Wilhelm Rathjen

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Onkel Wilhelm tastet sich durch Homfeld

Wilhelm Rathjen war der Onkel von Paul Ratjen, der bei der Vorbereitung der Chronik von 1995 zu der Überzeugung kam, dass auch einmal über jemanden geschrieben werden solle, der ein stilles Leben führte. Sein Onkel Wilhelm war so ein Mensch.

Leben

Wilhelm Rathjen wurde am 20.11.1890 in Homfeld geboren. Er war ein Kind wie alle anderen. Als junger Mensch hatte er unheimliche Kräfte, benutzte beim Üllerladen (Mistladen) die Rübenforke. In seiner Freizeit spielte er gerne Karten. Viele können sich noch an den gesunden Willem erinnern. Das Hören und Sehen ließen aber allmählich nach. Hans Jakob Ratjen erzählte später, Wilhelm hätte beim Drillen auf dem Bauch gelegen, um festzustellen, ob auch genug Saatkörner aus der Maschine herausgekommen waren.

Onkel Willem wurde dann ganz taub und blind. Er wohnte mit seiner Schwester Marie Joost im Altenteil auf dem Hof seines Vaters Friedrich Rathjen. Dieser vermachte ihm eine kleine Landstelle von 19 ha. Zu dieser Fläche gehörte ein Waldstück mit sehr gutem Eichenbestand. Später wurde auf der Koppel von Marie, gegenüber der Gastwirtschaft Wüstenberg, ein Haus gebaut. Einige Eichen wurden geschlagen und der Erlös machte diesen Hausbau erst möglich. Marie und Willem zogen in das neue Haus ein. Für Willem war es in der ersten Zeit schwer, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Er pflegte dann zu sagen: „Ole Böm schall man ni umplanten." Bald hatte er sich aber an das Haus und die nähere Umgebung gewöhnt.

Ein Wort der Klage oder Unzufriedenheit über seine Behinderung hat man nie von ihm gehört, denn seine gesunden Sinne waren umso stärker ausgeprägt. Er hatte ein sehr feines Gefühl. An den Händen konnte er feststellen, ob er eine Frau, einen Mann oder ein Kind vor sich hatte. Er wollte sich auch immer gerne irgendwie nützlich machen. So half er beim Einmachen. Er kam zum „Stickbeern afkiem", so nannte er es, Bohnenschnippeln und Erbsenpalen. Man mußte zwar die Würmer später aussammeln, aber er kam mit einer Begeisterung, daß man ihm die Freude an der Arbeit nicht nehmen durfte.

Da früher jede Menge Holz zum Heizen gebraucht wurde, kann man sich vorstellen, welche Arbeit das Spalten machte. Willem übernahm das Holzspalten bei sich, bei Hans-Jakob Ratjen und auch noch bei anderen im Dorf. Auch bei Paul Ratjen spaltete er Holz. Paul erinnert sich noch an einen Tag, als Willems Hand blutete. Er hatte sich mit der Axt verletzt. Paul will gar nicht beschreiben, wie die Hand aussah. Willem fragte nur: „Is dat slimm woorn"? Pauls Frau Mimi hat die Hand dann schnell verbunden. Es war zum Glück nur eine Fleischwunde. Wenn man mal zuguckte und sah, wie profihaft er zu Werke ging, dann merkte man gar nicht, daß er blind war. Auch beim Dreschen machte er sich nützlich, stand hinter der Dreschmaschine, machte die leeren Kornsäcke fest und paßte auf, daß sie nicht überliefen. Die vollen Säcke stellte er zur Seite.

Alle haben „Onkel Willem" bewundert und hatten Achtung vor ihm. Am besten konnten sich Johannes Münz sowie Johannes und Greten Gloy mit ihm verständigen.

Er hat sich natürlich auch mal verlaufen. Aber es ging immer gut aus, er fand immer wieder nach Hause. Zur Orientierung hatte er einen großen Stab mit Knick, mit dem er seine Umgebung abtastete. Wollte er eine Straße überqueren, hielt er den Stock hoch, zeigte auf die Straße und lief auch gleich los. Er kam immer heil hinüber.

Alle Homfelder haben sich gewundert, daß nie etwas Ernsthaftes passiert ist. Damals war eben noch nicht soviel Verkehr. War er einmal vom Weg abgekommen, so nahmen ihn selbst Schulkinder bei der Hand und führten ihn auf den rechten Weg zurück.

Er war ein großer Kinderfreund und dankbar für jede Hilfe. Zu Kindergeburtstagen brachte er eine große Tafel Schokolade mit. An seinem eigenen Geburtstag wurden alle Kinder, die er kannte, eingeladen. Er war ein guter Gastgeber und überzeugte sich immer wieder, ob auch alle Kinder Saft und Kuchen bekommen hatten.

Als in seinem Haus ein Fernseher aufgestellt wurde, kam er ganz aufgeregt bei Paul und Mimi an und sagte: „Wi hebbt en Stubenkino". Diesen Ausdruck hatten die beiden noch gar nicht gehört, sie wunderten sich natürlich und fragten sich: Wie kam Willem darauf?

Als Willem sein Testament machen wollte, war Paul Ratjen als Bürgermeister und Helfer in Amtsfragen auch dabei. Auf dem Amtsgericht in Nortorf wurde alles in Zeichensprache geregelt. Paul hielt ihn an der Hand und erklärte alles mit den Bewegungen, die „Willem" kannte. Amtmann Hermann Carstens, Rechtsanwalt, Amtsrichter und Paul waren sich einig, man hatte alles so geregelt, wie „Onkel Wilhelm" sich das Testament vorgestellt hatte. Als Hans Jakob Ratjen ihn das letzte Mal besuchte, sagte Willem zum Abschied: „Nun geiht de grote Reis los, Hans". Am 8. September 1966 starb Wilhelm Rathjen.

Siehe auch