Hungersnöte in Aukrug

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Werbung für den Eintopfsonntag 1935

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Hungersnöte in Aukrug, häufig aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen in Kombination mit ungünstigen Wetter- und Klimaereignissen. Chronist Georg Reimer konnte für die Aukrugdörfer einige Berichte aus Krisenzeiten vor 1900 zusammentragen. Für die Hungersnot im Ersten Weltkrieg liegen noch keine Beschreibungen aus Aukrug vor, die Lage wird jedoch der allgemeinen Situation im Deutschen Reich entsprochen haben. Die Auswirkungen der teils scharfen Gegensätzen zwischen Stadt- und Landbewohnern im Steckrübenwinter 1916/17 sind für den Aukrug noch nicht untersucht worden, vermutlich weil Georg Reimer im Ersten Weltkrieg von Anfang bis zu Ende als Soldat im Einsatz war und nach dem Krieg bis 1922 an der Herausgabe des „Heimatbuches des Kreises Rendsburg" mitarbeitete.

1643—1645 Schwedenkrieg

Nach Dänemarks Frieden mit dem Kaiser hatte Schweden in den Dreißigjährigen Krieg eingegriffen und unter Gustav Adolf glänzende Erfolge errungen. Die Folge dieser Kriegszüge war ein ungeheures Elend für die Bevölkerung. Um den Leuten zu helfen und auch etwas Geld in die Kassen zu bekommen, ordnete Christian IV. am 14. November 1646 an: Wer zahlen kann, soll zu Steuern angesetzt werden, die nichts haben, sind ganz freizulassen. Die wüsten Hufen sind mit Bauern zu besetzen. Ihnen ist eine gewisse Zeit Freiheit von den gewöhnlichen Abgaben zu gewähren.

Ein Bericht des Rendsburger Amtmanns Christian Rantzau (11) von 1646 gibt uns Nachricht über den schlechten Zustand des Amtes. Er berichtet, dass er fast den ganzen Monat Dezember mit Haltung des Ding und Rechts (Gericht) zubringen musste, weil es wegen des jetzt überstandenen Krieges in fast vier Jahren nicht gehalten war, "es nunmehr wegen Ew. Königl. Maytt darunter merklich versirenden interesse der bruchfälligen Sachen und deren apdingung halber" gehalten werden muß. (Es wurden nur Geldstrafen verhängt, und der König konnte Geld brauchen.). Es waren im Amte 150 wüste Hufen vorhanden. Das war etwa ein Drittel der Hufen. Um sie wieder zu besetzen, wurden sie von der Kanzel proklamiert, "ob sich niemand finden möchte, der dieselben wieder annehmen wolle. Ich habe über allen angewandten Fleiß niemand dazu bringen können, zumalen, daß bei dem größten Teil die Zimmer und Gebäude abgebrannt, keine Pferde und ander Vieh, welches eisbei Annehmung einer wüsten Hufe pflegen zu bekommen, dabei vorhanden, und also woll zu befahren (befürchten), daß die wüsten Hufen des Amptes nicht in diesem noch in folgenden drei oder vier Jahren alle werden wieder besetzt werden können, zumalen die schweren Contributionen die Leute abschrecken ganze oder halbe Hufen anzunehmen, besonders ein jedweder nur suchet, wie er in einer kleinen Kate oder Hütte sich aufhalten und Wohnung haben möge." Die nun folgenden zwölf Friedensjahre brachten natürlich keine ausreichende Erholung. Der nun folgende „Polackenkrieg" 1657 — 60 zerstörte das Wenige wieder und richtete neuen Schaden an.

1657—1660 Polackenkrieg

Marsch der Schweden über den Belt

Die Herzogtümer waren 1658 und 1659 im Dänisch-Schwedischen Krieg nicht der Schauplatz von Kampfhandlungen. Doch österreichische, brandenburgische und polnische Truppen lagen als „Verbündete“ im Land und ernährten sich auch daraus. Die Folgen, auch für den Gottorfer Anteil, waren trotzdem verheerend. Nach dem polnischen Kontingent, das fürchterlich hauste (Zitat Reimer), wurde die Zeit später im Volksmund oft als Polackenkrieg bezeichnet. Am 27. Mai 1660 vermittelten Frankreich, England und die Niederlande als Garantiestaaten in Kopenhagen erneut einen Frieden. Reimer berichten von ungeordneten Amtsrechnungen aus dieser Zeit. In den Rechnungen wird auf Beilagen verwiesen, die Näheres angeben sollen, aber gerade diese wichtigen Beilagen fehlten. So konnte er keine Angaben über Verluste im Aukrug ermitteln.

Die Nortorfer Kirche, die Gebäude der Geistlichen und des Küsters hatten wieder sehr gelitten. 1660 wurde für 33 Mk, 1661 für 54 Mk Fensterglas gebraucht. Vom Kirchenspeicher wurden 3 1/2 Tonnen Roggen geraubt. Die Böker Hufe blieb wieder ihre 3 Tonnen Roggen schuldig, in Gnutz fehlen 1660 von fünf Hufen 13 Tonnen Roggen, in Thienbüttel von zwei Hufen 5 Tonnen. Aus dem Bargstedter Viertel fehlen 15 Tonnen von zehn Hufen. Noch 1663 sind 104 Mk, 1664 noch 89 Mk als Restanten aus dem Aukrüger Viertel verzeichnet. Gleichfalls blieben die Schuldner der Kirche mit den Zinsen im Rückstand. Manche Bauern mussten wieder Geld von der Kirche leihen, so Hans Stieper (Glindemann) in Böken. Wieder sind von den Kirchenroggen liefernden Hufen einige wüst geworden, zwei in Warder und eine in Schülp werden genannt. Der Kaplan erhielt wieder kein Gehalt, sondern musste während der Kriegszeit Geld für seinen Unterhalt „von ehrlichen Leuten auf Zinsen nehmen". Dem Kirchenjuraten Frenz Kaack in Nortorf raubten die Polen die Kirchenrechnung.

Hinzu kam eine starke Inflation. 1656 kostete der Roggen in Nortorf 3 Mk 20 ß, 1661 aber 13 Mk die Tonne. „Die Leute sind wegen "der ausgestandenen Kriegspressuren sehr abgemattet". Zu allem kam noch eine Viehseuche, die „Kage", die große Verluste verursachte. Einem Bauern in Homfeld wurden deshalb von seiner 20 Rthlr 9 ß betragenden Kontribution 5 Rthlr 24 ß erlassen. Hans Tancks Hufe in Bargfeld war 1667 an Claus Homfeld für die Hälfte der Steuern überlassen. Er sollte das Haus wieder aufbauen und die verhauene Hölzung in Stand bringen.

