Wiedenborstel

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Schloß Wiedenborstel in koloriert...
...und in schwarz-weiß
Destatis-Meldung vom September 2022
Postkarte "Gut Wiedenborstel" ca. 1915: Schmiede und Stellmacherei, Geflügelhof, Kate

Wiedenborstel ist eine Gemeinde im Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein. Noch heute gehört Wiedenborstel zur Aukruger Poststelle und zum Ortsnetzbereich mit der Vorwahl 04873. Sie ist mit elf Einwohnern (Stand 31. Dezember 2021) nach dem rheinland-pfälzischen Dierfeld die zweitkleinste Gemeinde Deutschlands[1].

Historische Beschreibung

Wiedenborstel, Dorf 14 Meilen nordöstlich von Kellinghusen, Kirchspiel Kellinghusen. – Von diesem Dorfe, welches in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Henneke Sehestedts Eigenthum war, gehören 3 Vollhufen zum Kloster Itzehoe, Vogtei Henstedt, und 1 Halbhufe und 2 Anbauerstellen zum Gute Sarlhusen; jedoch sind die letztern Stellen Eigenthumsstellen und entrichten nur einen Canon an das Gut. – Nebenschule (20 Kinder). – Volkszahl: 70, worunter 1 Tischler. – Areal zum Kloster: 120 Steuertonnen, zum Gute Sarlhusen: 82 Steuertonnen. Der Boden des Ackerlandes ist nur sehr mittelmäßig, theils sehr sandig, theils naß und kalt, doch gleichen die guten Wiesen und viele Hölzungen diesen Nachtheil wieder aus und das Dorf befindet sich in sehr gutem Zustande. Einzelne Ländereien heißen Brostkamp, Wohsbüttel, Wühren, Jettkamp, Kahlstedenkoppel, Altenlande und Wehtkamp. – Die Sarlhusener Stelle gehörte vormals zum Amt Rendsburg (vgl. Sarlhusen).[2]

Beziehungen zu Aukrug

Die Gemeindefläche liegt in direkter Nachbarschaft zu Aukrug in einem Tal zwischen dem 79 Meter hohen Stilkerberg und dem 64 Meter hohen Glasberg und enthält die Quellgebiete von Glas- und Wegebek. Zur Zeit des Feudalismus gehörte Wiedenborstel bis auf einige Teilflächen dem Henneke Sehestedt (1. Hälfte 16. Jahrhundert).

Wiedenborsteler Bauern waren dabei, als 1869 das „Landwirtschaftliche Casino an der Bünzau“ und 1892 die „Neue Meierei-Genossenschaft Bargfeld“ gegründet wurden. Die Familien Czarnetzki, Ottjes, Jungjohann, Stark und Krüger waren auf Wiedenborstel beschäftigt und haben in Aukrug ihr Haus gebaut.

Ein ganzes Dorf wird gekauft

„He hett ganz Wiedenbossel op een Dutt", hieß es früher beim Kartenspiel, wenn jemand alle vier Buben auf der Hand hatte.[3] Denn Wiedenborstel bestand aus nur vier Bauernstellen (und einem Kätner).

Die ganze Landgemeinde wurde 1906 von dem Hamburger Makler Ebert aufgekauft, wie man sagte für den Prinzen Heinrich. Sie wurde in einen Gutsbezirk umgewandelt, die Bauernhäuser teils abgerissen, teils umgebaut. Ein herrschaftliches Wohnhaus, von den Leuten „das Schloss" genannt, neue Wirtschaftsgebäude und zwei Leutehäuser mit je fünf Wohneinheiten entstanden. Der Kuhstall erhielt Kacheln mit den Abbildungen von Rindern. Vorne am Gutstor stand die Schmiede.

Kaffeegroßhändler Heinrich Thams

Am 1. April 1914 ging das Gut in den Besitz des Kaffeegroßhändlers Heinrich Thams (*1866; †1936) über, an den sich viele Aukruger gern erinnerten. 1908 hatte er zusammen mit Friedrich Garfs den Thams & Garfs - Konzern gegründet. In den 1930er Jahren bestanden etwa im gesamten deutschen Reich 1.200 Thams & Garfs Geschäfte. [4]

