Hungersnöte in Aukrug

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Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Hungersnöte in Aukrug, häufig aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen in Kombination mit klimatischen Bedingungen. Chronist Georg Reimer konnte für die Aukrugdörfer einige Berichte aus Krisenzeiten vor 1900 zusammentragen. Für die Hungersnot im Ersten Weltkrieg liegen noch keine Beschreibungen aus Aukrug vor, die Lage wird jedoch der allgemeinen Situation im Deutschen Reich entsprochen haben. Die Auswirkungen der teils scharfen Gegensätzen zwischen Stadt- und Landbewohnern im Steckrübenwinter 1916/17 sind für den Aukrug noch nicht untersucht worden, vermutlich weil Georg Reimer im Ersten Weltkrieg von Anfang bis zu Ende als Soldat im Einsatz war und nach dem Krieg bis 1922 an der Herausgabe des „Heimatbuches des Kreises Rendsburg" mitarbeitete.

1643—1645 Schwedenkrieg

Nach Dänemarks Frieden mit dem Kaiser hatte Schweden in den Dreißigjährigen Krieg eingegriffen und unter Gustav Adolf glänzende Erfolge errungen. Die Folge dieser Kriegszüge war ein ungeheures Elend für die Bevölkerung. Um den Leuten zu helfen und auch etwas Geld in die Kassen zu bekommen, ordnete Christian IV. am 14. November 1646 an: Wer zahlen kann, soll zu Steuern angesetzt werden, die nichts haben, sind ganz freizulassen. Die wüsten Hufen sind mit Bauern zu besetzen. Ihnen ist eine gewisse Zeit Freiheit von den gewöhnlichen Abgaben zu gewähren.

Ein Bericht des Rendsburger Amtmanns Christian Rantzau (11) von 1646 gibt uns Nachricht über den schlechten Zustand des Amtes. Er berichtet, dass er fast den ganzen Monat Dezember mit Haltung des Ding und Rechts (Gericht) zubringen musste, weil es wegen des jetzt überstandenen Krieges in fast vier Jahren nicht gehalten war, "es nunmehr wegen Ew. Königl. Maytt darunter merklich versirenden interesse der bruchfälligen Sachen und deren apdingung halber" gehalten werden muß. (Es wurden nur Geldstrafen verhängt, und der König konnte Geld brauchen.). Es waren im Amte 150 wüste Hufen vorhanden. Das war etwa ein Drittel der Hufen. Um sie wieder zu besetzen, wurden sie von der Kanzel proklamiert, "ob sich niemand finden möchte, der dieselben wieder annehmen wolle. Ich habe über allen angewandten Fleiß niemand dazu bringen können, zumalen, daß bei dem größten Teil die Zimmer und Gebäude abgebrannt, keine Pferde und ander Vieh, welches eisbei Annehmung einer wüsten Hufe pflegen zu bekommen, dabei vorhanden, und also woll zu befahren (befürchten), daß die wüsten Hufen des Amptes nicht in diesem noch in folgenden drei oder vier Jahren alle werden wieder besetzt werden können, zumalen die schweren Contributionen die Leute abschrecken ganze oder halbe Hufen anzunehmen, besonders ein jedweder nur suchet, wie er in einer kleinen Kate oder Hütte sich aufhalten und Wohnung haben möge." Die nun folgenden zwölf Friedensjahre brachten natürlich keine ausreichende Erholung. Der nun folgende „Polackenkrieg" 1657 — 60 zerstörte das Wenige wieder und richtete neuen Schaden an.

