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Die Zeit unmittelbar nach dem Kriegsende

Auch den Schleswig-Holstein besetzenden englischen Truppenverbänden schienen die Tönsheider Warnschilder respektvolle Vorsicht abzunötigen, da erst eine ganze Reihe von Tagen nach der Gasamtkapitulation ein schwerbewaffnetes Kommando vor den Türen des Lazaretts erschien und sich dieses übergeben ließ, wobei die agierenden Tommies nach offenbar auch in den Armeen der Siegermächte geltendem Brauch besonderes Interesse an dessen Alkoholbeständen nahm. Der Angriff konnte, ohne daß es zu Ressentiments von Seiten der Besetzer kam, abgewehrt werden. Vielmehr war ein auffälliges Entgegenkommen der Besatzungsmacht mit verständnisvollem Eingehen auf Tönsheider Belange und auf die von hier ausgegebenen Anregungen für die Tuberkulosebekämpfung im Lande festzustellen. In dieser erschienen pfophylaktische Maßnahmen im Hinblick auf die katastrophalen Lebensverhältnisse nach dem Zusammenbruch, die sich aus der allgemein schwierigen Verpflegungslage und der hohen Wohndichte infolge des Flüchtlingszustromes ergaben und zu einem Anstieg von Tuberkuloseneuerkrankungen mit häufig rasanten Abläufen geführt hatten, besonders dringlich.

Die Erarbeitung eines entsprechenden Konzeptes war in Voraussicht kommender Zwangsläufigkeiten in Tönsheide schon mit Zunahme des Flüchtlingszuzugs nach Schleswig-Holstein in Angriff genommen worden. Dieses sah zur Eindämmung von Neuinfektionen an Tuberkulose für den Personenkreis der noch nichtinfizierten neben einer Bekämpfung der Rindertuberkulose die Vornahme der BCG-Schutzimpfung sowie für die Gesamtbevölkerung Schleswig-Holsteins eine routine- und turnusmäßige Röntgenreihenuntersuchung vor, um Neuerkrankungen an Tuberkulose frühzeitig zu erfassen ung hierdurch mit einer rechtzeitigen Behandlung nient nur Einfluß auf das jeweilige persönliche Krankheitsschicksal nehmen zu können, sondern darüber hinaus auch sich ggfs. anbahnende Infektionsketten möglichst rasch zu unterbrechen bzw. überhaupt nicht aufkommen zu lassen. Noch vor Ende des Krieges beschleunigt zusammengestellt, kamen die betreffenden Vorstellungen und Planungen schon bald nach der Kapitulation in einem zusammenfassenden Resümee bei der Militärregierung zur Vorlage und fanden hier verständnisvolles Interesse, aber auch Unterstützung.

Für die Bekämpfung der Rindertuberkulose bot jedoch die damalige desolate wirtschaftliche Lage keine Chance. Sie konnte erst nach Besserung den selben in Gang gebracht werden, als im Jahre 1949 die Gesundheitsminister der drei Zonen Westdeutschlands und der Stadt Berlin das neue Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose gründeten und dessen Generalsekretär Herr Professor ICKERT sich dieses Problems mit weiteren Vorschlägen annahm, die u. a. auch die in Tönsheide erarbeiteten Richtlinien zur Basis hatten.