Wenn Sophie Czarnetzki aus Innien erzählt, werden die alten Zeiten wieder lebendig. Herr Thams stand mit den Gutsarbeitern und -angestellten sowie mit den Einwohnern der Nachbargemeinden auf gutem Fuß. Zu Ostern lud er z.B. alle Schulkinder des Gutes und der Nachbargemeinden ein. Das Suchen der Schokoladenostereier aus der Ladenkette Thams & Garfs gehörte für sie zu den Höhepunkten des Jahres. Der Gutsherr sorgte stets persönlich dafür, dass genügend Eier und Säfte für den großen Durst vorhanden waren. Im Sommer kamen die Schnitter aus Polen oder Litauen und wohnten mit ihrer Mattka in der „Russenbude". Zum Herbst und Winter gab es Gesellschaftsjagden. Erst 1932 wurde das Gut ans Stromnetz angeschlossen. 1936 starb Heinrich Thams. Sein Sohn Hans-Heinrich Thams (*1898; †1982) wurde neuer Eigentümer des Gutes.

Hans Heinrich Thams müssen die Gemeindewege durch seinen Besitz ein Dorn im Auge gewesen sein. Im Juli 1938 heißt es im Protokollbuch der Gemeinde: Beschluss: Ich beschließe, sämtliche Wege in der Gemeinde Wiedenborstel werden aufgehoben. Der Bürgermeister Pries. Unter dem 8. Juni 1939 steht: Nach Beratung mit den Gemeinderäten beschließe ich die unentgeltliche Aufhebung der Gemeindewege an Herrn Thams. 1. Beigeordneter Aug. Czarnetzki. Im Kreisblatt von Steinburg ist dann bekannt gemacht worden, dass die Wege aufgehoben seien und innerhalb von vier Wochen dagegen Widerspruch eingelegt werden könne. Es erfolgte kein Widerspruch, und somit waren die Wege an Herrn Thams übergegangen. Hinterher half kein Protestieren und Lamentieren der Nachbargemeinden, die Einspruchsfrist war versäumt worden. So ist es gekommen, dass auch heute noch die Wege (bis auf einen) für Autos gesperrt sind.

Kriegsgefangenenlager Wiedenborstel

Haupteingang des Lagers
Das Denkmal
"Franzosen, Russen, Zuaven, Belgier im Lager Wiedenborstel". Ansichtskarten mit Motiven kolonialer Kriegsgefangener (hier ein nordafrikanischer Zuave rechts neben dem Schornsteinfeger) tauchen bereits 1914 praktisch in ganz Deutschland auf. Während manche Ansichtskarten landesweit vertrieben wurden, sind andere wiederum nur regional in Umlauf gebracht worden, so möglicherweise diese Ansichtskarte aus Schleswig-Holstein.

Im April 1915 bekam die Firma Brandt aus Rendsburg den Auftrag, ein Barackenlager auf dem Gelände von Wiedenborstel zu bauen. Es sollte alles sehr schnell gehen. Es wurde ein primitives typisches Zwecklager. Am 12. Mai 1915 kamen 500 russische Kriegsgefangene mit ihrer Bewachung auf dem Innier Bahnhof an. Paul Ratjen aus Homfeld erinnert sich noch an die Ankunft. Die Gemeinde Wiedenborstel hatte die Gefangenen angefordert. Sie sollten die Straße von Hennstedt über Wiedenborstel nach Sarlhusen bauen.

Die älteste Einwohnerin aus dem Aukrug, Sophie Czarnetzki, kann über dieses Lager sehr viel erzählen. Sie hat seinerzeit auf Wiedenborstel gelebt. Es gab viele Aktivitäten, wie zum Beispiel Theateraufführungen. Sie erinnert sich noch an einen Komiker, der seine kleine Tochter fragte: „Wieviel Beißerchen hast du denn?“ Das kleine Mädchen suchte dann auf ihrem Kopf nach Läusen. Auf dem Gutsgelände gab es eine „Russenbude“, in der sich die Gefangenen aufhalten konnten. Von den deutschen Wachmannschaften entstand in der Nähe des Lagers eine Gartenanlage in Form eines großen preußischen Adlers und dem Schriftzug „Gott mit uns“. Auch wurde noch ein monströses Kriegerdenkmal gebaut. Das Denkmal war ein ca. 4 m hoher Obelisk und erhielt als Bekrönung eine aus dem Altertum entnommene Helmform von ca. 2 m Höhe, so dass das Denkmal insgesamt ca. 6 Meter hoch war.

Da die gefangenen Russen schon geschwächt waren und gegen Ende des 1. Weltkrieges das Lager für kranke, hauptsächlich lungenkranke, Gefangene umfunktioniert wurde, sind von Anfang an viele gestorben.