1657—1660 Polackenkrieg

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Marsch der Schweden über den Belt

Die Herzogtümer waren 1658 und 1659 im Dänisch-Schwedischen Krieg nicht der Schauplatz von Kampfhandlungen. Doch österreichische, brandenburgische und polnische Truppen lagen als „Verbündete“ im Land und ernährten sich auch daraus. Die Folgen, auch für den Gottorfer Anteil, waren trotzdem verheerend. Nach dem polnischen Kontingent, das fürchterlich hauste (Zitat Reimer), wurde die Zeit später im Volksmund oft als Polackenkrieg bezeichnet. Am 27. Mai 1660 vermittelten Frankreich, England und die Niederlande als Garantiestaaten in Kopenhagen erneut einen Frieden. Reimer berichten von ungeordneten Amtsrechnungen aus dieser Zeit. In den Rechnungen wird auf Beilagen verwiesen, die Näheres angeben sollen, aber gerade diese wichtigen Beilagen fehlten. So konnte er keine Angaben über Verluste im Aukrug ermitteln.

Die Nortorfer Kirche, die Gebäude der Geistlichen und des Küsters hatten wieder sehr gelitten. 1660 wurde für 33 Mk, 1661 für 54 Mk Fensterglas gebraucht. Vom Kirchenspeicher wurden 3 1/2 Tonnen Roggen geraubt. Die Böker Hufe blieb wieder ihre 3 Tonnen Roggen schuldig, in Gnutz fehlen 1660 von fünf Hufen 13 Tonnen Roggen, in Thienbüttel von zwei Hufen 5 Tonnen. Aus dem Bargstedter Viertel fehlen 15 Tonnen von zehn Hufen. Noch 1663 sind 104 Mk, 1664 noch 89 Mk als Restanten aus dem Aukrüger Viertel verzeichnet. Gleichfalls blieben die Schuldner der Kirche mit den Zinsen im Rückstand. Manche Bauern mussten wieder Geld von der Kirche leihen, so Hans Stieper (Glindemann) in Böken. Wieder sind von den Kirchenroggen liefernden Hufen einige wüst geworden, zwei in Warder und eine in Schülp werden genannt. Der Kaplan erhielt wieder kein Gehalt, sondern musste während der Kriegszeit Geld für seinen Unterhalt „von ehrlichen Leuten auf Zinsen nehmen". Dem Kirchenjuraten Frenz Kaack in Nortorf raubten die Polen die Kirchenrechnung.

Hinzu kam eine starke Inflation. 1656 kostete der Roggen in Nortorf 3 Mk 20 ß, 1661 aber 13 Mk die Tonne. „Die Leute sind wegen "der ausgestandenen Kriegspressuren sehr abgemattet". Zu allem kam noch eine Viehseuche, die „Kage", die große Verluste verursachte. Einem Bauern in Homfeld wurden deshalb von seiner 20 Rthlr 9 ß betragenden Kontribution 5 Rthlr 24 ß erlassen. Hans Tancks Hufe in Bargfeld war 1667 an Claus Homfeld für die Hälfte der Steuern überlassen. Er sollte das Haus wieder aufbauen und die verhauene Hölzung in Stand bringen.

1813/1814 Kosakenwinter

Datei:Kosaken Elbe 1814.jpg
Die Kosaken überqueren die Elbe, Zeichnung um 1814

Kosakenwinter bezeichnet die Einquartierungen dänischer, schwedischer und russischer Truppen in Schleswig-Holstein im Winter 1813/1814. Die Kosaken der russischen Truppen machten dabei den kleinsten Teil der Truppen aus, hinterließen bei der Bevölkerung aber den größten Eindruck.

Nach Frankreichs Niederlage im Russlandfeldzug 1812 schlossen die Gegner Napoleons – Preußen, Österreich, Schweden, Russland und Großbritannien – ein Bündnis gegen Napoleon. Dänemark hielt weiter zu Frankreich. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig (16.–19. Oktober 1813) rückte eine schwedisch-russisch-preußische Armee mit 57.000 Mann unter dem schwedischen Kronprinzen Karl Johann – dem ehemaligen französischen Marschall Jean-Baptiste Bernadotte – in Schleswig-Holstein ein und besiegte die dänischen Truppen, die sich aber in die schützende Festung Rendsburg zurückziehen konnten.

