Aukrug im Nationalsozialismus

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Die Angestellten und Mitarbeiter des 1931 eröffneten Krankenhauses Tönsheide bei der gemeinsamen Wanderung zur Joachimsquelle am Himmelfahrtstag
Einige Jahre später der gleiche Ausflug mit Hakenkreuzflagge

Erst die Dorfchronik von 1995 veröffentlichte Berichte und Erinnerungen aus der Zeit von 1933 bis 1945. Sie bilden die Grundlage für das Kapitel Aukrug im Nationalsozialismus, das nach Fertigstellung umfassender und fundierter über die damaligen Ereignisse in den Aukrugdörfern berichten soll. Die vorherigen Chronisten Reimer (1959) und Bünger (1978), beide Lehrer in Aukrug, vermieden bis auf die Gefallenenzahlen und -namen das Thema gänzlich. Heinrich Bünger kam erst nach dem Krieg in den Aukrug und begann seine Chronikerweiterung Aukrug im 20. Jahrhundert später auch erst mit dem Jahr 1945. Bei Georg Reimer hat womöglich seine Mitgliedschaft in der NSDAP und seine Tätigkeit als Blockleiter der Partei in Böken zu dieser Entscheidung beigetragen.

Das Chronikteam möchte für die Redaktion dieses Kapitels einen externen Historiker beauftragen, damit eine neutrale Erforschung und Bewertung der schon vorliegenden regionalen Quellen erfolgen kann. Durch eine professionelle Bearbeitung des Themas ist nach Meinung des Chronikteams auch eine bessere Einnordnung in die Kreis- und Landesgeschichte sichergestellt, da sich viele Daten und politische Entwicklungen vor Ort nicht mehr unmittelbar nachweisen oder belegen lassen, sondern nur mittelbar aus externen Quellen, z.B. des damaligen Kreises Rendsburg, erschließen.

Einleitung

Claus Butenschön, 1926 geboren, war als Kind in die Nazizeit hineingewachsen, er war deren Erziehungs- und Formungssystem voll ausgeliefert. Erst kurz vor ihrem Ende konnte für ihn eine distanzierte Betrachtung dieser Lebensjahre beginnen. Mit seinem Bericht Wie erlebten die Aukruger die Zeit 1933 bis 1945? hat er 1995 Details aus seiner Biografie preisgegeben und wertvolle Hinweise für weitere Forschungen geliefert. Für das Aukrug Geschichte Wiki wurde sein Text chronologisch gegliedert, z.T. mit neuen Abschnittsüberschriften versehen sowie um Fotos ergänzt und bildet so die Struktur für dieses Kapitel, an dem weiter gearbeitet wird.

Der Zimmermann Jonny Rohwer, Jahrgang 1906, hat die Weimarer Republik von Anfang an miterlebt und schrieb sich, vermutlich 1934, seine Erbitterung über die ihm verhaßte Nazidiktatur von der Leber. Er verfasste auf elf Seiten eines Kontobuches die Schrift „Der Untergang des deutschen Proletariats" und schildert darin die Zeit von etwa 1928 bis 1935, wie er sie erlebte. Wäre diese zu seinen Lebzeiten bekanntgeworden, so wäre er wahrscheinlich als KZ-Häftling statt als Soldat umgekommen. Der Aukruger Chronist Peter Höhne nannte sie ein Dokument des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus.

Der Chronist Claus Butenschön

Claus Butenschön 1944 als 18jähriger Unterscharführer (Unteroffizier)
Der Saal im Aukrug-Tivoli, vermutlich in den 1930er-Jahren
Umzug zum Erntedankfest in Innien 1934
Jungvolk-Zeltlager am Brahmsee 1939
Aukruger Mädchen bei einem Sportfest in Rendsburg

Einführung zu seinem Text "Wie erlebten die Aukruger die Zeit 1933 bis 1945?"

Dies soll ein Versuch sein, nach 50 bis 60 Jahren aus Selbsterlebtem und von anderen Wiedergegebenen, sich in die damalige Zeit zu versetzen. Ich selber war bei der „Machtübernahme" am 30. Januar 1933 gerade 7 Jahre alt und erinnere mich ganz vage an einen Fackelzug durchs Dorf und ein Feuer beim „Sandloch" an der Heinkenborsteler Straße. Dort wurde die schwarzrotgoldene Fahne verbrannt. Man nannte sie auch „de Sempfahn".

Die Saarlandabstimmung 1935 verfolgten wir am Radio bei unserer Lehrerin Fräulein Jensen. Nur die wenigsten hatten damals schon einen Volksempfänger zu Hause. Mit 10 Jahren war es selbstverständlich für uns, ins Jungvolk einzutreten und ab 14 Jahren war man Hitlerjunge. Wir waren stolz auf die kurze schwarze Hose, das braune Hemd mit schwarzem Schlips und Knoten. Die Krönung war die dunkle Winterbluse. Der Dienst in der Gemeinschaft ohne soziale Unterschiede machte uns Spaß. Sonnabend nachmittag oder auch schon mal nachts wurde marschiert, Geländeübungen durch geführt oder im Gemeindehaus war Heimatabend. Sport wurde fleißig betrieben, und einmal im Jahr ging es per Fahrrad nach Wasbek zum Sportfest. Der Lohn für möglichst viele Punkte war eine Siegernadel.

Am 20. April, dem Geburtstag des Führers, gab es nach einer kleinen Feierstunde schulfrei. Für die Erwachsenen wurden festliche Abendveranstaltungen durchgeführt. In einem christlichen Elternhaus groß geworden, gab es schon mal Ärger zu Hause, wenn Sonntag am Vormittag Dienst angesetzt war. Besonderes Erlebnis für uns Jungen war 1939 ein 14tägiges Zeltlager am Brahmsee. Natürlich wurde dorthin marschiert. Das gemeinsame Singen förderte die Kameradschaft. Das Liedgut reichte von „Kein schöner Land" bis „Unsre Fahne flattert uns voraus, unsre Fahne ist die neue Zeit, unsre Fahne führt uns in die Ewigkeit, ja die Fahne ist mehr als der Tod". Beim Singen dieses Textes und beim „Kriegspielen" dachten wir nicht daran, daß schon einige Jahre später beides für uns von Stalingrad bis Berlin blutige Wirklichkeit werden sollte.

Aukrug in der Weimarer Republik

Die Zeit von 1918 von 1933 wurde in den bisherigen Chroniken noch nicht behandelt, vermutlich weil Georg Reimer im Ersten Weltkrieg von Anfang bis zu Ende als Soldat im Einsatz war und nach dem Krieg bis 1922 an der Herausgabe des „Heimatbuches des Kreises Rendsburg" mitarbeitete. Chronist Heinrich Bünger berichete erst 1978 in einer kurzen Zusammenfassung über die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg:

"In den Jahrzehnten des Friedens und des wirtschaftlichen Aufschwungs im neuen Reich söhnten sich die Schleswig-Holsteiner mit der Angliederung an Preußen aus, zumal der Prinz Wilhelm des hohenzollernschen Königshauses 1881 eine holsteinische Prinzessin heiratete und damit dynastische Beziehungen zu den Hohenzollern emotionell wirksam wurden. Hier in der Innier Kirche haben wir von dieser Prinzessin, der späteren Kaiserin Victoria, ja die Bibel geschenkt bekommen. So erklärt es sich auch wohl, daß immer mehr holsteinische Bauernsöhne sich freiwillig zum Eintritt in die preußische Garde-Kavallerie oder -Artillerie meldeten und dort gerne aufgenommen wurden (Hermann Carstens, Otto Blohm, Fritz Witt, Gebrüder Rathjen). Diese erfreuliche Entwicklung wurde dann jäh unterbrochen durch den Beginn des 1. Weltkrieges, der auch von unseren Vorfahren im Aukrug seinen Blutzoll forderte.

Der unglückliche Ausgang mit der anschließenden Inflation und der sofort auftauchenden dänischen Frage brachte Unruhe ins Land und beendete die wirtschaftliche Blütezeit. Zwar bedeutete die Geldentwertung für die Sachwerte besitzende Landwirtschaft zunächst eine Befreiung von alten Verschuldungen, aber dann führte der allgemeine Wirtschaftsrückgang doch zur Verschlechterung der Lage in der Landwirtschaft und damit auch im Aukrug. Es kam zu Konkursen, und der Unwille über die neue demokratisch-republikanische Staatsform wuchs. Wie immer in schlechten Zeiten, so wurden die Steuern und Abgaben als besonders drückend empfunden, und der Zorn der Landleute richtete sich gegen die Finanzämter des Staates. Es kam zur Entrollung der „schwarzen Fahne" der Not und zu gewalttätigen Demonstrationen in Neumünster, an denen auch Bauern aus dem Aukrug beteiligt waren. Der Staat kam ins Wanken, und radikale Strömungen beherrschten die Straße. Die Hitlerbewegung blieb siegreich und errang am 30. Januar 1933 die Macht.

Diese Veränderung wurde auch im Aukrug spürbar. Das Genossenschaftswesen wurde eingeschränkt und manche genossenschaftliche Vereinigung aufgelöst. Bäuerlich-wirtschaftliche Selbstentfaltung war nicht erwünscht, dafür autoritäre, Leitung von oben. Da aber auf der anderen Seite im Zuge der angestrebten Wirtschaftsautonomie gerade die Landwirtschaft besonders zu fördern war, wurden der ländlichen Entwicklung gute Möglichkeiten eingeräumt, die zu einer Verbesserung der bäuerlichen Betriebssituation führten. Feste Preise und gesicherte Abnahme begründeten eine stetige Aufwärtsentwicklung und eine zunehmende Technisierung.

Die Bedürfnisse der Bewohner wuchsen, Handwerk und Gewerbe entfalteten sich. Die Anzahl der Hökereien, d. h. der kleinen Verkaufsläden für Lebensmittel und Kolonialwaren und sonstige Gegenstände des täglichen Verbrauchs nahm zu. (...) So hatte sich eine friedliche kontinuierliche Entwicklung aus dem 19. in das 20. Jahrhundert langsam und unter bedächtigem Festhalten an überkommene Formen vollzogen. Die Grundhaltung des ländlich-bescheidenen Lebenszuschnitts blieb bestehen. Das holsteinische Platt war die alle Bevölkerungsschichten umfassende Umgangssprache und deshalb noch durchaus lebendig. Unsere Aukrugbevölkerung war wohl geistig aufgeschlossen, wie es an der Wirksamkeit des „Landwirtschaftlichen Vereins" deutlich wurde, aber hing auch sehr am Althergebrachten. Die fünf Dörfer hielten eng zusammen, hatten sich in jahrzehntelangem hartnäckigem Ringen 1893 eine eigene Kirchgemeinde gegründet und waren bei ihren geselligen Veranstaltungen im Kriegerverein, Männergesangverein und Turnverein immer beieinander. Auch die etwas ungewohnte autoritäre, fast militärisch anmutende Regierungsart des Nationalsozialismus in den 30er Jahren konnte dieser festgewurzelten ländlichen Lebensform nichts anhaben. Man rangierte sich, paßte sich an, blieb aber bei einer im Kern konservativ-demokratischen Denkart."

Der Übergang zum Nationalsozialismus

Unter dem Eindruck der wirtschaftlich schlechten und politisch unruhigen Zeiten der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre, suchten auch im Aukrug immer mehr Junge und auch Ältere einen Ausweg, indem sie der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) beitraten. Diese versprach den Menschen Arbeit und Brot und eine Befreiung von dem als Demütigung empfundenen "Versailler Diktat".

Weltwirtschaftskrise, 6 Millionen Arbeitslose, ruinöse Preise für die Land wirtschaft, die Zerstrittenheit und das Unvermögen der über 30 Parteien, das Land zu regieren, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, und die Angst vor dem Kommunismus sorgten dafür, daß Adolf Hitler am 30. Juni 1933, unterstützt von bürgerlich Konservativen, demokratisch gewählter Kanzler wurde. Kurze Zeit später, durch das Ermächtigungsgesetz möglich gemacht, entstand der Einparteienstaat. Die Aukruger reagierten sehr unterschiedlich, von totaler Begeisterung über Zurückhaltung bis zur Resignation oder gar Widerstand, der aber kaum möglich war.

Die Aukrugdörfer nach der Machtübernahme

Lehrer und Parteiführer sprachen auf Großveranstaltungen im Garten des Gemeindehauses vor fast tausend Zivilisten und Uniformierten. Und wie mag sich die Predigt des Pastors Tramsen anläßlich des Tages von Potsdam (21. März 1933, zwei Tage vor Verkündigung des Ermächtigungsgesetzes) angehört haben? In der total überfüllten Kirche predigte er über den Psalm 60.14: „Mit Gott wollen wir Taten tun. Er wird unsere Feinde untertreten." Wie immer er damals auch dieses Wort ausgelegt hat, auf jeden Fall geschahen dann tatsächlich Taten, die im Nachhinein „niemand gewollt hatte".