Günstigere Voraussetzungen waren für die Tönsheider Initiative der Röntgenreihenuntersuchung und der BCG-Impfung gegeben, zumal hinsichtlich der ersteren bei Einverständnis der zuständigen Stellen der Militärregierung auf das betreffende, zuvor im Dienste der Wehrmacht benutzte Gerät zurückgegriffen werden konnte. Entsprechende Bemühungen hatten Erfolg, wie überhaupt die Besatzungsmacht gegenüber dem Tönsheider Projekt einsichtsvolles Entgegenkommen zeigte. Schon kurz nach Kriegsende, und zwar im Spätsommer 1945, konnte daher auf zunächst freiwilliger Basis mit der Röntgenreihenuntersuchung der gesamten Bevölkerung Schleswig-Holsteins begonnen werden. Zwar stellten sich ihrer Durchführung immer wieder Schwierigkeiten entgegen, jedoch wurden diese durch mancherlei Improvisationen wie beispielsweise die Verwendung von Kinofilmen und Fluorapidpapier als Aufnahmematerial überwunden. In technischer Hinsicht bedeutete dieses sicher einen Rückschritt, jedoch erschien es in der damaligen Situation sinnvoller und richtiger, die Röntgenreihenuntersuchung als "grobes Sieb” fortzuführen, als diese abzubrechen und damit möglicherweise aufzugeben.

Die trotzdem gemachten günstigen Erfahrungen, die durch eine Auffallensquote von 6,6 % repräsentiert wurde, von der sich bei der ebenfalls durch Tönsheide vorgenommenen Nachuntersuchung 4,4 % als sofort behandlungsbedürftig erwiesen, führten dann am 16.6.1947 zur Verabschiedung des RRU-Gesetzes von Schleswig-Holstein und hierdurch erstmals in einem Land der Bundesrepublik Deutschland wie überhaupt der ganzen Welt zur gesetzlichen Verankerung einer Röntgenpflichtuntersuchung im Rahmen einer turnusmäßig wiederkehrenden Röntgenreihenuntersuchung.

Ebenfalls erfolgreich waren die Bemühungen Tönsheides um die Aufnahme der BCG-Impfung in Schleswig-Holstein. Dieser nahm sich der seinerzeitige leitende Public-Health-Officer Colonel DONELLY aufgrund der ihm vorgetragenen Anregungen in höchst unbürokratischer Weise persönlich an und arrangierte anläßlich eines dieserhalb unternommenen Besuches in Kopenhagen die Beschaffung des Impfstoffes wie die Unterstützung der Aktion durch das Dänische Rote Kreuz. Allerdings unterblieb eine Benachrichtigung über die Einzelheiten der getroffenen Absprache wie insbesondere das Timing der letzteren. Tönsheide war daher mehr als überrascht, als nur wenige Tage später ein wunderschönes, in strahlendem Weiß gehaltenes Auto amerikanischer Bauart vorfuhr und diesem voller Tatendrang ein dänischer Arzt nebst zwei Schwestern entstiegen, um mit der BCG-Impfung zu beginnen.

Aufgrund des Fehlens einer Vorabstimmung für das Prozedere bei der Aktion war dies jedoch ein Sprung ins Leere. Nicht nur, daß einem sofortigen Imfpungsbeginn auf Grund der noch immer wachen Erinnerung an die Lübecker Impfkatastrophe im Jahre 1932 Hemmnisse psychologischer Art in der Bevölkerung entgegengestanden hätten, auch in der Ärzteschaft wie insbesondere der Medizinischen Fakultät der Universität Kiel war man hinsichtlich der Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit einer solchen Aktion geteilter Meinung. Solche und andere Widerstände wurden im Rahmen einer Aufklärungskampagne überwunden. Als außerordentlich hilfreich hierbei erwies sich die Einschaltung des Leiters des Dänischen Roten Kreuzes und späteren Präsidenten der Internationalen Vereinigung zur Bekämpfung der Tuberkulose, Herrn Dr. HOLM, dessen günstigem, durch ein großes Zahlenmaterial untermauertem Ergebnisbericht über die mit der Impfung auf der Insel Bornholm bzw. in Dänemark überhaupt gemachten Erfahrungen sich auch die Medizinische Fakultät nicht zu entziehen vermochte. So kam dann doch die BCG-Impfung in Schleswig-Holstein noch so frühzeitig in Gang, daß schon auf der Tagung der Rheinisch-Westfälischen Tuberkulosevereinigung am 4.10.1947 in Düsseldorf durch WALDMANN aus Tönsheide über 5.600 bis dahin in Schleswig-Holstein vorgenommene BCG-Schutzimpfungen Rechenschaft abgelegt und mit Recht darauf verwiesen werden konnte, daß es sich hierbei um die erste, in größerem Umfang durchgeführten BCG-Impfungen in Deutschland überhaupt handelte.