Aus dieser Zeit sind für Aukrug einige Nachrichten überliefert. „In der ersten Nacht, wie die Feinde sich näherten, waren über 1000 Mann in Nortorf, die sich teils in den Häusern, teils auf den Feldern lagerten, weil sonst nicht unterzukommen war. In der Folge verbreiteten sich die Feinde überall im Kirchspiel, nahmen Vieh, Pferde und Wagen, Korn, Heu und Stroh, Speck und Brot, Butter und Eier, ja sogar Geld und Geldeswert, alles was nur aufzutreiben war. Es war also bei den unzähligen Haufen der feindlichen Truppen, die unter dem Namen der „Deutschen Legion" von dem General Wallmoden kommandiert wurden, an keine Ordnung und regelmäßige Verteilung zu denken. Es war daher dem Kirchspiels-Offizial Reimers (Jakob Reimers aus Innien, der den eingezogenen Kirchspielvogt vertreten musste), der sonst ein sehr tätiger Beamter war, nicht möglich, Ordnung zu halten, wie er es gewünscht hätte. — Man denke sich, wie schwer er gelitten, da er 5 mal 24 Stunden nicht die Stiefel von den Füßen gehabt und keine einzige Stunde hat niedergestreckt ruhen und schlafen können.

Das Kirchspiel hat schwer büßen müssen, da ihnen unter anderem 1000 Pferde verloren gegangen sind. Alles, was da war, wurde vom Feinde aufgezehrt, und haben alles hergeben müssen und wenig oder gar nichts behalten, Kühe und Schafe sind ihnen genommen und haben als Opfer für die Feinde bluten müssen. — Man kann sich denken, wie viel Habe vom Feind aufgesucht und wie wenig die ausgeplünderten Menschen zu ihrer Substitation nachbehalten haben. Bei uns ist es soweit gekommen, daß die Feinde Wagen, Pflüge und Eggen verbrannten und aus schändlichem Mutwillen alles kurz und klein schlugen und stießen, so daß viele unter uns nur das bloße Obdach behalten haben. Der klösterliche Bauernvogt Claus Gloy in Innien (3) schreibt: „Im Jahre 1813 ging alle Ordnung, Ehre und Redlichkeit zu Ende, da mußte ich, statt Schutz bei meiner Obrigkeit zu finden, in meinem Gewissen suchen und habe mehrere male von den feindlichen Truppen wenn ich ihre Forderungen nicht befriedigen konnte, den Rücken bläuen lassen."

Alte Leute erzählten mir, dass die Kosaken in Greves Haus in Böken auf der großen Diele ihr Essen gekocht haben. An Ketten hing ein großer Kessel über dem Feuer, das mitten auf der Diele brannte. Heu und Stroh lagen herum, aber es ging alles gut. Dem Lehrer Tiedemann wurden Uhr und Silberzeug gestohlen. Auf seine Klage mussten die Russen es wieder herausgeben, aber Tiedemann musste flüchten. Ein Kosak, der einen Bauern verfolgte, geriet in Thuns Wiese an der Aubrücke mit dem Pferd in die Au und ertrank (Kosakenkuhle). In der Heidkate wurde ein Mädchen von den Feinden überfallen und misshandelt. Die beiden Übeltäter wurden gefasst und erhielten in Gegenwart von zwei Bauern ihre Prügel. Peter Reimers, Setzwirt auf der Hufe Holm in Bünzen, wurde gebunden nach Rendsburg mitgenommen. Carstens in Bünzen wurde überrascht, als er sein Geld im Uhrgehäuse verstecken wollte. Den größten Teil des Geldes nahmen sie weg, einiges ließ man ihm. Claus Ratjen in Homfeld, Kröger Klas genannt, hatte sein Geld vergraben. Ein Dienstmädchen wurde gezwungen, die Stelle zu verraten. Krüger Klas verlor nicht nur sein Geld, sondern erhielt obendrein auch noch Prügel. Dem Kirchenältesten Claus Ratjen in Homfeld wurde die Kirchenkasse, soweit er sie zu verwalten hatte, genommen, 20 rbt. 80 bs. Claus Reimers in Innien hatte sein Geld hinter einem Dachsparren versteckt und es so gerettet. Die Schulstube in Böken und wohl auch die in den anderen Dörfern wurde als Krankenstube benutzt (5).

Die besten Pferde wurden in den Wäldern versteckt, in Homfeld im Eschenburen, in Böken im Kleef, in Bünzen im Stockwischenholt, in Innien im Hölln. Dort waren große Gruben, die man mit Busch bedeckt hatte. Im Hölln zeigte man noch die Stelle, und in Bucken hieß die Grube noch lange der Russenstall. Dort hielten sich auch zeitweise die Frau und Kinder des Bauern Holm auf. Unsere Gegend war besonders stark vom Feinde mitgenommen worden, sodass die Truppen sie auf dem Rückwege direkt mieden.

Der angerichtete Schaden war groß. Im Januar 1814 wurden in Böken, und wohl auch in den anderen Dörfern, die Schäden festgestellt. Zwei Tage brauchten Lehrer Tiedemann und Bauervogt Jochim Rathjen, um „über jedes Interessenten an den Feindlichen geleistete Requisitionen etc und gewaltsam Entwendetes und dadurch genommenen Schaden ein Protokoll aufzunehmen". Leider fehlten im L. A. Schleswig die Verlustlisten des Kirchspiels Nortorf, während die von den anderen vorhanden sind. Tiedemanns Tagebuch (Allerleibuch), das er erwähnt und das uns wohl mancherlei aus der Kriegszeit erzählen könnte, ist wohl längst vernichtet. Langheim (8) berichtet, daß das Kirchspiel Nortorf 297 Perde, 389 Rinder, 112 Schweine, 254 Schafe verloren habe. Mit sonstigen geraubten Sachen beziffert er den Verlust auf 149 000 rbt. Die Einquartierungskosten beliefen sich auf 44 605 rbt. So war ein Verlust von knapp 200 000 rbt entstanden.

Nach dem Krieg erhielten die Bauern einige Entschädigungen für die Verluste: Böken erhielt für Vieh und sonstige Verluste 440 rbt und für Requsisitionen 974 rbt, Bünzen 290 und 530, Innien mit Bucken 325 und 690, Homfeld 490 und 680, Bargfeld 370 und 320 rbt. Es soll damit nur ein Achtel der Schäden vergütet worden sein.

"Das Jahr ohne Sommer" löst ab 1816 eine Hungersnot vor allem in der Schweiz, Süddeutschland und den preußischen Rheinprovinzen aus. Getreide verfault im Regen auf den Feldern, Fruchtfolgen werden zerstört, Nutztiere verhungern, Flüsse treten über die Ufer. Mit dem Jahr 1817 setzen dort Jahrzehnte der Massenarmut und Massenauswanderung ein.

1916/1917 Steckrübenwinter

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Bekanntmachung der Kartoffelrationierung, Pirmasens 1917

Der Steckrübenwinter, auch Kohlrübenwinter und Hungerwinter genannt, bezeichnet eine Hungersnot im Deutschen Reich im Winter 1916/17 während des Ersten Weltkrieges, ausgelöst durch kriegswirtschaftliche Probleme und die britische Seeblockade in der Nordsee. Bis zum Beginn des Krieges importierte das Deutsche Reich etwa ein Drittel seiner Lebensmittel. Es war damals weltweit der größte Importeur von Agrarprodukten. Großbritannien hatte nach Kriegsbeginn 1914 ein Handelsembargo gegen Deutschland erlassen und eine zunehmend wirksame Handelsblockade zur See errichtet, die erst 1919 aufgehoben wurde. Ebenso fehlten die Importe aus Russland. Im Januar 1917 stoppten schließlich auch die USA den heimlichen Handel mit Deutschland über neutrale Staaten.

Ein noch wichtigerer Grund für den Mangel waren die überbordende Bürokratie und kontraproduktive Maßnahmen der Preis- und Verteilungspolitik. Es kam zur Lebensmittelrationierung und Zwangsbewirtschaftung. Der deutschen Landwirtschaft mangelte es zudem an Arbeitskräften, Zugtieren und Kunstdünger; ferner gab es Transportprobleme.