1700—1721 Nordischer Krieg

Norddeutscher Kriegsschauplatz zwischen 1711 und 1715

Im Großen Nordischen Krieg lieferten sich Schweden und Dänen einen blutigen Krieg um die Herrschaft im Ostseeraum. Eine Dreierallianz, bestehend aus dem Russischen Zarenreich und den beiden Personalunionen Sachsen-Polen und Dänemark-Norwegen, griff im März 1700 das Schwedische Reich an. Doch nicht nur auf den Schlachtfeldern starben Menschen: Die Große Pest von 1708 bis 1714 breitete sich im Gefolge des Krieges in Nordeuropa aus. 1709 erreichte die Pest Danzig, 1711 wütete die todbringende Seuche in Kopenhagen, das 70.000 Einwohner große Hamburg hatte im gleichen Jahr bis zu 10.000 Pesttote zu beklagen. In diesem Zeitraum verbreitete sich die Krankheit auch in Schleswig-Holstein.

Es darf vermutet werden, dass Georg Reimer bei seinen gründlichen Sichtungen der Amtsrechnungen die kriegs- und pestbedingten Folgen für den Aukrug nicht aufdeckte, weil aus dieser Zeit keine Unterlagen vorlagen. Für die Kriege davor und danach konnte er über die lokalen Auswirkungen berichten. Zwar kam es erst zwischen September 1712 bis Mai 1713 zu Kampfhandlungen in den schleswig-holsteinischen Herzogtümern, dennoch wird ein über zehn Jahre dauernder Krieg im Ostseeraum auch hier das Leben und Wirtschaften stark beeinträchtig haben[1]. Den Aukruger Bürgerinnen und Bürgern wird nicht entgangen sein, dass 1712 die Stadt Itzehoe auf dem Rückzug der Schweden zerstört wurde[2].

Als wäre die Lage für die Bevölkerung nicht schon schwierig genug, bedrohte ein besonders harter Winter das Überleben nicht nur in Mittelholstein. Mit den heutigen Erkenntnissen aus Geschichts- und Klimaforschung können wir uns einen recht detaillierten Überblick der Lebensbedingungen im Aukrug in den Jahren von 1708 bis 1710 verschaffen: "Die Herbsttemperaturen im Jahre 1708 waren sehr niedrig. Schon im Oktober gab es europaweit die ersten Frosttage. Der Winter zwischen den Jahren 1708 und 1709 sei nach Luterbacher u. a. der kälteste Winter der letzten 500 Jahre gewesen. Die Temperaturen der Monate Dezember, Januar und Februar lagen durchschnittlich bei -3,6 Grad. Die Temperatur war in den Monaten Januar und Februar 1709 in großen Bereichen Europas so niedrig, dass sie im Jahresdurchschnitt sieben Grad unterhalb des Durchschnitts der Vergleichsperiode im 20. Jahrhundert lag. Basierend auf den Ergebnissen Luterbachers und einer weiteren Arbeit stellt Mauelshagen eine Karte Europas zusammen, aus der hervorgeht, dass die durchschnittlichen Temperaturen dieser drei Monate im nordwestdeutschen Raum zwischen 4,5 Grad und 6,5 Grad unter dem Mittelwert von -0,17 Grad seiner Vergleichsperiode lagen. Somit lässt sich für die Wintermonate 1708 und 1709 ersehen, dass die Temperaturen im Untersuchungsgebiet[3] in etwa zwischen -4,5 Grad und -6,5 Grad lagen und somit sogar noch deutlich unterhalb der durchschnittlichen Temperatur von -3,6 Grad, die Luterbacher berechnet. Der Frost war jedoch nicht beständig. Lenke arbeitet in seiner Abhandlung über den Winter 1708/09 fünf Kälteeinbrüche heraus, die ihrerseits immer wieder durch kurzes Tauwetter unterbrochen wurden. Die erste Frostperiode ereignete sich im Oktober 1708, die zweite im Dezember 1708 kurz vor Weihnachten, die dritte Kälteperiode begann Anfang Januar und endete im zweiten Drittel des Januars 1709. In der ersten Februarhälfte trat erneut eine Frostperiode ein, und auch Ende Februar begann es wieder zu frieren. Diese letzte Frostphase des Winters 1709 hielt bis in den März, in einigen Regionen sogar bis in den April hinein an. Die fünf Frostphasen waren ungemein hart und brachten Temperaturen in Deutschland von minus 30 Grad mit sich. (...) In seiner Abhandlung über die Versorgungskrise im Jahre 1709 in Schleswig-Holstein beschreibt Arne Bialuschewski ebenfalls die kalten Monate Januar und Februar. Bereits Anfang Januar sei eine außergewöhnlich starke Kältewelle von Nordosten über Skandinavien hinweg nach Mitteleuropa gezogen. Der Frost habe seinen Höhepunkt in der zweiten Januarwoche gehabt, sei jedoch auch anschließend nur minimal zurückgegangen. Einsetzender Westwind habe Ende Januar für ein paar Tage Tauwetter gebracht, im Februar habe jedoch starker Frost erneut wochenlang angehalten. Auch im März hätten laut Bialuschewski zwei Kaltluftvorstöße stattgefunden, die zu starkem Schneefall geführt hätten. Alle Flüsse und Seen seien zugefroren gewesen, ebenso wie weite Teile der Nord- und Ostsee, sodass alle Nordfriesischen Inseln mit voll beladenen Wagen direkt über das Eis hätten angefahren werden konnten. Noch etwas weiter nördlich sei es nach Angaben des Historikers Karl Frandsen noch arger gewesen: In Dänemark herrschte im Jahr 1709 bis zum 3. April ununterbrochen Frost, sodass die gesamte Wintersaat — der Roggen — erfror. Aus Lenkes Arbeit geht sogar hervor, dass der Öresund am 12. Januar in nur 24 Stunden zugefroren sei und die Zeitgenossen noch am 9. April zu Fuß über das Eis nach Schonen laufen konnten. Zudem sei die Ostsee so stark zugefroren, dass man von Kopenhagen aus mit dem Schlitten nach Bornholm habe gelangen können. Während 1708 ein anormal warmer Winter war, zeigt sich folglich, dass 1709 ein anormal strenger Winter gewesen ist. Die Kälte der ersten Januarhälfte 1709 muß in den meisten europäischen Ländern ungeheuer gewesen sein. Ganze Familien erfroren in ihren Wohnungen. Zahlreiche Menschen verloren Ohren, Nase oder Gliedmaßen durch den Frost. Hinzu kamen Verluste durch Hunger und Teuerung. Nicht nur Lenke, sondern auch Wilhelm Abel sah in dem strengen Winter von 1709 einen Grund für die Teuerung des Jahres an. Der Herbst 1708 habe, so Abel, bereits Ausfälle hervorgerufen und das Jahr 1709, das durch den „grand hiver” („großer/langer Winter“) eingeleitet wurde, habe in weiten Teilen des westlichen und nördlichen Europas eine Missernte gebracht. Auch im Ostseeraum hätten die extremen Wetterverhältnisse zu mehreren Missernten in den Jahren um 1709 und neben den Folgen des Nordischen Krieges zu einer Nahrungsmittelknappheit beigetragen, so Frandsen. Die ebenfalls massiven Ernteausfälle im Untersuchungsraum wurden dabei vor allem durch zwei Faktoren verursacht. Zum einen zerfror, wie auch in Dänemark, aufgrund des lang anhaltenden Frostes im Frühjahr die Roggensaat im Boden, nachdem diese durch das Tauwetter bereits zu keimen angefangen hatte. Zum anderen verkürzte der lange Winter die verbleibende Wachstumsperiode des Getreides. Das folgende Jahr 1710 war zwar wärmer, dafür aber das trockenste Jahr des 18. Jahrhunderts. Insbesondere im Herbst fielen extrem wenige Niederschläge."[4]