Unbeeinträchtigt vom Engagement bei der Etablierung und Durchführung der Röntgenreihenuntersuchung und der BCG-Schutzimpfung, denen ım übrigen ohne die verständnisvolle Unterstützung durch die vorgesetzte Behörde und die damaligen Leitenden Medizinalbeamten, Herrn Dr. STROTHMANN und Herrn Dr. GLASER, der Erfolg verwehrt geblieben wäre, hatten in Tönsheide unterdessen die Bemühungen um eine möglichst adäquate und konsequente therapeutische Betreuung seiner Patienten ihren Fortgang gefunden. Allerdings waren in dieser Hinsicht in den unmittelbaren Nachkriegsjahren Probleme mannigfaltigster Art zu bewältigen. Nicht nur, daß es immer wieder galt, Schwierigkeiten im Bereich der Grundversorgung des Krankenhauses zu meistern. Besondere Sorge bereitete infolge Platzmangels die möglichst umgehende Unterbringung neu entdeckter Tuberkulosefälle und damit die Eliminierung entsprechender Infektiunsquellen. Hinzu kam das Überwiegen exsudativer pulmonaler Reaktionen innerhalb des Krankengutes, das ebenso wie die jetzt häufiger als früher auffallenden späten Primärinfektionen mit ihrer hohen Gewebs- und besonderen Pleuraempflindlichkeit nach bereits getroffenen Erfahrungen in diesen Krankheitsphasen die primäre Anwendung direkt am und im Thorax angreifender Lungenkollapsverfahren und hier speziell den Pneumothorax wegen der nahezu zwangsläufigen Gefahr des Auftretens für den Patienten oft schicksalsbestimmender Komplikationen in Form bronchogener und hämatogener Streuungen sowie von exsudativen pleuralen Reaktionen verbot. In solchen Fällen erwies sich die in dieser Hinsicht risikoärmere temporäre Phrenikusausschaltung und das Pneumoperotonaeum als indirekte Kollapsmaßnahmen als hilfreich, da es bei ihrer Anwendung unter den damaligen Verhältnissen gelang, entsprechende Prozesse schneller und sicherer als bei ausschließlich konservativer Therapie zur Ausreifung zu bringen, um sie dann etwaig noch angezeigten direkten kollapstherapeutischen Eingriffen sekundär, aber bei nunmehr deutlich geminderter Komplikationsgefährdung zuzuführen.

Mit der Darstellung der speziell in dieser Indikationsstellung getroffenen Ergebnisse und Erkenntnisse, die nach zwischenzeitlichen Berichten durch NAGEL 'S Zusammenfassung in seinem Referat anläßlich der ersten wissenschaftlichen Tagung der Norddeutschen Tuberkulosegesellschaft 1949 in Hamburg erfolgte, trug Tönsheide maßgeblich zur Etablierung der Pneumoperitonaeumbehandlung als einer Bereicherung der kollapstherapeutischen Möglichkeiten unter den Verhältnissen der Nachkriegszeit bei. Zum anderen wurde aber auch durch Aufzeigung ihrer Grenzen eine Ausuferung derselben mit ungezieltem Einsatz des Verfahrens zum Nachteil betroffener Patienten verhindert. Ebenso wurde in die Diskussion um die Wertigkeit weiterer, seinerzeit propagierter aktiver Behandlungsmethoden der Lungentuberkulose wie beispielsweise der Maurer-Plastik und der vom gleichen Autor angegebenen offenen Kavernentamponade eingegriffen und u. a. deren Stellung im Rahmen der sonstigen chirurgischen Behandlung der Lungentuberkulose durch HEIN in seinem vielbeachteten Referat über den Stand der chirurgischen Behandlung der Lungentuberkulose anläßlich der zweiten Nachkriegstagung der Deutschen Tuberkulose-Gesellschaft 1949 in Münster gültig charakterisiert.

In konsequenter Verfolgung der erarbeiteten Behandlungsprinzipien, die letzendlich auf der Tönsheider Maxime fußten, die aktiven Behandlungsmethoden außerhalb jeden Schematismus dem jeweiligen Prozeßstadium angepaßt und ggfs. auch in Abfolge einzusetzen, konnte in vielen, anfänglich desolat erscheinenden Fällen die bestehende Tuberkulose beherrscht und ihren Trägern zur Gesundung verholfen werden. Daneben hatten sich auch Erleichterungen in der angespannten Bettensituation erreichen lassen. Dies, weil es dank des Entgegenkommens der LVA, aber auch der niedergelassenen Ärzte, zu einem Abkommen gekommen war, das im Rahmen der Anwendung temporärer Kollapseingriffe bei seuchenhygienischer Vertretbarkeit die abschnittsweise Verlagerung der betreffenden Behandlung unter weiterer zentraler Kontrolle durch Tönsheide in die ambulante Praxis ermöglichte. Eine spürbare Entkrampfung wurde hier jedoch erst deutlich, als die LVA aufgrund einer Anordnung der Militärregierung ehemalige Wehrmachtslazarette übernahm und eine Reihe von diesen zu Behandlungsstätten für Lungenkrankheiten umfunktionierte.

Einige derselben kamen in den folgenden Jahren nach Minderung der Bettennotsituation auf Grund unzureichender baulicher Gegebenheiten oder anderer Unzulänglichkeiten wieder zur Auflösung, während andere einen weiteren Ausbau erfuhren. Hierzu gehörten u. a. die Heilstätte Holsteinische Schweiz und das Krankenhaus Mölln. Die chefärztliche Leitung der ersteren war 1947 Herrn Dr. GREGGERSEN, einem Assistenten des Krankenhauses Tönsheide, übertragen worden, während das Krankenhaus Mölln im Jahre 1950 in der gleichen Stellung mit Herrn Dr. NAGEL, einem Oberarzt des Krankenhauses Tönsheide, besetzt wurde. Ebenfalls, und zwar im Jahre 1947, war schon der damalige erste Oberarzt des Krankenhauses Tönsheide, Herr Dr. KOSKE, ausgeschieden, um die Chefarztstelle im Krankenhaus Großhansdorf der LVA Freie und Hansestadt Hamburg zu übernehmen. Ebenso verhalf in diesen Jahren der Bekanntheitsgrad ihrer Schule noch weiteren Ärzten der alten Tönsheider Mannschaft zu neuen Stellungen in aussichtsreichen Positionen für ihren künftigen beruflichen Werdegang.

Nahtlos wettgemacht wurde dieser Aderlaß durch eine neue, inzwischen in Tönsheide herangereifte Ärztegeneration, deren Mitglieder das Kriegsende — vielfach schon mit abgeschlossener Fachausbildung der verschiedensten Richtung — aus renommierten Kliniken Ostdeutschlands nach Tönsheide verschlagen hatte oder die sich hier aufgrund ihres Interesses am Problem der Tuberkulosebehandlung und -bekämpfung dank der gegebenen vielseitigen Ausbildungsmöglichkeiten eingefunden hatten. Hinzu kam als weitere Entlastung für die ärztliche Betreuung seiner Patienten, daß das dem Krankenhaus Tönsheide angeschlossene Hilfskrankenhaus Osterrönfeld mit Wirkung vom 1. Januar 1949 abgetrennt und ärztlich wie verwaltungsmäßig als selbständige Heilstätte der LVA Schleswig-Holstein weitergeführt und mit der früher ebenfalls dem Krankenhaus Tönsheide angeschlossenen Klinik Kaiserberg ab 1. April 1949 in gleicher Weise verfahren wurde. Durch die Abtrennung der beiden Anstalten verringerte sich die Bettenzahl in Tönsheide, bei dem der Heidhof und Tannenfelde weiter als Nebenstation verblieben, von vorher 650 auf nunmehr 330 Betten. Die hierdurch eingetretene Lockerung in der Alltagsroutine des Krankenhauses kam einer noch intensiveren Patientenbetreuung zugute, schaffte zum anderen aber auch für dessen Engagement Freiraum, theoretischen und praktischen Fragen der Tuberkulosebekämpfung und -behandlung und den sich aus diesen ergebenden Konsequenzen nachzugehen.

In diesem Bemühen behielten die schon früher vom Chef des Hauses immer wieder gebrauchten Sentenzen des nil admirari bzw. ora et labora ebenso Kraft und Gültigkeit wie seine bei drängenden Terminen zur Abgabe wissenschaftlicher Arbeiten nicht selten gehörte Aufforderung: "Der Tag hat 24 Stunden. Wenn Sie damit nicht auskommen, nehmen Sie doch die Nacht zur Hilfe.”

Frucht solcher Anstrengungen waren u. a. Beiträge zu aktuellen Tuberkuloseproblemen in Form von Referaten und Diskussionsbemerkungen anläßlich von Kongressen der entsprechenden wissenschaftlichen Gesellschaften. An deren Aktivierung bzw. Gründung, wie beispielsweise die der Norddeutschen Tuberkulose-Gesellschaft, hatte Tönsheide insofern maßgeblichen Anteil, als entscheidende Initiativen hierzu schon in den unmittelbaren Nachkriegsjahren von dessen ärztlichem Direktor ausgegangen waren. Außerdem hatte sich dieser schon bald nach dem Kriege angelegen sein lassen, die alten Beziehungen Tönsheides zu ausländischen Forschungsstätten und Gesellschaften wieder anzuknüpfen und neu zu beleben. Dies gelang trotz vieler zeitbedingter Schwierigkeiten wider Erwarten schnell. Offensichtlich hatten alte zwischenmenschliche Beziehungen wie der Ruf Tönsheides als einer Innovationsstätte für die Behandlung und Bekämpfung der Tuberkulose die Kriegsläufte überdauert bzw. seine danach in diesem Sinne wieder erbrachten Leistungen auch im Ausland aufmerksame Beachtung erfahren. Zudem entwickelten sich neue Kontakte wie insbesondere auch zum American College of Chest Physicians, die sich später noch enger gestalten sollten und ihre Krönung darin fanden, daß die Gesellschaft, einem Vorschlag Hein’s folgend, erstmals ihren Internationalen Kongress in Deutschland abhielt und Hein zum Schirmherrn desselben ernannte bzw. diesen auch als Regent für Deutschland einsetzte. Tönsheide, dessen ärztlicher Direktor seit 1950 der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität in Kiel als Professor angehörte, war jedenfalls bereits zu diesem Zeitpunkt wieder voll in die Tuberkuloseforschung der übrigen Welt eingebunden. Niederschlag fand die vollzogene Integration durch den Besuch von Ärzten aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland wie durch längerfristige Tätigkeiten ausländischer Gastärzte. Intensiviert worden war unter Wiederaufnahme eines wechselseitigen, befristeten Assistentenaustausches auch die auf alten Bekanntschaften beruhenden Beziehungen zu vielen namhaften Kliniken der Bundesrepublik.

Interesse und nachahmenswerte Beachtung fand vor allem das Anliegen der Tönsheider Schule, das breite Spektrum der zur Verfügung stehenden therapeutischen Maßnahmen einer subtilen Indikationsstellung zu unterwerfen, die sich an den in sorgfältiger Analyse gewonnenen anatomischen und physiologischen Gegebenheiten des Einzelfalles ausrichtete und bei diesem Vorgehen zu günstigen, auch von Spätkomplikationen unbelasteten Dauerergebnissen führte. Nach Interessen und speziellem Fachwissen zu Gruppen zusammengeschlossen, bemühte sich hierum ein durch das Beispiel von Herrn Prof. HEIN hochmotivierter Mitarbeiterstab und suchte in dieser Hinsicht unter kritischer Überprüfung der getroffenen Erfahrungen wie auch durch die Einbeziehung und Weiterentwicklung neuerer Untersuchungsmethodiken speziell auf atemfunktionellem Gebiet den vorliegenden Erkenntnisstand zu erweitern und die sich hieraus ergebende Konsequenzen in Richtlinien zu einer fallgerechten Tuberkulosetherapie umzumünzen. Im Rahmen dieses Engagements fand insbesondere das atemfunktionelle Laboratorium nach und nach einen, dem jeweiligen Wissensstand angepaßten Ausbau, um den sich vornehmlich die späteren Professoren HERTZ bzw. in dessen Nachfolge FERLINZ verdient machten und hierbei erstes wissenschaftliches Profil gewannen.

Allen diesen ärztlichen Aktivitäten hätte es jedoch an dem erforderlichen Freiraum gemangelt, wenn nicht auch die sonstigen Mitarbeiter Tönsheide im Gefühl enger Zusammengehörigkeit verbunden gewesen wären und sich mit dessen Aktionspfogramm nicht voll identifiziert hätten. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die aufopferungs- und entsagungsvolle Hingabe zu erwähnen, mit der die Schwestern ebenso wie die sonstigen Pflegekräfte, speziell auf der aseptischen und septischen Operationsabteilung, ihrer verantwortungsreichen Tätigkeit nachkamen, ebenso aber auch der selbstlose, häufig außertariflich geleistete Einsatz der weiteren Hilfskräfte des Krankenhauses im Innen- und Außendienst. Ihrer aller den Patienten entgegengebrachte Zuwendung erhielt Tönsheide trotz seiner Belegungskapazität und der großen operativen Frequenz den Ruf eines nach heutiger Bezeichnung humanen Krankenhauses.

Bei dieser konzertierten Aktion wirkte ebenfalls die Verwaltung tatkräftig mit. Repräsentiert durch ihren jeweiligen Leiter stellte sie stets, wie vor allem in den unmittelbaren Nachkriegsjahren, die Logistik des Krankenhauses sicher und mühte sich intensiv um die Vertretung dessen Belange im Apparat der vorgesetzten Behörde. Dies dürfte sie manchesmal bei dem Totalitätsanspruch des ärztlichen Direktors Tönsheides und dessen vielfältigen, im Interesse der Tuberkulosebekämpfung aber erforderlich gehaltenen Sonderwünschen Selbstüberwindung gekostet haben. Nachhaltige Erinnerungen hinterließ insbesondere Herr Amtmann GEERDS, der nach der Pensionierung von Herrn Rehder kurz nach dem Kriege als Verwaltungsleiter dessen Nachfolge antrat. Seine hohen Qualitäten im Amt wurden von echter menschlicher Wärme sowie einem ausgesprochenen Gerechtigkeitsgefühl getragen, die manche Härte im Tönsheider Alltagsleben ausgleichen ließ. Einer seiner besonderen von ihm zu verantwortenden Coups war der Bau eines Wohnhauses für ehemalige Angehörige des Betriebes im Rentenalter sowie eines Treibhauses zur Anzucht des dringend benötigten Frühgemüses. Da insbesondere verwaltungsmäßig nicht sein kann, was nicht sein darf, war die spätere Vereinnahmung durch die LVA dieser mit Eigenmitteln geschaffenen Einrichtungen schwieriger als deren Erstellung.



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