Im Mai 1916 wurde das Kriegsernährungsamt gegründet, das direkt dem Reichskanzler unterstand. Es war für die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung zuständig und band sämtliche Interessenten ein: ein klassisches Beispiel für den deutschen Kriegskorporatismus der Jahre 1914 bis 1918. Um den Burgfrieden nicht zu gefährden, wandte das Kriegsernährungsamt auch drastische Maßnahmen an, die ihm den Vorwurf des „Staatssozialismus“ eintrugen, etwa eine Erhöhung der Rationen für Schwer- und Schwerstarbeiter und eine direkte Belieferung der Rüstungsbetriebe mit Lebensmitteln, weil man den Arbeitern das Schlangestehen ersparen wollte. Außerdem wurde die Verfütterung von Kartoffeln verboten. Die Behörden kämpften gegen das Verheimlichen von Vorräten bei den Produzenten an. Trotz dieser Anstrengungen scheiterte das Kriegsernährungsamt mit dem Versuch, eine Hungersnot zu verhüten.

Aufgrund der früh einsetzenden Rationierung von Getreideprodukten und des fast völligen Fehlens von Fleisch- und Wurstwaren im Angebot stieg der Kartoffelverbrauch Anfang des Jahres 1916 auf das zweieinhalbfache des Vorkriegsniveaus. Ein verregneter Herbst 1916 verursachte eine Kartoffelfäule, die die Ernte etwa auf die Hälfte des Vorjahres reduzierte. Ernährungswirtschaftlich war der Krieg für Deutschland schon 1916 verloren. Die Steckrübe, eine Kohlart, wurde für breite Kreise der Bevölkerung wichtigstes Nahrungsmittel. Man ernährte sich von Steckrübensuppe, Steckrübenauflauf, Steckrübenkoteletts, Steckrübenpudding, Steckrübenmarmelade und Steckrübenbrot. Mit dem Spitznamen „Hindenburg-Knolle“ wurde sie nach dem damaligen deutschen Oberbefehlshaber Paul von Hindenburg benannt. Am 4. Dezember 1916 ordnete das Kriegsernährungsamt zur Sicherung der Volksernährung die Beschlagnahme aller Vorräte an Steckrüben an.

Im Winter 1916/1917 kam es zu einem unerwarteten Kälteeinbruch. Zudem wurden die Wohnungen mangels Kohle kaum mehr beheizt. Die Bevölkerung wurde teilweise durch Suppenküchen notdürftig versorgt. Im Frühjahr 1917 sank die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln auf ihren Tiefpunkt. Die Ernte im Herbst brachte eine leichte Verbesserung. Allerdings war sie auf die Hälfte eines normalen Ertrags gesunken. In Deutschland starben von 1914 bis 1918 etwa 800.000 Menschen an den Folgen von Unterernährung.

1946/1947 Hungerwinter

Lebensmittelkarte 1945

Der Hungerwinter ereignete sich zwischen November 1946 und März 1947. Es war einer der kältesten Winter in Deutschland seit Jahrzehnten und gilt als strengster Winter des 20. Jahrhunderts im Nordseeraum. Nachdem die Lebensmittelkrise schon Anfang 1946 begonnen hatte, brach Anfang Januar 1947 eine Kältewelle über Westeuropa herein.

Wie war eigentlich die Zeit vor 1948? Haben wir diese „Schlechte Zeit" ganz vergessen? In einem Gespräch mit der 88-jährigen Kaufmannsfrau Grete Michaelsen aus Böken wurde klar, auch diese Zeit gehört in die Chronik. Wissen wir überhaupt noch, dass nicht die Lohnwoche oder der Gehaltsmonat, sondern die Zuteilungsperiode die wichtigste Zeitrechnung für uns war? Daß wir Weihnachten 1947 bei der Zuteilungsperiode 109 und Weihnachten 1948 bei der Zuteilungsperiode 121 angelangt waren? Ist uns etwa Abschnitt 11 noch ein Begriff? Abschnitt 11 war die Fettkarte des Normalverbrauchers.