1813/1814 Kosakenwinter

Die Kosaken überqueren die Elbe, Zeichnung um 1814

Kosakenwinter bezeichnet die Einquartierungen dänischer, schwedischer und russischer Truppen in Schleswig-Holstein im Winter 1813/1814. Die Kosaken der russischen Truppen machten dabei den kleinsten Teil der Truppen aus, hinterließen bei der Bevölkerung aber den größten Eindruck.

Nach Frankreichs Niederlage im Russlandfeldzug 1812 schlossen die Gegner Napoleons – Preußen, Österreich, Schweden, Russland und Großbritannien – ein Bündnis gegen Napoleon. Dänemark hielt weiter zu Frankreich. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig (16.–19. Oktober 1813) rückte eine schwedisch-russisch-preußische Armee mit 57.000 Mann unter dem schwedischen Kronprinzen Karl Johann – dem ehemaligen französischen Marschall Jean-Baptiste Bernadotte – in Schleswig-Holstein ein und besiegte die dänischen Truppen, die sich aber in die schützende Festung Rendsburg zurückziehen konnten.

Aus dieser Zeit sind für Aukrug einige Nachrichten überliefert. „In der ersten Nacht, wie die Feinde sich näherten, waren über 1000 Mann in Nortorf, die sich teils in den Häusern, teils auf den Feldern lagerten, weil sonst nicht unterzukommen war. In der Folge verbreiteten sich die Feinde überall im Kirchspiel, nahmen Vieh, Pferde und Wagen, Korn, Heu und Stroh, Speck und Brot, Butter und Eier, ja sogar Geld und Geldeswert, alles was nur aufzutreiben war. Es war also bei den unzähligen Haufen der feindlichen Truppen, die unter dem Namen der „Deutschen Legion" von dem General Wallmoden kommandiert wurden, an keine Ordnung und regelmäßige Verteilung zu denken. Es war daher dem Kirchspiels-Offizial Reimers (Jakob Reimers aus Innien, der den eingezogenen Kirchspielvogt vertreten musste), der sonst ein sehr tätiger Beamter war, nicht möglich, Ordnung zu halten, wie er es gewünscht hätte. — Man denke sich, wie schwer er gelitten, da er 5 mal 24 Stunden nicht die Stiefel von den Füßen gehabt und keine einzige Stunde hat niedergestreckt ruhen und schlafen können.

Das Kirchspiel hat schwer büßen müssen, da ihnen unter anderem 1000 Pferde verloren gegangen sind. Alles, was da war, wurde vom Feinde aufgezehrt, und haben alles hergeben müssen und wenig oder gar nichts behalten, Kühe und Schafe sind ihnen genommen und haben als Opfer für die Feinde bluten müssen. — Man kann sich denken, wie viel Habe vom Feind aufgesucht und wie wenig die ausgeplünderten Menschen zu ihrer Substitation nachbehalten haben. Bei uns ist es soweit gekommen, daß die Feinde Wagen, Pflüge und Eggen verbrannten und aus schändlichem Mutwillen alles kurz und klein schlugen und stießen, so daß viele unter uns nur das bloße Obdach behalten haben. Der klösterliche Bauernvogt Claus Gloy in Innien (3) schreibt: „Im Jahre 1813 ging alle Ordnung, Ehre und Redlichkeit zu Ende, da mußte ich, statt Schutz bei meiner Obrigkeit zu finden, in meinem Gewissen suchen und habe mehrere male von den feindlichen Truppen wenn ich ihre Forderungen nicht befriedigen konnte, den Rücken bläuen lassen."

Alte Leute erzählten mir, dass die Kosaken in Greves Haus in Böken auf der großen Diele ihr Essen gekocht haben. An Ketten hing ein großer Kessel über dem Feuer, das mitten auf der Diele brannte. Heu und Stroh lagen herum, aber es ging alles gut. Dem Lehrer Tiedemann wurden Uhr und Silberzeug gestohlen. Auf seine Klage mussten die Russen es wieder herausgeben, aber Tiedemann musste flüchten. Ein Kosak, der einen Bauern verfolgte, geriet in Thuns Wiese an der Aubrücke mit dem Pferd in die Au und ertrank (Kosakenkuhle). In der Heidkate wurde ein Mädchen von den Feinden überfallen und misshandelt. Die beiden Übeltäter wurden gefasst und erhielten in Gegenwart von zwei Bauern ihre Prügel. Peter Reimers, Setzwirt auf der Hufe Holm in Bünzen, wurde gebunden nach Rendsburg mitgenommen. Carstens in Bünzen wurde überrascht, als er sein Geld im Uhrgehäuse verstecken wollte. Den größten Teil des Geldes nahmen sie weg, einiges ließ man ihm. Claus Ratjen in Homfeld, Kröger Klas genannt, hatte sein Geld vergraben. Ein Dienstmädchen wurde gezwungen, die Stelle zu verraten. Krüger Klas verlor nicht nur sein Geld, sondern erhielt obendrein auch noch Prügel. Dem Kirchenältesten Claus Ratjen in Homfeld wurde die Kirchenkasse, soweit er sie zu verwalten hatte, genommen, 20 rbt. 80 bs. Claus Reimers in Innien hatte sein Geld hinter einem Dachsparren versteckt und es so gerettet. Die Schulstube in Böken und wohl auch die in den anderen Dörfern wurde als Krankenstube benutzt (5).

Die besten Pferde wurden in den Wäldern versteckt, in Homfeld im Eschenburen, in Böken im Kleef, in Bünzen im Stockwischenholt, in Innien im Hölln. Dort waren große Gruben, die man mit Busch bedeckt hatte. Im Hölln zeigte man noch die Stelle, und in Bucken hieß die Grube noch lange der Russenstall. Dort hielten sich auch zeitweise die Frau und Kinder des Bauern Holm auf. Unsere Gegend war besonders stark vom Feinde mitgenommen worden, sodass die Truppen sie auf dem Rückwege direkt mieden.