Das Gefangenenlager lag im Grenzbereich der beiden Kreise Rendsburg und Steinburg, und es entbrannte ein Streit wegen der dringend benötigten Begräbnisstätte. Die ersten sechs verstorbenen Russen wurden auf dem Innier Friedhof beigesetzt. Dann erklärte sich ein Homfelder Bauer bereit, ein Stück Land für den Russenfriedhof bereitzustellen. Die ersten Holzkreuze waren entsprechend dem orthodoxen Glauben mit Schrägbalken versehen. Die jetzigen Metallkreuze stammen vom Innier Friedhof, sie sind dauerhafter.

Das Gefangenenlager wurde 1918 abgerissen. Verschiedene Gegenstände erinnern noch heute an das Lager. Eine Scheune auf dem Hof von Kahlke und der alte Schießstand wurden aus Balken und Brettern des Lagers gebaut. Ein Waschkessel befindet sich noch als Viehtränke auf Claus Ratjens Weide. 1989 berichtete Christian Trutschel im „Holsteinischen Courier“ über die Gefangenenlager im Ersten Weltkrieg rund um Neumünster. Seine Bemerkung: „Von dem riesigen Denkmal, das die Wachmannschaften errichteten, fehlt jede Spur“ regte etliche Aukruger Bürger an, es zu suchen. Heinrich Asmus wollte der Sache auf den Grund gehen. Die Wiedenborsteler teilten sein Interesse, beim Besitzer des Gutes, Karl-Heinrich Lemmerbrock, fand er Unterstützung.

Zwei Fragen waren zu beantworten:

1. Weshalb wurde es 1915 gebaut?

Angeregt haben den Bau des Denkmals der Offz. Stellv. u. Lagerkommandant und ein künstlerisch veranlagter Steinmetz. Geplant wurde es als Kriegerdenkmal für den Kreis Steinburg, so steht es auch auf den Postkarten. Aber gebaut hat man auf Homfelder Gebiet im Kreis Rendsburg, und eingeweiht wurde es durch den damaligen Innier Pastor Tramsen. Der Kreis Steinburg und die Gemeinden Wiedenborstel und Hennstedt wollten es später nur übernehmen, wenn das Gebiet in den Kreis Steinburg eingemeindet würde. Das wollte die Gemeinde Homfeld wiederum nicht. So hat dieses Denkmal dann ca. 40 Jahre im Grenzbereich des Kreises Steinburg auf Homfelder Gebiet gestanden. Es liegen Anträge und Schriftstücke aus den Jahren 1915 als Kopien bei der Amtsverwaltung Aukrug.

In den 50er Jahren wurde das Denkmal gesprengt. Wer oder was der Auslöser dieser Sprengung war, weiß man nicht mehr genau. Sprengmeister Heinrich aus Poyenberg hat die Sprengung vorgenommen. Rudi Duschner und Georg Rieckers hatten vom Kreis die Order bekommen, für die Sicherheit zu sorgen. Einige Aukruger können sich noch an den Knall erinnern. Es wurde dem Erdboden gleichgemacht, mit Sand zugeschüttet und mit Bäumen bepflanzt.

2. Weshalb wurde es gesprengt?

Wollte die Gemeinde Homfeld die Folgekosten sparen? War die Zeit der großen Denkmäler vorbei? Sollte das Denkmal verschwinden, weil es so hässlich war?

H. Asmus spürte den Standort im Wald neben der Kreisstraße nach Hennstedt auf. Seit dem ersten April 1993 verbrachte er jede freie Minute mit dem Suchen, Ausgraben und Sortieren der weit verstreuten Stein- und Zementbrocken. Anfang Juli lagen alle Reste auf dem dereinst aufgeschütteten, von Feldsteinen eingefassten Rondell des ehemaligen Denkmals. Jetzt konnte das Puzzlespiel des Zusammensetzens beginnen. H. Asmus sieht das Wort „Denkmal“ hier als „denk 'mal“: Denke einmal über die Entstehung und Vernichtung dieses Zeitdokuments nach!