Im letzten Weihnachtsmonat vor der Währungsreform, im Dezember 1947, wurden 150 g Fett auf diese Karte zugeteilt, das war die ganze Monatsration. Glücklicher als Normalverbraucher waren der Normalarbeiter, der Teilschwerarbeiter, der Mittelschwerarbeiter und der Schwerstarbeiter. Jeder bekam 50 oder 100 g Fett mehr als der andere. 1946 erhielt der Normalverbraucher 10 g Fett je Tag, 1947 sechs und 1948 schon wieder 15 g. 400 g Fleisch gab es im Dezember 1948 im ganzen Monat. An Brot gab es 10 kg, an Kartoffeln 8 kg, an Nährmittel 1,3 kg, an Zucker und Fisch je 500 g in der ganzen Periode. Kinder, Mütter und Kranke bekamen Vollmilch zugeteilt. Gekämpft wurde darum, ob man den alten Leuten 1/4 Liter Milch geben konnte oder nicht. Diese Vollmilch hatte einen Fettgehalt von 2,6 %. 3/4 Liter Vollmilch je Tag war der Höchstsatz. Ihn bekamen nur Säuglinge und Kleinstkinder. Kinder von drei bis sechs Jahren erhielten nur 1/2 Liter.

Vom siebten Lebensjahr an gab es nur noch entrahmte Frischmilch. Der Rationssatz betrug sechs Liter im Monat und auch das nur für Kinder und Jugendliche bis 20. Wer älter war, bekam drei Liter in der Periode. Zur Herrichtung des „Muckefuks" wurden 125 g Kaffee-Ersatz verteilt. Frau Michaelsen erinnert sich an eine Frau, die ihre 62,5 Gramm Butter abholte und so richtig froh sagte: „Jetzt werde ich erst einmal eine Butterstulle essen."

Die Kaufleute mussten die abgeschnittenen Lebensmittelmarken auf Papier kleben und bei der Gemeinde abliefern. Dafür bekamen sie Bezugsscheine, die an die Firma Raasche in Itzehoe gingen. Diese brachte dann wieder neue Ware. Glücklich schätzten sich die Aukruger, die einen Garten hatten oder in der Landwirtschaft tätig waren. Die „Selbstversorger" brachten Roggen zum Bäcker und konnten Brot wieder mitnehmen. Der „Normalverbraucher" bekam Maisbrot. Die Landarbeiter bauten wie in früheren Zeiten Buchweizen an. Rübensirup und Kartoffelmehl wurden selbst hergestellt.

Da besonders in den Städten großer Hunger herrschte, kamen die Leute aufs Land zum „Hamstern". Hatten sie unter den Bauern Verwandte, Freunde oder Bekannte, gab es vieles umsonst. Wenn nicht, wurden Wertgegenstände gegen Kartoffeln, Getreide oder Fleisch eingetauscht. Aber dabei durfte man sich nicht erwischen lassen, und schon gar nicht beim Feldraub. Dass es wirklich eine schlechte Zeit war, beweist der Aufruf, den die Landesregierung und die Vertreter der Bauern und Landarbeiter in Schleswig-Holstein am 22. Januar 1948 erlassen haben.

„Rettet die Menschenleben in den Städten"
Die große Futternot dieses Winters habe die Milch- und Buttererzeugung so absinken lassen, daß selbst in Schleswig-Holstein nicht einmal mehr die Hälfte des Fettbedarfs aus der Buttererzeugung gedeckt werden könne. Ferner wird darauf hingewiesen, zunächst diejenigen Verbraucher zu beliefern, die seit der 108. Zuteilungsperiode noch kein Fett empfangen haben.

Es wurde beschlossen, in der 110. Zuteilungsperiode die Hälfte der geltenden Fettration einzusparen und in der kommenden 111. Zuteilungsperiode kein Fett aufzurufen. Nur durch äußerste Einschränkungen sei es möglich, die Belieferung von Säuglingen, werdenden Müttern und Kranken mit Vollmilch in der Stadt aufrechtzuerhalten.

Siehe auch