu dienen. Sein Medizinstudium absolvierte er dann nach dem 1. Weltkrieg in Berlin, Halle, Marburg, Leipzig und Rostock.
Mit 22 Jahren bestand er das Staatsexamen. Die Promotion erfolgte an der Universität Hamburg. In der ersten medizinischen Klinik der Universität Eppendorf stellten sich unter dem damals weit bekannten Professor Ludolph Brauer die Weichen für seinen weiteren Weg. Dr. Hein vertiefte sein Fachwissen dann bei Professor Stoecklin in Davos, als Oberarzt bei Professor Roepke in der Heilstätte Stadt Melsungen sowie seine chirurgische Ausbildung bei dem Sauerbruch-Schüler Professor Jehn in der chirurgischen Klinik Mainz.
Der Lebensweg von Dr. Hein ist gekennzeichnet durch einen nahezu kompromisslosen Einsatz bei der Behandlung und Prävention der Tuberkulose, die damals als „unheilbare Volksseuche" galt. Im Juni 1931 führte ihn der Weg als Oberarzt nach Tönsheide, wo gerade ein neues Tuberkulose-Krankenhaus eröffnet worden war. Hein, der seinen Vorgänger Hugo Dommasch bereits während dessen längeren Abwesenheiten als Direktor vertreten hatte, brachte schon früh als potenzieller Nachfolger in Stellung. Christoph Werner schreibt dazu in seiner Untersuchung von 2020: Sein Bewerbungsschreiben für die Position des Chefarztes datiert auf den 18. Januar 1934, den Folgetag der öffentlichen Stellenausschreibung. In Anbetracht seiner wissenschaftlichen Qualifikation und chirurgischen Fähigkeiten brachte Hein zweifellos alle Voraussetzungen für den Chefarztposten des Tönsheider Krankenhauses mit und setzte sich in einem ordnungsgemäßen Verfahren dann auch gegen elf Mitbewerber durch. Auch in politischer Hinsicht galt Hein, der – offenbar im Zuge seiner Bewerbung – im Januar 1934 der SA beigetreten war und den Rang eines Sturmarztes bekleidete, als zuverlässig. Der NSDAP trat Hein erst im Jahr 1937 bei, als der vier Jahre zuvor eingeführte Aufnahmestopp für Neumitglieder aufgehoben wurde.
1934 wurde er dann endgültig zum Direktor der Tuberkuloseklinik Tönsheide bestellt. 1938 habilitierte sich Dr. Hein, der durch seine vorausgegangenen zahlreichen Arbeiten zur Tuberkuloseforschung schon frühzeitig die Aufmerksamkeit der fachwissenschaftlichen Welt auf sich gezogen hatte, für das Fach der Inneren Medizin an der Universität Kiel.
Im gleichen Jahr wurde der „Hein-Kremer-Schmidt" veröffentlicht, in dem Hein als Mitautor besonders über die Thorakoplastik, eine damals von ihm propagierte operative Therapie der Lungentuberkulose, schrieb. Neben der fachgerechten Behandlung des einzelnen Kranken vertrat Hein eine zentralisierte Tuberkulosebekämpfung. Auf seine Anregung hin wurde zunächst der „fliegende Tuberkulosearzt" geschaffen, der zur Beurteilung von Röntgenbildern durch die Gesundheitsämter angefordert wurde. Im Jahre 1944 ermöglichte er erstmalig die Schirmbilderfassung Musterungspflichtiger.
In zwei wissenschaftlichen Arbeiten über die Tuberkulosebekämpfung während der Zeit des Nationalsozialismus wird deutlich, dass Joachim Hein Zwangsasylierungen, Absonderungen und Sonderbehandlungen von "asozialen Patienten" befürwortete[1][2] und an der Gestaltung von "Maßnahmen" mitwirkte. Ebenso publizierte er zum Thema und entwickelte eigene Ideen zum Arbeitseinsatz von Tuberkulosekrankten[3]. Mit den Richtlinien des Reichsturberkulose-Ausschusses, der wechselnd in Lungenheilstätten und Tuberkulosekliniken wie der Heilstätte Tönsheide tagte, wurde die absichtliche Unterversorgung von als asozial stigmatisierten Patienten legitimiert.
„In der Frage, was mit den als asozial bezeichneten Tuberkulosekranken zu geschehen habe, herrschte jedoch weitgehend Einigkeit. In der eigens eingerichteten Arbeitsgruppe Absonderung verständigte man sich jedenfalls nach mehreren Jahren intensiver Beschäftigung mit dem Thema im Januar 1943 über allgemeine „Richtlinien[4] für die Absonderung der Offentuberkulösen, die den Ärzten für ihre Therapieentscheidungen an die Hand zu geben waren. Über das Schicksal dieser Patienten sollte anhand zweier zentraler Kriterien entschieden werden: ihre Arbeitsfähigkeit sowie ihr Verhalten gegenüber der Gesellschaft. „Mit allen Mitteln sei die Heilung bei den „sozial gutartigen, heilfähigen Tuberkulösen anzustreben, die nach der Therapie wieder in den Arbeitsprozess, wenn auch nur eingeschränkt, integriert werden könnten und damit einen Aktivposten im Krieg darstellten. Dagegen solle der Arzt bei denen, die weder zur Arbeit noch zur Gemeinschaft fähig seien, „alle Maßnahmen unterlassen, die den schicksalsmäßigen Ablauf der Tuberkulose aufhalten könnten. Die Richtlinien sprechen es nicht direkt aus, aber aus dem Kontext der Quelle ergeht, dass solche Patienten nur mehr eine stark reduzierte medizinische und pflegerische Betreuung erhalten sollten“
Ein 1977 eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen Hein und andere wegen Durchführung von Euthanasiemaßnahmen im Krankenhaus Bergfeld-Tönsheide bestätigte die erhobenen Vorwürfe nicht[5]
Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen das Schirmbildgesetz in Hamburg 1945 und das Gesetz über die Röntgenreihenuntersuchung in Schleswig-Holstein 1947 im Wesentlichen auf seine Initiative zurück. Das Konzept basierte auf der Idee des Fürsorgearztes Franz Redeker, der bereits in den 1920er Jahren den Plan entwickelte, die deutsche Gesellschaft mithilfe von Röntgenreihenuntersuchungen vollständig zu durchleuchten.
„Es war Redeker, dem erstmals der radiologische Nachweis für die frühe Infiltration der Lunge mit dem Tbc-Erreger gelungen war und der damit die diagnostische Voraussetzung für derartige flächendeckende Gesundheitschecks schuf, die dann in den 1930er Jahren zumindest ansatzweise Umsetzung fanden.“
Es half damals in dem mit Flüchtlingen überfüllten Schleswig-Holstein, die Tuberkulose unter Kontrolle zu bringen. Dieses Vorgehen wurde zum Vorbild für andere Bundesländer.
Professor Hein wurde national und international auf vielfältige Weise geehrt. Er war Präsident des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose, wurde bereits 1966 mit dem großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet und war in verschiedenen wissenschaftlichen und politischen Gremien tätig, so im wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer und dem wehrmedizinischen Beirat der Sanitätsinspektion der Bundeswehr.
Nach seiner Pensionierung im Jahre 1966 lebte er mit seiner Familie im Ostseebad Sierksdorf im Kreis Ostholstein. Herr Professor Hein verstarb am 5. Mai 1987.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Christoph Wehner:Tuberkulosekranke in Heilstätten der LVA Schleswig-Holstein im „Dritten Reich“ – Medizinische Versorgung und soziale Praxis zwischen 1933 und 1945 Seite 36
- ↑ Dr. Winfried Süß, Bearbeiter: Dr. Patrick Bernhard: Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben „Ermordung und pflegerische Vernachlässigung von Tuberkulose-Patienten in den Kliniken der gesetzlichen Rentenversicherung im Nationalsozialismus, Potsdam/Oslo, den 30. Januar 2018
- ↑ Joachim Hein, Aufgaben und Ziele der Arbeitsbehandlung und ihre Durchführungsmöglichkeit unter Berücksichtigung zu erwartender Sondergesetze für den Tuberkulösen, in: Beiträge zur Klinik der Tuberkulose 89 (1938), S. 774-787.
- ↑ Richtlinien für die Absonderung (Asylierung) der Offentuberkulösen, dem Reichsturberkulose-Ausschuss vorgelegt von der Arbeitsgruppe Arbeitstherapie und Asylierung o.D., in: BArch, R 96/II, 6, Bl. 39.
- ↑ Schreiben des Leitenden Oberstaatsanwalts in Kiel an den Justizminister von Schleswig-Holstein betr. Ermittlungsverfahren gegen Prof. Dr. Joachim Hein und andere wegen Durchführung von Euthanasiemaßnahmen im Krankenhaus Bergfeld-Tönsheide vom 1.4.1977, SHLA, Abt. 786 Nr. 2579.