Ein Schiff mit dem Namen „Wiedenborstel"

Die MS Wiedenborstel

Ein Betriebszweig von Thams & Garfs war der Tee- und Kaffeeimport auf eigenen Schiffen. Junior Hans Heinrich Thams, damals auch Präsident des Deutschen Kaffee-Verbandes, wurde 1936 Chef auf Gut Wiedenborstel. So lag es nahe, ein Küstenmotorschiff [5] nach dem schönen Wiedenborstel zu benennen. Das 71,90 Meter lange Schiff wurde 1953 unter der Baunummer 186 auf der Schiffswerft W. Holst in Hamburg-Neuenfelde gebaut und bei einer Breite von 10,80 Metern mit 1.386 Bruttoregistertonnen vermessen. Zunächst war es auf die Thams Reederei und Handelsgesellschaft zugelassen, fuhr dann von 1958 bis 1960 für Thams & Grafs und anschließend als Motorschiff "Caria" bis 1961 für die Reederei Ahrenkiel & Bene. Nach dem auch im Bundesarchiv dokumentiertem Verkauf nach Indonesien[6] an die Reederei Pelajaran Umum lief sie als "MS Pasaman", ab 1970 dann als "MS Bonway" unter der Flagge Panamas für die Reederei Tavatchai Chareonsri. Das Schiff ging am 2. Dezember 1972 auf der Fahrt von Singapur nach Saigon im Taifun "Sally" im Golf von Thailand unter. Das Wrack ist in digitalen Seekarten verzeichnet und liegt in 38 Meter Tiefe.[7]

Die weitere Entwicklung des Gutes

Seit 1961 war Amtsrat Erwin Sachs Schriftführer der Gemeindevertretung. Er schilderte 1995 die Verhältnisse wie folgt:

"Das Gut hat 489 ha Betriebsfläche, davon sind 190 ha Acker- bzw. Dauergrünland. 1939 wohnten auf dem Gut 48 Personen. 1950, waren es 23 Wohnparteien mit 75 Personen, davon 36 Flüchtlinge. Jede Familie hatte einen Garten von durchschnittlich 1.300 qm. 28 Kinder gingen in die Hennstedter Schule. 1960 gab es 11 Wohneinheiten mit 29 Personen, davon neun Kinder. Bis 1970 ging die Einwohnerzahl auf zehn zurück. Herr Thams war Bürgermeister der Minigemeinde. Früher waren auf dem Gut stets ein Verwalter, ein Förster, ein Gärtner, ein Kutscher sowie mehrere Melker und Landarbeiter, zeitweilig auch ein Schmied, beschäftigt gewesen. Als Pferde noch unentbehrlich waren, spielte deren Zucht auf dem Gut eine große Rolle. Arbeits-, Kutsch- und Reitpferde wurden gehalten. 1950 gab es neben zwei Traktoren 30 Pferde (einschl. Fohlen), 1960 acht Pferde und sechs Traktoren. Der Bestand an Milchkühen wurde allmählich von 66 (1960) auf 120 aufgestockt, alles prächtige Schwarzbunte."

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf da alle Beteiligten der Entschluss von Herrn Thams, die Milchwirtschaft aufzugeben. Die Kühe wurden versteigert. Das war für die Schweizer, Landarbeiter und nicht zuletzt auch für die Meiereigenossenschaft Bargfeld, in der Herr Thams Vorstandsmitglied war, ein harter Schlag. Der damalige Betriebsleiter der Bargfelder Meierei, Heinrich Asmus, sagt dazu, dass weder er noch die Bauern der Genossenschaft Verständnis für diese Maßnahme hätten aufbringen können. Das Verhältnis zwischen Wiedenborstel und Aukrug sei empfindlich gestört worden.

Fabrikant Karl-Heinrich Lemmerbrock

Karl-Heinrich Lemmerbrock 1990

1983 hat der Fabrikant Karl-Heinrich Lemmerbrock das Gut erworben. Er wurde ein Jahr später von Landrat Rocke zum neuen Bürgermeister der Gemeinde bestellt und im April 1986 durch Wahl von der Gemeinde bestätigt. Auf Wiedenborstel begann eine neue Zeit. Die alten Wirtschaftsgebäude wurden abgerissen, bis auf die Pferdeställe. Das Storchennest wurde umgesetzt. Neue, gut in die Umgebung eingepasste Gebäude entstanden. Heute werden auf Wiedenborstel Bullen gemästet und intensiv Forstwirtschaft betrieben. 1993 vernichtete der Sturm 5.000 Festmeter Holz, darunter einige 35 Meter hohe sich selbstputzende Douglasien, die zur Saatgewinnung genutzt worden waren. In letzter Zeit werden nur noch Laub- und Mischwald neu angepflanzt. Das Wildgatter birgt ca. 180 Stück Dam- und 20 Stück Muffelwild (Stand 1995).

Es gibt im Wald einzigartige Biotope, die nicht gestört werden dürfen. Schwarzstorch und Fischadler würden sonst schnell verschwunden sein.

Einzelnachweise

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise