Archiv:Die Ära der antituberkulotischen Therapie (Stecher)

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Die Ära der antituberkulotischen Therapie

Im übrigen hatte inzwischen die Ära der antituberkulotischen Therapie begonnen. Erste, allerdings nur sporadische Kontakte mit ihr ergaben sich schon 1946, als der ärztliche Direktor des Krankenhauses Tönsheide durch den Chefarzt des für Tuberkulosekranke aus dem Kreis verschleppter Personen in Neustadt eingerichteten Hospitals um Unterstützung in der fachgerechten Behandlung seiner Patienten gebeten worden war und für diese bei Verlegung nach Tönsheide zu aktiven therapeutischen Maßnahmen gelegentlich in der entsprechenden Vorbereitungsphase Streptomycin zur Verfügung gestellt werden konnte. Wenn es sich hierbei auch um Einzelbeobachtungen handelte, so ließen diese dennoch aufgrund durchweg als günstig anzusprechender Resultate die ätiotrope Wirksamkeit dieser Substanz erkennen und die weitere Entwicklung auf diesem Sektor der Tuberkulosebehandlung aufmerksam verfolgen.

Als dann 1947 Herr Prof. Dr. KUHLMANN, der damalige Direktor des Krankenhauses der LVA Mölln, über erste, in größerem Umfang getroffene klinische Erfahrungen mit dem in den Forschungslaboratorien der Firma Bayer entwickeltem TB | berichtete und dessen durch DOMAGK erkannte antıimycobakterielle Potenz in diesem Test Bestätigung gefunden hatte, engagierte sich Tönsheide unter Einsatz aller seiner Möglichkeiten um die praktische Erprobung der in der Folgezeit durch die Zusammenarbeit von Forschung und chemischer Industrie ständig neu entdeckten Antituberkulotika und suchte für diese gültige Verwendungsprinzipien zu erarbeiten. Die anfangs übliche monotherapeutische Applikation der betroffenen Wirkstoffe ließ nicht nur eine differente, sondern auch zeitlich begrenzte Effizienz erkennen. Als Ursache für den letzteren Umstand waren nach andernorts getroffenen Feststellungen primäre bzw. induzierte Resistenzbildungen in den jeweiligen Tuberkulosebakterienpopulationen maßgeblich, die nach späterem Wissensstand aber durch eine anfangs mindestens drei hochwirksame antituberkulöse Substanzen umfassende Kombinationsbehandiung zu vermeiden waren. Hierdurch erlangten unter der weiteren Voraussetzung einer genügend langiristigen Anwendung der betreffenden Mittel Erkrankungsrezidive Seltenheitswert. Als Mitte der 60er Jahre im Rifampicin ein zusätzlicher, hocheffizienter antituberkulöser Wirkstoff zur Verfügung stand, lösten solche multikombinierten Therapieregime nahezu alle anderen Therapiemethodiken wie speziell auch die aktiven Behandlungsverfahren bei Tuberkulose ab und zur Standardmethode jeglicher Tuberkulosebehandlung avancierten.

Diese Entwicklung wurde von Tönsheide mitgetragen. Hier bestimmte allerdings diese über einen langen Zeitraum hinweg die Sorge um eine Überschätzung und damit eines Mißbrauches der jeweils zur Verfügung stehenden Mittel mit evtl. nicht wieder gutzumachenden nachteiligen Folgen für den Patienten. Anlaß hierzu gaben unter Berücksichtigung der verschiedenen Tuberkuloseformen und -qualitäten angelegte subtibe Therapiestudien. Sie zeigten im Vergleich zu ausschließlich konservativ behandelten analogen Fällen unter isolierter Verwendung des geprüften Antituberkulotikums zwar deutlich bessere Behandlungsresultate; sie verdeutlichten aber andererseits auch, daß diese keinesfalls regelmäßig unter Fortsetzung der Monotherapie eine Steigerung erfuhren, sondern häufig wieder verlorengingen, ohne durch einen Wechsel in der antituberkulotischen Medikation regelmäßig aufgefangen werden zu können.

Gleichsinnige Beobachtungen wurden unmittelbar am anatomischen Substrat tuberkulöser Manifestationen im Rahmen der Antituberkulotika-Tamponadenbehandlung nach MAURER getroffen. Von NAGEL vorgenommene bakteriologische und feingewebliche Kontrollen demonstrierten, daß unter der Beschickung von Kavernen mit antimycobakteriellen Wirkstoffen zunächst relativ rasch eine Reinigung und Sterilisation der Kaverne mit nachfolgender Epithelialisierung ihrer Wandung zustande kam, unmittelbar unter dieser aber floride Tuberkel persistierten, die auch bei Fortsetzung der Tamponadenbehandiung in das fortbestehende Lumen erumpierten und somit ein Kavernenrezidiv bedingten.

Gestützt auf klinische und anatomische Beobachtungen solcher Art forderte daher Tönsheide in Verhaftung an seine alte Maxime in zahlreichen Veröffentlichungen zur antituberkulotischen Therapie deren Einordnung in einen vorausschauenden Gesamtbehandlungsplan unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalles. Man verwandte sich zugleich dringlich dafür, günstige Ergebnisse der neuen Therapie im Hinblick auf ihre nicht seltene Labilität zu einem abschließenden aktiven Behandlungseingriff auszunutzen und für diesen zur evtl. Abdeckung in der vorausgehenden antituberkulotischen Medikation, die nach seiner Ansicht nur einen Ausschnitt in der Gesamtbehandlung der spezifischen Erkrankung darstellte, das Streptomycin aufzusparen.

Dieser Standpunkt wurde von HEIN und STECHER auch noch in einer monographischen Darstellung der Chemo- und antibiotischen Therapie der Lungentuberkulose in den Ergebnissen der Gesamttuberkuloseforschung Band 13, der im Jahre 1956 zur Veröffentlichung kam, vertreten. Zugleich aber wurde auch schon auf Grund sich abzeichnender eigener Erfahrungen wie solcher im Schrifttum die Möglichkeit erwähnt und in Erwägung gezogen, daß einer langfristigen Mehrfachkombination von Antituberkulotika — prospektiv gesehen — in der Gesamtbehandlung der Tuberkulose eine selbständige Rolle zukommen könnte. Jedenfalls stand die Leistungsfähigkeit der antituberkulotischen Therapie außerhalb jeder Frage.

Abseuchungstuberkulosen wie die des Kehlkopfes oder des Darmes, die früher manchen Erkrankungsablauf kompliziert und prognostisch ungünstig belastet hatten, erlangten im Krankengut Seltenheitswert oder ließen sich dort, wo sie praeexistent vorhanden waren, auch schon, z. Zt. des isolierten Einsatzes der antituberkulosen Wirkstoffe wie beispielsweise des TB |, das eine ausgesprochene schleimhautwirksame Effizienz zeigte, beherrschen bzw. sanieren. Ebenso zeichnete sich schon frühzeitig zugunsten der neuen Mittel eine Zurückstellung bzw. gar Verdrängung der sogen. temporären Kollapsmaßnahmen wie der Phrenikusausschaltung, der kombinierten Pneumoperitionaeumbehandlung, aber auch der Pneumothoraxtherapie speziell in den Bereichen ab, in denen diese als vorbereitende Maßnahmen für spätere großchirurgische Eingriffe Anwendung gefunden hatten. Auch hinsichtlich der letzteren selbst war mit der Weiterentwicklung der Chemo- und antibiotischen Behandlung der Tuberkulose wie vor allem deren Praktizierung in Form einer langfristigen Mehrfach. kombinationsbehandlung infolge der durch diese erzielten guten wie insbesondere stabilen Resultate ein Auffassungswandel unverkennbar, dem ebenfalls durch Tönsheide Rechnung getragen wurde. Entgegen seiner früheren Meinung, die neue Therapie stelle zwar eine wertvolle, aber nur unterstützende Maßnahme im Rahmen der sonstigen Behandlungsmethoden der Lungentuberkulose dar, fand Tönsheide nunmehr ausreichenden Anlaß für den Standpunkt, in der operativen Behandlung lediglich noch eine Ergänzung der antituberkulotischen Therapie zu sehen. Desgleichen erfuhren die ursprünglich z. Zt. der isolierten Verwendung der neuen Mittel gegen eine ambulante Chemotherapie von Tönsheide erhobenen Einwände eine Korrektur. Diese war anfänglich infolge der Begrenztheit und des vielfach pasageren Charakters ihrer Resultate in der Sorge um eine unkontrollierte Ausweitung mit entsprechenden Nachteilen für die Patienten — mindestens was ihre Einleitung anging — abgelehnt worden. Später konnten solche Bedenken infolge der wesentlich gesteigerten Leistungsfähigkeit der langfristigen Mehrfachkombinationsbehandlung zurückgestellt, ja es mußte alsbald der Mehrfachkombination die Rolle eines unveräußerlichen Bestandteiles der Gesamtbehandlung zugebilligt werden.

Auch wurde schon frühzeitig in Tönsheide erkannt, daß sich unter dem Schutz der Antituberkulotika erweiterte Möglichkeiten für die Resektionsbehandlung mit der Entfernung tuberkulosetragender Lungenanteile in Form der Segmetresektion, der Lobektomie bzw. auch der Pneumonektomie, eröffneten. Es ließen sich durch eine ausreichende antituberkulotische Behandlung die Hauptgefahren eines derartigen Eingriffes in tuberkulösem Gewebe wie die tuberkulöse Infektion der Operationswunde, der Lunge, der Pleura, der Bronchien, der Brustwand, aber auch die tuberkulöse Dissemination auf dem Blut- oder Lymphwege, entscheidend herabsetzen. Diese Entwicklung wollte und konnte Tönsheide nicht verpassen, Vorbereitend galt es, zunächst die Voraussetzungen für den entsprechenden Einstieg zu schaffen. Einrichtungsmäßig waren diese auf Grund der sonstigen großchirurgischen Tätigkeit im Krankenhaus im wesentlichen gegeben. In operationstechnischer Hinsicht mußten solche jedoch erst noch geschaffen werden. Dem wurde schon frühzeitig durch die Abordnung interessierter ärztlicher Mitarbeiter zur Einarbeitung in die Methoden der intratrachealen Narkose und der Bronchoskopie Rechnung getragen. Die Einweisung der chirurgisch tätigen Ärzte Tönsheides in die Technik der intrathorakalen Eingriffe selbst sollte nach einer Vereinbarung in Zusammenarbeit mit Herrn Professor LEZIUS, dem damaligen Direktor der Chirurgischen Abteilung des Universitäts-Krankenhauses Eppendorf, erfolgen. Nach dessen plötzlichem Tod sprangen seine ehemaligen Mitarbeiter, die Herren STÜRTZBECHER, KIRSCHNER und HERZER, in die Bresche, die sich sicher noch gerne des Tönsheider Stallgeruchs wie seiner dankbaren Gastfreundschaft erinnern. Seit dieser Ausbildung, die durch Gastspiele von Mitarbeitern in anderen thoraxchirurgischen Abteilungen wie beispielsweise im Oeresund-Hospital Kopenhagen bei Herrn Dr. HANSEN abgerundet wurde, war die Resektionsbehandlung in Tönsheide eines der geübten Routineverfahren der chirurgischen Therapie der Lungentuberkulose. Zu deren Indikationsstellung wurde im übrigen — speziell in der Abgrenzung zur Kollapsbehandlung — dank der in Tönsheide vorhandenen umfassenden Kenntnis und Erfahrung des Tuberkuloseablaufs überhaupt mancher mit nachhaltigem Interesse aufgenommene Beitrag geleistet.



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