Der angerichtete Schaden war groß. Im Januar 1814 wurden in Böken, und wohl auch in den anderen Dörfern, die Schäden festgestellt. Zwei Tage brauchten Lehrer Tiedemann und Bauervogt Jochim Rathjen, um „über jedes Interessenten an den Feindlichen geleistete Requisitionen etc und gewaltsam Entwendetes und dadurch genommenen Schaden ein Protokoll aufzunehmen". Leider fehlten im L. A. Schleswig die Verlustlisten des Kirchspiels Nortorf, während die von den anderen vorhanden sind. Tiedemanns Tagebuch (Allerleibuch), das er erwähnt und das uns wohl mancherlei aus der Kriegszeit erzählen könnte, ist wohl längst vernichtet. Langheim (8) berichtet, daß das Kirchspiel Nortorf 297 Pferde, 389 Rinder, 112 Schweine, 254 Schafe verloren habe. Mit sonstigen geraubten Sachen beziffert er den Verlust auf 149 000 rbt. Die Einquartierungskosten beliefen sich auf 44 605 rbt. So war ein Verlust von knapp 200 000 rbt entstanden.

Nach dem Krieg erhielten die Bauern einige Entschädigungen für die Verluste: Böken erhielt für Vieh und sonstige Verluste 440 rbt und für Requsisitionen 974 rbt, Bünzen 290 und 530, Innien mit Bucken 325 und 690, Homfeld 490 und 680, Bargfeld 370 und 320 rbt. Es soll damit nur ein Achtel der Schäden vergütet worden sein.

"Das Jahr ohne Sommer" löst ab 1816 eine Hungersnot vor allem in der Schweiz, Süddeutschland und den preußischen Rheinprovinzen aus. Getreide verfault im Regen auf den Feldern, Fruchtfolgen werden zerstört, Nutztiere verhungern, Flüsse treten über die Ufer. Mit dem Jahr 1817 setzen dort Jahrzehnte der Massenarmut und Massenauswanderung ein.

Hungerjahre von 1845 bis 1847

Die Jahre 1845 und 1847 waren durch die letzte große Hungersnot der vorindustriellen Zeit geprägt[5]. Witterungsbedingte „Missernten“ und die zusätzlich seit 1844 grassierende Kartoffelfäule dezimierten die Vorräte an Grundnahrungsmitteln und führten zu deren Verknappung. Damit einher gingen Teuerungen, die es besonders unausgebildeten Handwerkern und Hilfsarbeitern unmöglich machten, ausreichend Nahrung für sich und ihre Familien zu kaufen. Ein Mangel an Grundnahrungsmitteln trieb deren Preis in die Höhe. Tagelöhner mussten mehr arbeiten, um sich zu ernähren, wodurch es zu einem Mehrangebot an Arbeit kam, das wiederum zu einem Verfall der Löhne führte. Viele waren so trotz schwerster körperlicher Arbeit nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen. Das zu geringe Angebot an Nahrung und mangelhafte Strategien der Krisenbewältigung der deutschen Staaten mündeten in zahlreiche Protestaktionen, die sich im Frühjahr 1847 über ganz Deutschland ausbreiteten, wodurch ein Nährboden entstand, aus dem sich auch die Revolution von 1848/49 speiste[6]. Die Instenunruhen ab 1846 in Schleswig-Holstein[7] und die hungerbedingte Kartoffelrevolution im April 1847 in der preußischen Hauptstadt Berlin gehören zur Vorgeschichte der Deutschen Revolution.

Die Hungersnot, die weite Teile Europas umfasste und teilweise zu Aufruhr und Plünderungen führte, brachte auch in Schleswig-Holstein eine Zunahme an Diebstählen, und die ersten Auswandergruppen machten sich in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf den Weg in die USA[8]. Für die Aukrugdörfer findet sich für 1847 in den Aufzeichnungen von Georg Reimer nur der Hinweis, dass Tagelöhner "sich nebenbei etwas besorgten", weil der Lohn nicht reichte.

Nachdem die Witterung des Frühlings und Sommers 1847 vielversprechend war, auch die Kartoffelfäule nicht wieder auftrat, wurde im Herbst erstmals nach Jahren wieder eine reichhaltige Ernte eingefahren. Die Lebensmittelpreise stiegen nicht weiter an, in Einzelfällen wurde sogar ein leichter Rückgang beobachtet. Doch die Not nahm nicht ab, so dass sich der Staat entschloss, die Einfuhrzölle auf Korn, Grütze und Mehl sowie die Abgaben der einlaufenden Schiffe aufzuheben, um dadurch Einfuhren an Nahrungsmitteln zu erleichtern[9].

1916/1917 Steckrübenwinter

Brotkarte aus Böken: Am 22. Februar 1915 wurden in Berlin aufgrund der Lebensmittelrationierung die ersten Brotkarten ausgegeben. Die Bestimmungen galten ab dem 1. März 1915 reichsweit, wobei die Mehlration schon bald auf 200 Gramm pro Tag gekürzt wurde. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hatte der durchschnittliche Verbrauch pro Kopf der Bevölkerung 380 Gramm betragen. In zahlreichen Orten wurden anstelle der Karten "Brotbücher" ausgegeben, in denen der Händler per Hand die ausgegebene Menge an Brot und Mehl eintrug. Im Vorsatz der Brotbücher war die Zahl der zum Haushalt gehörenden Personen registriert und von einer staatlichen Behörde beglaubigt. Auf Merkblättern wurde die genaue Handhabung der Brotbücher und -karten mit ihren regionalen und örtlichen Besonderheiten beschrieben. Die Händler, Kaufleute und Bäckermeister waren verpflichtet, ein "Brot- und Mehl-Abgabebuch" zu führen. Nur wer die Ausgabe der rationierten Waren detailliert nachweisen konnte, erhielt von der zuständigen Verteilungsstelle Nachschub[10].
Bekanntmachung der Kartoffelrationierung, Pirmasens 1917

Der Steckrübenwinter, auch Kohlrübenwinter und Hungerwinter genannt, bezeichnet eine Hungersnot im Deutschen Reich im Winter 1916/17 während des Ersten Weltkrieges, ausgelöst durch kriegswirtschaftliche Probleme und die britische Seeblockade in der Nordsee. Bis zum Beginn des Krieges importierte das Deutsche Reich etwa ein Drittel seiner Lebensmittel. Es war damals weltweit der größte Importeur von Agrarprodukten. Großbritannien hatte nach Kriegsbeginn 1914 ein Handelsembargo gegen Deutschland erlassen und eine zunehmend wirksame Handelsblockade zur See errichtet, die erst 1919 aufgehoben wurde. Ebenso fehlten die Importe aus Russland. Im Januar 1917 stoppten schließlich auch die USA den heimlichen Handel mit Deutschland über neutrale Staaten.

Ein noch wichtigerer Grund für den Mangel waren die überbordende Bürokratie und kontraproduktive Maßnahmen der Preis- und Verteilungspolitik. Es kam zur Lebensmittelrationierung und Zwangsbewirtschaftung. Der deutschen Landwirtschaft mangelte es zudem an Arbeitskräften, Zugtieren und Kunstdünger; ferner gab es Transportprobleme.

Im Mai 1916 wurde das Kriegsernährungsamt gegründet, das direkt dem Reichskanzler unterstand. Es war für die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung zuständig und band sämtliche Interessenten ein: ein klassisches Beispiel für den deutschen Kriegskorporatismus der Jahre 1914 bis 1918. Um den Burgfrieden nicht zu gefährden, wandte das Kriegsernährungsamt auch drastische Maßnahmen an, die ihm den Vorwurf des „Staatssozialismus“ eintrugen, etwa eine Erhöhung der Rationen für Schwer- und Schwerstarbeiter und eine direkte Belieferung der Rüstungsbetriebe mit Lebensmitteln, weil man den Arbeitern das Schlangestehen ersparen wollte. Außerdem wurde die Verfütterung von Kartoffeln verboten. Die Behörden kämpften gegen das Verheimlichen von Vorräten bei den Produzenten an. Trotz dieser Anstrengungen scheiterte das Kriegsernährungsamt mit dem Versuch, eine Hungersnot zu verhüten.

Aufgrund der früh einsetzenden Rationierung von Getreideprodukten und des fast völligen Fehlens von Fleisch- und Wurstwaren im Angebot stieg der Kartoffelverbrauch Anfang des Jahres 1916 auf das zweieinhalbfache des Vorkriegsniveaus. Ein verregneter Herbst 1916 verursachte eine Kartoffelfäule, die die Ernte etwa auf die Hälfte des Vorjahres reduzierte. Ernährungswirtschaftlich war der Krieg für Deutschland schon 1916 verloren. Die Steckrübe, eine Kohlart, wurde für breite Kreise der Bevölkerung wichtigstes Nahrungsmittel. Man ernährte sich von Steckrübensuppe, Steckrübenauflauf, Steckrübenkoteletts, Steckrübenpudding, Steckrübenmarmelade und Steckrübenbrot. Mit dem Spitznamen „Hindenburg-Knolle“ wurde sie nach dem damaligen deutschen Oberbefehlshaber Paul von Hindenburg benannt. Am 4. Dezember 1916 ordnete das Kriegsernährungsamt zur Sicherung der Volksernährung die Beschlagnahme aller Vorräte an Steckrüben an.

Im Winter 1916/1917 kam es zu einem unerwarteten Kälteeinbruch. Zudem wurden die Wohnungen mangels Kohle kaum mehr beheizt. Die Bevölkerung wurde teilweise durch Suppenküchen notdürftig versorgt. Im Frühjahr 1917 sank die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln auf ihren Tiefpunkt. Die Ernte im Herbst brachte eine leichte Verbesserung. Allerdings war sie auf die Hälfte eines normalen Ertrags gesunken. In Deutschland starben von 1914 bis 1918 etwa 800.000 Menschen an den Folgen von Unterernährung.

1939—1945 Zweiter Weltkrieg

Reichsfettkarte 1941
Werbung in der Landeszeitung für den Eintopfsonntag (1935)

Während des Krieges wurden Lebensmittel rationiert, ebenso die meisten anderen Güter des täglichen Bedarfs, doch die Armeen des III. Reiches plünderten die eroberten Gebiete auf Kosten der dort lebenden Bevölkerung aus[11], so dass der Hunger die Aukrugdörfer erst als Nachkriegserscheinung erreichte. Die schlechte Versorgungslage nach 1945 hat allerdings eine Vorgeschichte, die schon vor Kriegsbeginn viele Menschen betraf und die Beschaffung von Lebensmitteln erschwerte.

Während in den ersten Jahren des Dritten Reiches die übrige Lebensmittelversorgung der Bevölkerung weitgehend aus eigener Landwirtschaft gedeckt werden konnte,[12] waren die Eiweiß- und die Fettversorgung in erheblichem Maße von Importen abhängig: Aus eigener Erzeugung wurde 1936 nur 68,8 % des Pro-Kopf-Fettverbrauchs für die Ernährung erwirtschaftet.[13] Nach Einschätzung zeitgenössischer Experten gab es 1936 bei der Fettversorgung eine durch Importe zu deckende „Erzeugungslücke“ von 1 Million Tonnen Fett.[14] Für 1937 mussten 90 % des industriellen Fettbedarfs aus Importen gedeckt werden.[15] Noch 1939 konnte nur 57 % des Gesamt-Fettbedarfs für Industrie und Ernährung aus eigener Produktion bestritten werden.[16]

Eine im April 1933 eingerichtete Reichsstelle für Öle und Fette[17] bündelte die staatliche Regulierung des Inlandsmarktes durch Festsetzung von Preisen und Preisspannen sowie Kontingentierung von Importen und Produktion. Hinzu kam eine „Verbrauchslenkung“ durch Propaganda und Preisgestaltung: Der Verzehr von Brot, Kartoffeln und Zucker sollte gefördert werden, als Brotaufstrich wurde Marmelade empfohlen und subventioniert,[18] der Eintopfsonntag sollte Fleisch und Fett einsparen.

Im Dezember 1933 erinnerte in Aukrug der Gruppenverwalter der NS-Volkswohlfahrt bei einer Versammlung an die Sammlung aus dem "Eintopfgericht" am 7. Januar 1934. Als "Eintopfsonntag" wurde in Deutschland ab dem 1. Oktober 1933 eine Propagandaaktion durch das NS-Regime als ein Zeichen der Solidarisierung mit der Volksgemeinschaft eingeführt. Von Oktober bis März sollte einmal im Monat in allen deutschen Haushalten nur Eintopf gegessen werden. Die Differenz zwischen den Kosten für das sonst übliche Sonntagsessen und dem für Eintopf nötigen Aufwand, „von oben“ generell mit 50 Pfennig veranschlagt, wurde von den von Tür zu Tür gehenden Blockleitern[19] der NSDAP kassiert und kam dem kurz zuvor gegründeten Winterhilfswerk zugute. Die Einsparungen waren angeblich oft größer als 50 Pfennig, wie z. B. bei einem Rezept eines 4-Personen-Eintopfgerichts für 1,18 RM aus dem Jahr 1933.[20] Der Historiker Norbert Frei stellte heraus, dass die „regelmäßigen Einfachessen“ zwar auch die volkswirtschaftlichen Ressourcen etwas schonten, weitaus wichtiger sei jedoch ihr „sozialpsychologischer Zweck“ für das Regime gewesen: Der Eintopfsonntag war ein „Paradestück nationalsozialistischer ‚Volkserziehung‘“ und suggerierte eine kollektive Opferbereitschaft. Die Botschaft lautete: Die Volksgemeinschaft existiert und alle machen mit.[21]

Ein Ablieferungszwang für Milch, gekoppelt mit dem Verbot, für den Eigenbedarf zu buttern, konnte die Versorgung nicht sicherstellen. Der „Deutschland-Bericht“ der SoPaDe (Sozialdemokratische Partei Deutschlands im Exil) berichtete 1935, in Berlin stünden lange Warteschlangen vor den Buttergeschäften.[22] Joseph Goebbels („Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda]]“) notierte in seinem Tagebuch: „Die Schlangen vor den Läden sind Brutstätten der Sabotage.“ – „Butter und Fettknappheit. Wir müssen nun Maßnahmen treffen. Und zwar rigorose.“[23] Im November 1935 wurden Kundenlisten eingeführt, um „Hamsterkäufe“ für Butter zu erschweren; zugleich wurden Devisen für Importe freigegeben.

Offensiv plädierte Goebbels Anfang 1936 an den Opfersinn der Bevölkerung, Verzicht zu leisten zugunsten der Aufrüstung: „Wir werden zu Not auch einmal ohne Butter fertig werden, niemals aber ohne Kanonen.“[24] Rudolf Heß benutzte das Schlagwort „Kanonen statt Butter“ in einer Rede am 11. Oktober 1936 und rief dazu auf, Versorgungsengpässe hinzunehmen und sich kriegsmäßig einzuschränken.[25] Hermann Göring wiederum, dem dieses Motto „Kanonen statt Butter“ fälschlicherweise zugeschrieben wird,[26] hielt eine „freiwillige“ Reduzierung des Fettverbrauchs um 25 Prozent für erforderlich.[27]

Die „Einheitskarte“, die seit dem 27. August 1939 die Nahrungsmittel rationierte, wurde bald ausdifferenziert: Seit Ende 1939 gab es Fettkarten und die Kategorien des Schwer- und Schwerstarbeiters, eine Nacht- und Langarbeiterkarte sowie Lebensmittelkarten für Kinder und Jugendliche. 1940 kam es zu ersten Kürzungen in der Lebensmittelzuteilung.[28] Bis Ende 1941 konnten jedoch größere Einschränkungen vermieden werden.[29]

Einhergehend mit der militärischen Lage an der Ostfront (Niederlagen vor Moskau und Stalingrad) kam es 1942 zu drastischen Einschnitten in der Lebensmittelversorgung; die knappe Fettration für „Normalverbraucher“ reduzierte sich von 1053 g auf 825 g pro Monat.[30] Dies führte nach Angaben der Gestapo „insbesondere in Arbeiterkreisen zu einer nicht unbeträchtlichen Beunruhigung“ und „die Stimmung … sei auf einem im Verlauf des Krieges bisher noch nicht festgestellten Tiefstand angelangt.“[31] Im Oktober 1942 wurde „seitens der Ärzteschaft […] eine baldige Erhöhung der Fettration für unbedingt notwendig erachtet, da sich der Gesundheitszustand der Bevölkerung seit dem Vorjahre wesentlich verschlechtert habe.“[32]

Hungerwinter 1946/1947

Lebensmittelkarte 1945

Die winterbedingte Hungersnot ereignete sich zwischen November 1946 und März 1947. Es war einer der kältesten Winter in Deutschland seit Jahrzehnten und gilt als strengster Winter des 20. Jahrhunderts im Nordseeraum. Nachdem die Lebensmittelkrise schon Anfang 1946 begonnen hatte, brachte der Winteranfang einen Kälteeinbruch über ganz Westeuropa. Schon im November sanken die Temperaturen unter Null. Anfang Dezember begann eine zweite Frostwelle, zu Weihnachten war es mit minus fünf Grad vergleichsweise mild gewesen, doch im neuen Jahr sank die Temperatur zeitweise auf Rekordwerte von bis zu minus 25 Grad[33]. Die Kälte war nicht nur grimmiger als gewöhnlich, sie dauerte auch quälend lange an und verlieh der Not der Nachkriegszeit zusätzliche Dramatik. Dem "Hungerwinter", wie man ihn später nannte, folgte gleich die nächste Katastrophe: der "Dürresommer" 1947. Es wurde der heißeste des 20. Jahrhunderts.

Wie war eigentlich die Zeit vor 1948? Haben wir diese „Schlechte Zeit" ganz vergessen? In einem um das Jahr 1995 geführten Gespräch mit der damals 88-jährigen Kaufmannsfrau Grete Michaelsen aus Böken wurde klar, auch diese Zeit gehört in die Chronik. Wissen wir überhaupt noch, dass nicht die Lohnwoche oder der Gehaltsmonat, sondern die Zuteilungsperiode die wichtigste Zeitrechnung für uns war? Dass wir Weihnachten 1947 bei der Zuteilungsperiode 109 und Weihnachten 1948 bei der Zuteilungsperiode 121 angelangt waren? Ist uns etwa Abschnitt 11 noch ein Begriff? Abschnitt 11 war die Fettkarte des Normalverbrauchers.

Im letzten Weihnachtsmonat vor der Währungsreform, im Dezember 1947, wurden 150 g Fett auf diese Karte zugeteilt, das war die ganze Monatsration. Glücklicher als Normalverbraucher waren der Normalarbeiter, der Teilschwerarbeiter, der Mittelschwerarbeiter und der Schwerstarbeiter. Jeder bekam 50 oder 100 g Fett mehr als der andere. 1946 erhielt der Normalverbraucher 10 g Fett je Tag, 1947 sechs und 1948 schon wieder 15 g. 400 g Fleisch gab es im Dezember 1948 im ganzen Monat. An Brot gab es 10 kg, an Kartoffeln 8 kg, an Nährmittel 1,3 kg, an Zucker und Fisch je 500 g in der ganzen Periode. Kinder, Mütter und Kranke bekamen Vollmilch zugeteilt. Gekämpft wurde darum, ob man den alten Leuten 1/4 Liter Milch geben konnte oder nicht. Diese Vollmilch hatte einen Fettgehalt von 2,6 %. 3/4 Liter Vollmilch je Tag war der Höchstsatz. Ihn bekamen nur Säuglinge und Kleinstkinder. Kinder von drei bis sechs Jahren erhielten nur 1/2 Liter.

Vom siebten Lebensjahr an gab es nur noch entrahmte Frischmilch. Der Rationssatz betrug sechs Liter im Monat und auch das nur für Kinder und Jugendliche bis 20. Wer älter war, bekam drei Liter in der Periode. Zur Herrichtung des „Muckefuks" wurden 125 g Kaffee-Ersatz verteilt. Frau Michaelsen erinnert sich an eine Frau, die ihre 62,5 Gramm Butter abholte und so richtig froh sagte: „Jetzt werde ich erst einmal eine Butterstulle essen."

Die Kaufleute mussten die abgeschnittenen Lebensmittelmarken auf Papier kleben und bei der Gemeinde abliefern. Dafür bekamen sie Bezugsscheine, die an die Firma Raasche in Itzehoe gingen. Diese brachte dann wieder neue Ware. Glücklich schätzten sich die Aukruger, die einen Garten hatten oder in der Landwirtschaft tätig waren. Die „Selbstversorger" brachten Roggen zum Bäcker und konnten Brot wieder mitnehmen. Der „Normalverbraucher" bekam Maisbrot. Die Landarbeiter bauten wie in früheren Zeiten Buchweizen an. Rübensirup und Kartoffelmehl wurden selbst hergestellt.

Da besonders in den Städten großer Hunger herrschte, kamen die Leute aufs Land zum „Hamstern". Hatten sie unter den Bauern Verwandte, Freunde oder Bekannte, gab es vieles umsonst. Wenn nicht, wurden Wertgegenstände gegen Kartoffeln, Getreide oder Fleisch eingetauscht. Aber dabei durfte man sich nicht erwischen lassen, und schon gar nicht beim Feldraub. Dass es wirklich eine schlechte Zeit war, beweist der Aufruf, den die Landesregierung und die Vertreter der Bauern und Landarbeiter in Schleswig-Holstein am 22. Januar 1948 erlassen haben.

„Rettet die Menschenleben in den Städten"
Die große Futternot dieses Winters habe die Milch- und Buttererzeugung so absinken lassen, daß selbst in Schleswig-Holstein nicht einmal mehr die Hälfte des Fettbedarfs aus der Buttererzeugung gedeckt werden könne. Ferner wird darauf hingewiesen, zunächst diejenigen Verbraucher zu beliefern, die seit der 108. Zuteilungsperiode noch kein Fett empfangen haben.

Es wurde beschlossen, in der 110. Zuteilungsperiode die Hälfte der geltenden Fettration einzusparen und in der kommenden 111. Zuteilungsperiode kein Fett aufzurufen. Nur durch äußerste Einschränkungen sei es möglich, die Belieferung von Säuglingen, werdenden Müttern und Kranken mit Vollmilch in der Stadt aufrechtzuerhalten.
Die Schultern sind viel zu schmal im Verhältnis zum Kopf, Arme und Beine zu dünn, und statt Socke trage ich um Füße und Knöchel gewickelte Binden, denn da habe ich „Schlümmen“ (Das Foto zeigt Walter Isernhagen 1947).
Lebensmittelkarte aus dem Jahre 1950. In der Bundesrepublik Deutschland wurden die Lebensmittelkarten im gleichen Jahr abgeschafft. Dies geschah in zwei Etappen. Am 22. Januar wurde die Aufhebung der Rationierungen mit Ausnahme von Zucker mit Wirkung vom 1. März an bekannt gegeben. Am 31. März beschloss das Bundeskabinett unter Konrad Adenauer die Aufhebung aller noch verbliebenen Einschränkungen zum 1. Mai 1950. Damit entfielen im Bundesgebiet die Lebensmittelkarten und -marken. In der DDR wurden sie 1958 abgeschafft[34].

Walter Isernhagen (1941-2024), der von 1944 bis 1950 als Flüchtlingskind in Homfeld lebte, schilderte die Mangelversorgung in seinen Erinnerungen Das Tal der Osterhasen: „Hast du Schlümmen?“ - „Klar! Du auch?" - „Ja, ganz dolle Schlümmen.“

So könnte eine Unterhaltung von Dorfkindern in Homfeld im Frühjahr oder im Sommer 1947 sich angehört haben. Heutigen Generationen muß man erst einmal den Begriff „Schlümmen"“ erläutern, damit sie überhaupt wissen, wovon die Rede ist. Im breit gesprochenen Norddeutsch liegen in der Aussprache „i“ und „ü" dicht beieinander. „Schlümmen"“ sind „schlimme“, also wunde Stellen am Körper. Mein Lexikon nennt die fachmännisch Ödeme und führt aus:

„Hungerödem, ... eine Ansammlung von eiweißarmen Gewebswasser unter der Haut und in den Körperhöhlen ... es entsteht durch teilweise Unterernährung bei einer falsch zusammengesetzten (Vitaminmangel) und zu knappen (Kalorienmangel) Kost, ... die zu wenig Eiweiß und wenig Fett enthält.“[35] Wir Kinder kratzten uns an den betroffenen Hautpartien und dadurch entstanden offene, juckende Wunden, eben die „Schlümmen". Sie hatte damals fast jedes Kind. Auch das Foto von mir, im wunderschönen, nicht enden wollenden Sommer 1947 auf dem Homfelder Schulhof aufgenommen, zeigt ein Kind, das trotz des strahlenden, unbeschwerten Lachens unterernährt ist.

Die britische Militärregierung behielt das Zuteilungssystem der Kriegszeit mit anfangs beschiedenen, aber knapp ausreichenden Mengen bei. Doch Ende Februar 1946 wurde die Brot- und Nährmittelration um 50 % gekürzt. Die zugeteilte Kalorienmenge sank pro Kopf von 2000 auf 1500 Kalorien täglich, was der „Manchester Guardian“ so veranschaulichte:

„Praktisch bedeutete die Kalorienzahl der britischen Zone nicht viel mehr als 2 Scheiben Brot mit Margarine, einen Löffel voll Mischsuppe und zwei kleine Kartoffeln.“[36]

Die Zeit des Hungerns begann, und die der „Schlümmen"“. Zuteilungssystem und Warenversorgung unterschieden sich gründlich vom heutigen Einkaufen. Jedes Familienmitglied erhielt eine Lebensmittelkarte.. Es gab sie von unterschiedlicher Art, zum Beispiel für Kleinkinder, für „Otto-Normalverbraucher“ oder für Schwerarbeiter. Auch gab es eine Reihe von Zusatzkarten. Sie alle mussten nach Erhalt mit Name und Anschrift des Besitzers versehen werden. Der Verlust von Lebensmittelkarten war ein großes Unglück, denn diese waren nicht übertragbar, und es gab keinen Ersatz.

Die auf der Karte aufgeführten Waren wurden für sogenannte Zuteilungsperioden in den Läden bereitgehalten. Beim Einkauf zum behördlich festgelegten Preis wurden, wie bei der abgebildeten Karte zum Teil schon geschehen, die Abschnitte, die Art und Menge der Waren angaben, beim Kauf mit einer Schere abgeschnitten und verblieben beim Kaufmann. Nicht immer waren die aufgeführten Waren in ausreichender Menge vorhanden, und manchmal gab es etwas ohne Marken, was sich wie ein Lauffeuer herumsprach. Wir gingen dann nicht zu unserem kleinen Laden in Homfeld, sondern nach Innien, reihten uns in die Warteschlange ein und hofften, dass auch wir noch etwas abbekämen. Mehrfach habe ich meine Mutter bei solchen Gängen begleitet und auch ihren Platz in der Warteschlange eingenommen, wenn sie zwischendurch etwas anderes zu erledigen suchte.

Für größere Anschaffungen, zum Beispiel für ein Kleidungsstück, musste man einen „Bezugsschein" beantragen und hoffte, dass man das Benötigte auch in absehbarer Zeit zugeteilt bekam.

Die Folgen dieser reglementierten Wirtschaft stehen in jedem Geschichtsbuch: Viele Waren verschwanden vom Markt, wurden gehortet, und man versuchte, sie auf dem Schwarzmarkt zu bekommen, wo die weiterhin gültige Reichsmark ihren wahren Wert, besser Unwert, zeigte und die harte ‚Währung die Zigaretten der Sieger waren, die „Camel“ oder die „Philipp Morris“. Einen schwarzen Markt gab es im kleinen Homfeld nicht, aber auch hier wurde getauscht und organisiert, wie es damals hieß, und ausgehungerte Städter versuchten, bei Hamsterfahrten von den Bauern Lebensmittel einzutauschen, was selbstverständlich verboten war, denn auch die bäuerliche Wirtschaft unterlag einem System der reglementierten Erfassung und Ablieferung der Produktion. Schwarzschlachtungen fanden meist zur Nacht unter Ausschluss unerbetener Zeugen statt, das deutsche Volk war auf den Stand der Naturalwirtschaft zurückgefallen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Arne Bialuschewski: Die Versorgungskrise von 1709 in Schleswig-Holstein veröffentlicht in der Festschrift für Thomas Riis zum 65. Geburtstag. Der Andere Verlag, Tönning 2006, ISBN 3-89959-526-2
  2. Nordische Kriege auf Steinburger Geschichte
  3. Das Buch behandelt Nordwest-Deutschland.
  4. Thore Lassen: Hungerkrisen, Universitätsverlag Göttingen 2016
  5. Erst ab etwa 1850 wurde es weltweit wärmer; dies gilt als Ende der Kleinen Eiszeit.
  6. Die Krisenjahre 1846/47 beim Lebendigen Museum Online.
  7. Instenunruhen in SH von A-Z
  8. Volker Griese: Acta betreffend " bestimmter Zustände in den Dörfern Stolpe und Wankendorf", Jahrbuch für Heimatkunde im Kreis Plön, 37 Jg. 2002
  9. Volker Griese: Acta betreffend " bestimmter Zustände in den Dörfern Stolpe und Wankendorf", Jahrbuch für Heimatkunde im Kreis Plön, 37 Jg. 2002
  10. Lebendiges Museum online
  11. In den beiden Wirtschaftsjahren 1941/42 und 1942/43 holten die Besatzer mehr als 632.000 Tonnen Ölsaaten, Streichfette und Speiseöle aus den eroberten Teilen der Sowjetunion nach Deutschland.
  12. Zahlen bei Margarete Muths: Die deutsche Fettlücke und die Möglichkeit ihrer Schließung..., (Diss.) Bottrop 1938, S. 10 f.
  13. Reinhold Reith: „Hurra, die Butter ist alle!“ – „Fettlücke“ und „Eiweißlücke“ im Dritten Reich, in: Michael Pammer, Herta Neiß, Michael John (Hrsg.): Erfahrung der Moderne. Festschrift für Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-515-09020-9, S. 412, Tab. 1.
  14. Reinhold Reith: „Hurra, die Butter ist alle!“, S. 404.
  15. Bernd Kaiser: Die Implikationen wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen für die Rohstoffbeschaffung... Diss. Erlangen 2009, S. 75 (PDF) (4,94 MB).
  16. Bernd Kaiser: Die Implikationen wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen für die Rohstoffbeschaffung... Diss. Erlangen 2009, S. 99 (PDF; 5,2 MB).
  17. VO über die Errichtung einer Reichsstelle für Öle und Fette vom 4. April 1933 (RGBl. I, S. 166) / (ab Januar 1934 umbenannt in „Reichsstelle für Milcherzeugnisse, Öle und Fette“)
  18. Reinhold Reith: „Hurra, die Butter ist alle!“, S. 409.
  19. im Volksmund auch Blockwarte genannt
  20. Hans-Jörg Wohlfromm, Gisela Wohlfromm: „Und morgen gibt es Hitlerwetter!“ Alltägliches und Kurioses aus dem Dritten Reich. Anaconda Verlag, Köln 2017, S. 31.
  21. Norbert Frei: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945. München 2013, ISBN 978-3-406-64449-8, S. 112.
  22. Klaus Behnken (Hrsg.): Deutschland-Berichte der Sopade, Salzhausen 1980, Bd. 2, S. 960.
  23. Die Tagebücher von Joseph Goebbels hrsg. von Elke Fröhlich, Teil I 3/1, München 2005, ISBN 3-598-23744-8, S. 323/324 (5. November 1935).
  24. Rede von Goebbels im Januar 1936 – zitiert nach Kurt Bauer: Nationalsozialismus : Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, Wien 2008, ISBN 978-3-205-77713-7, S. 306.
  25. abgedruckt in: Wolfgang Michalka: Das Dritte Reich – Dokumente zur Innen- und Außenpolitik, Bd. 1, München 1985, ISBN 3-423-02925-0, S. 191 f / ebenso in: Norbert Frei: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, München 2013, ISBN 978-3-406-64449-8, S. 226–230.
  26. Richard J. Overy: Hermann Göring. Machtgier und Eitelkeit, Wilhelm Heyne: München 1986 (EA London 1984), S. 12. Tatsächlich stammte es vom „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Hess, vgl. E. Kordt: Wahn und Wirklichkeit, Stuttgart 1948, S. 44.
  27. Reinhold Reith: „Hurra, die Butter ist alle!“, S. 408.
  28. Michael Wildt: Der Traum vom Sattwerden, Hamburg 1986, ISBN 3-87975-379-2, S. 17.
  29. Reinhold Reith: „Hurra, die Butter ist alle!“, S. 416.
  30. Michael Wildt: Der Traum vom Sattwerden, Hamburg 1986, ISBN 3-87975-379-2, S. 17.
  31. Meldungen aus dem Reich... hrsg. von Heinz Boberach; Herrsching 1984, ISBN 3-88199-158-1, Bd. 9, S. 3504/3505 (vom 23. März 1942).
  32. Meldungen aus dem Reich... hrsg. von Heinz Boberach; Herrsching 1984, ISBN 3-88199-158-1, Bd. 11, S. 4352 (vom 19. Oktober 1942).
  33. Gemäß NDR in Hamburg gemessen, in Süddeutschland lagen die Temperaturen teilweise noch tiefer.
  34. Text zum Ende der Lebensmittelmarken im Jahr 1950 nach Gespräch mit Walter Isernhagen ergänzt.
  35. dtv.-Lexikon, Bd. 9, München 1960
  36. C. Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, Bonn 1991, S. 48