Für den Bürger zählte die Tatsache, daß in kurzer Zeit die versprochene Arbeit für alle da war, die Landwirtschaft auskömmliche Preise erhielt und die Menschen wieder hoffnungsfroh in die Zukunft blicken konnten. Diese Entwicklung wurde u.a. möglich durch die Aktivierung eines bereits bestehenden freiwilligen Arbeitsdienstes, der 1934/35 für alle jungen Männer für ein halbes Jahr zur Pflicht wurde (siehe Abschmitt RAD). Die schon lange vorher geplanten Autobahnen wurden nun sehr schnell gebaut. Kinderreiche Arbeiterfamilien konnten sich ein Haus bauen. Die Einführung der zweijährigen Wehrpflicht 1935/36 brachte der Wirtschaft zusätzlichen Aufschwung.

Neben der SA (Sturmabteilung aus der Kampfzeit) verstand man es besonders in den Nebenorganisationen, die Menschen an das System zu binden. So wurde in der Reiter-HJ und SA der Reitsport gepflegt, im NSKK konnten besonders die Motorradfahrer ihrem Hobby nachgehen. Die NS-Frauenschaft widmete sich sozialen Bereichen. Die weibliche Jugend war bei den Jungmädchen und später dem BDM (Bund Deutscher Mädchen) organisiert. Einheitlich weiße Bluse mit schwarzem Schlips und Knoten sowie dunkler Rock förderten auch hier das Gemeinschaftsgefühl. Mariechen Kütemann, damals Reimers, war mit dabei. Diese erzählte, daß sie als 16jährige bei einem Berufswettkampf mit anderen Landessiegern an einem Reichsentscheid in Königsberg, Ostpreußen, teilnahm. Sie denkt noch heute gern daran zurück.

Zu dem im Herbst auf dem Bückeberg veranstalteten Erntedankfest beteiligten sich mehrfach Abordnungen aus dem Aukrug. Auf den Reichsparteitagen in Nürnberg waren auch Aukruger dabei. Der Jubel bei diesen Veranstaltungen unter dem Motto „Ein Volk, ein Reich, ein Führer" war echt. Als Nachfolgeorganisation der inzwischen verbotenen Gewerkschaften fungierte die Deutsche Arbeitsfront. Durch Sammelaktionen für die „Deutsche Winterhilfe" warb man für sozial Schwache.

Neben dem wirtschaftlichen Aufschwung sorgten die Rückkehr des Saarlandes, Wiederbesetzung des Rheinlandes und der Anschluß Österreichs dafür, daß immer mehr Menschen, auch im Aukrug, mit dem Staat zufrieden waren. Hinzu kam, daß 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin die ganze Welt dem System huldigte und mit dem Münchner Abkommen im Herbst 1938 sogar die Eingliederung des Sudetenlandes von England und Frankreich abgesegnet wurde.

In der Landwirtschaft ersetzte man nach Kriegsbeginn die eingezogenen Männer zum Teil durch zivile Fremdarbeitskräfte (Zwangsverschleppte), wie Polen und später auch Russen, Männer und Frauen. Diese waren bei ihrem Arbeitgeber untergebracht. Als Kriegsgefangene waren in den Aukrug-Dörfern Franzosen und Belgier tätig, in Homfeld noch zusätzlich Serben. Die Unterbringung erfolgte in den Dörfern in provisorisch eingerichteten Räumen. In Innien zum Beispiel im ehemaligen E-Werk. Zur Bewachung waren ältere Landsturmmänner eingesetzt, die die Gefangenen morgens zur Arbeit brachten und abends wieder abholten. Obwohl „amtlich" nicht an einem Tisch gegessen werden durfte, war die Behandlung hier auf dem Lande gut. Dort, wo sich trotzdem persönliche Kontakte ergaben, diese bekannt und amtlich gemeldet wurden, sollen Aukruger sogar ins Gefängnis gekommen sein.

Laut Heinrich Bünger sah man in Aukrug "mit Sorgen (...) die Aufrüstung, die bedenklichen militärischen Einmärsche in Österreich, im Sudetenland, in Prag und wurde fast unmerklich in das gewaltige Kriegsgeschehen des 2. Weltkrieges hineingezogen. Wie jede Bevölkerung in jedem Land, so hoffte sie auch im Aukrug auf ein schnelles siegreiches Ende, um gesichert die friedliche Arbeit fortsetzen zu können. Erst allmählich ahnte man, daß keine der vielen wortreichen Prophezeiungen in Erfüllung gehen würde. Der Bombenangriff auf Hamburg 1943 brachte den Schrecken der Vernichtung der Zivilbevölkerung und ihrer Städte in greifbare Nähe und die erste Evakuierung in den Aukrug. Auch die letzten wehrfähigen Männer aus der Landwirtschaft wurden noch eingezogen, und viele mußten noch ihr Leben lassen."[1]

Verfolgung und Gewalt

Auch in Aukrug und Umgebung gehörten zum Wesen der gewaltsamen Unterdrückung willkürliche Polizeimaßnahmen, Mißhandlungen, Zerstörungen von Eigentum sowie der Ausschluß vom öffentlichen Leben:

  • 1933 wollten „Wahlhelfer" mit Dreschflegeln und Forken den politisch eher harmlosen Landwirt Hannes-Matthias Paape aus Homfeld zum Wahlgang zwingen. So etwas war dieser von seinen Mitbürgern sonst nicht gewohnt, dachte sich wohl, auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, und schoß mit seiner Jagdflinte von innen durch die Tür, wohl zur Warnung, ohne jemanden zu treffen. Die Kripo holte ihn ab und er kehrte nie mehr zurück.
  • Hans Sager aus Heinkenborstel hatte im Innier Bahnhofslokal Hitler als den größten Feind Deutschlands bezeichnet. Er wurde denunziert und zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Seine Gastwirtschaft in Heinkenborstel wurde boykottiert und später angesteckt, gleichzeitig mit den Häusern von zwei Bargstedter Nazigegnern.
  • Der Innier Friseur Willy Nottelmann, ein Kriegsinvalide, leistete sich die „Unverschämtheit", bei einem Vorbeimarsch die Hakenkreuzfahne nicht zu grüßen. Ein als rabiat bekannter Landwirt sprang aus der Formation und verprügelte ihn schwer — das war damals zu diesen Anlässen überall im Reich allgemein üblich.
  • Während des Krieges wurde Käthe Rohwer aus Bünzen denunziert und kam ins KZ Russee bei Kiel. Sie hatte einem Polen zur Flucht verholfen. Auch ein Sohn des Innier „Altsozis" Gustav Hohnsbeen kam aus unbekanntem — aber naheliegenden — Grund ins KZ.
  • Es wird von einem Viehhändler aus Innien berichtet, der so unter Druck gesetzt wurde, daß er schließlich das Dorf verließ.

Spaß und Ernst (Was nach dem Krieg so auf Geburtstagen erzählt wurde)

Er, der Jungvolkführer, und seine Gruppe waren sich ihres Wertes stolz bewußt; gestützt und gestärkt durch den mächtigen Arm der Partei marschierten sie in kurzen Hosen und braunen Hemden mit Trommel- und Fanfarenspiel durch die Straßen Inniens. Die Väter sahen das meistens gar nicht so gern und brummten abweisend: „Soldatspielerei! Sollten lieber die Nase in die Bücher stecken oder Vater und Mutter helfen." Aber laut sagen durften sie das nicht, denn die Älteren und Bedächtigen hatten schon damals nichts zu melden, die „Pimpfe" waren schnell mit der „liebevollen" Bezeichnung „Friedhofsgemüse" oder dem „rieselnden Kalk in der Hose" zur Hand.

Auch Werner Radtke in Bargfeld gehörte zu den „Stillen im Lande", die das flotte Marschieren und die kecken Rufe nur ungern wahrnahmen. Er war Kätner und hatte dabei einen ebenso „stillen" wie wichtigen Nebenberuf: er war Leichenwagenfahrer im Aukrug, von jedem geschätzt und geachtet. Nur die braune Jugend, die „hart wie Kruppstahl" werden sollte, spottete solcher Tätigkeit.

Für den wackeren Leichenkutscher war es deshalb eine Zumutung, wenn die junge Schar mit lautem Trommelschlag an dem Leichenwagen vorbeimarschierte. Die Pferde wurden unruhig, und das durfte vor einem Beerdigungswagen nicht sein. Der gute Werner mußte deshalb aufpassen und die braven Rösser mit der Peitsche zurechtweisen. Aber nach seiner Meinung müßte die Peitsche die Unruhestifter treffen, die er nun mal nicht leiden konnte.

Als wieder einmal eine solche Situation eintrat, mitten auf der Straße zum Friedhof in der Höhe des jetzigen Gemeindegartens, da mahnte Fahrer Radtke mit einem Peitschenschlag seine Pferde zur Ruhe, als gerade der stolze Anführer mit seiner Schar im strammen Schritt neben ihm auftauchte. Da mußte der grimmige Radtke seinem lange unterdrückten Unmut Luft machen, und er führte seine Peitsche mit kurzem, kräftigem Schlag aus „Versehen" etwas neben die Pferde, so daß sie dem selbstbewußten Voranmarschierer um die Ohren sauste. Werner Radtke verzog keine Miene, obwohl er wußte, daß solcher Schlag in mancherlei Weise unangenehme Folgen haben könnte. Er murmelte nur ingrimmig, alle möglichen Anschuldigungen von vornherein zurückweisend: „Fehlschlag!"

Die NSDAP-Ortsgruppe

Protokoll einer Amtsauschusssitzung im März 1940, unterschrieben von Amtsvorsteher Hinrich Brammer, der auch Ortsgruppenleiter der NSDAP war.
RAD im Aukrug
Erinnerungsstein an den Stahlhelm Arbeitsdienst an einer Mauer in Aukrug-Bargfeld
RAD im Aukrug
Auregulierung

Aber nicht alle folgten der allgemeinen Stimmung. So erzählt Werner Hauschildt eine fast heitere Begebenheit zum Schmunzeln, wenn der Hintergrund nicht so ernst wäre. Mit einigen Jungen nach Bünzen unterwegs, begegnet ihnen der Ortsgruppenleiter Heinrich Brammer, der hier auch gleichzeitig Amtsvorsteher war. Man grüßte mit dem üblichen „Guten Tag". Daraufhin ermahnte der Parteimann die Jungen „Wüllt ju wull mit ,Heil Hitler' gröten."

Schwerwiegende Folgen sollte ein anderer Fall haben. Matthias Paape aus Homfeld hatte bei einer Wahl seiner Wahlpflicht nicht genügt. (Diese „Wahl" war natürlich nur eine Bestätigung der Politik Adolf Hitlers mit dem in Diktaturen üblichen Ergebnis von über 99% Ja-Stimmen). Aufgrund des Nichterscheinens wurde Matthias Paape zur Rede gestellt. In einer sicher spontanen Überreaktion gab er mehrere Schüsse ab, die aber ohne Folgen blieben. Daraufhin wurde er von der Polizei abgeholt. Wie ein Neffe berichtet, wurde er in „Verwahrung" gebracht, zunächst nach Neustadt und später nach Neustrelitz. Anfang 1945 kam er mit vielen anderen NS-Häftlingen auf die „Cap Arcona". Die besondere Tragik liegt darin, daß dieses Schiff in den Wirren der Kampfhandlungen auf der Ostsee von alliierten Bombern versenkt wurde und der größte Teil der Häftlinge ertrank, so auch Matthias Paape.

Im Zusammenhang mit den Bemühungen, auch die Aukruger Geschichte während der NS-Zeit aufzuhellen, wurde auf dem Spitzboden der Amtsverwaltung ein einziges Dokument aus der damaligen Zeit gefunden, und zwar ein Protokollbuch über die Sitzungen des Amtsausschusses während dieser Jahre. Wer nun jedoch meinte, aufschlußreiche Erkenntnisse über politische Ereignisse der damaligen Zeit in Aukrug finden zu können, wurde zunächst enttäuscht. So gut wie gar nichts von Wichtigkeit ist überliefert, wenn man mal davon absieht, daß ab 1936 im Siegel unter den Sitzungsprotokollen das Hakenkreuz erscheint, und dieses Hakenkreuz im Mai 1946 aus der Mitte des Siegels wieder verschwindet.

Reimer Reimers, dessen Großvater Johannes Reimers in diesem Protokollbuch des öfteren erwähnt wird, erforschte 1995 das Protokollbuch des Amtsbezirkes Innien für die Zeit vom 30.11.28 bis zum 31.06.51 und entdeckte darin Lücken und weiße Flecken. So beginnt das Protokollbuch erst mit der Seite 33. Die ersten 32 Seiten fehlen einfach. Anstelle der fehlenden, durchnumerierten 32 Originalseiten wurden 24 beschnittene lose Protokollblätter für die Zeit von 1928 bis 1945 eingeklebt.

Reichsarbeitsdienst im Aukrug

Im Sommer 1932 wurde in Bargfeld in der ehemaligen Schule eine Unterkunft für den Freiwilligen Arbeitsdienst „Heimatwerk Rendsburg" ausgebaut. Die Arbeitsdienstmänner kamen aus Neumünster und Umgebung aus dem großen Heer der sechs Millionen Arbeitslosen. Vermittelt wurden sie von den Arbeitsämtern. Zum Teil blieben sie, zum Teil verließen sie das Lager wieder, wobei sie dann das Anrecht auf Arbeitslosenunterstützung verloren.

Die Arbeitsmaßnahme für das Bargfelder Lager war die Verbreiterung der Bünzau um drei Meter zwischen Innien und Sarlhusen. Die Lehrer des Aukrugs hielten an zwei Abenden der Woche Vorträge bzw. Unterricht in Heimat-, Natur- und Erdkunde, Kulturkunde und Singen.

Zur gleichen Zeit entstand in Tannenfelde ein Arbeitsdienstlager des Stahlhelms (Bund der Frontsoldaten). Die Arbeitsvorhaben dieses Lagers waren Wegebau, das Anlegen von Wanderwegen, Schaffung neuer Heideflächen, Pflanzen von Bäumen und Sträuchern um die neugebaute Lungenheilanstalt Tönsheide herum. Die vier Lager in der Gegend (Tannenfelde, Nindorf, Bargfeld und Sarlhusen) wurden im Herbst 1933 zusammengefaßt, blieben aber weiterhin bestehen. Nach der Machtübernahme 1933 wurde der Freiwillige Arbeitsdienst zentral zusammengefaßt, dem Innenministerium unterstellt und von dem späteren Reichsarbeitsführer Hiesl weiter ausgebaut. (Berichterstatter H. Helbig)

1934 wurde in Innien im Gebäude des Elektrizitätswerks ein Stammlager für den Freiwilligen Arbeitsdienst eingerichtet. Auch Baracken wurden gebaut und der Vorplatz bis zur Straße geebnet als Übungsplatz. Seine Bezeichnung war RAD-Lager 73/2 Innien. Der 1. Zug machte Straßenbauarbeiten in Richtung Gnutz, der 2. Zug befestigte Waldwege, und der 3. Zug arbeitete an der Begradigung der Bünzau.

An Wahlsonntagen fanden Ummärsche durch die Dörfer statt, um auch alle Bewohner noch einmal auf die Wahl einzustimmen. Sonst war an Wochenenden abwechselnd Tanz im Bahnhofshotel oder im Tivoli. 1938 wurde das RAD-Lager ins Rheinland verlegt (Berichterstatter Herr Klemm aus Brande-Hörnerkirchen). Ein Freiwilliger Arbeitsdienst für junge Mädchen ist in Räumen des Frauenheims (heute Erlenhof) eingerichtet worden. Aufgabe war die Besorgung der Wäsche für die Arbeitsdienstlager Bargfeld und Meggerkoog, dazu Wäscheausbesserung, Strümpfestopfen und Kultivierung von Heideland. Die Einrichtung wurde im Oktober 1933 verlegt.

Liesbeth Asmus erinnerte sich 1995 an ihr Pflichtjahr und den Flakhelferinneneinsatz der Mädchen im Dritten Reich.

Aukrug im Zweiten Weltkrieg

Hans Siem der erste getötete Aukruger Soldat im Zweiten Weltkrieg.
Todesanzeige als Beispiel für einen der Vielen, die nicht zurückkehrten — sie spricht ihre eigene Sprache. Sein Grab befindet sich auf der Kriegsgräberstätte in Futa-Pass, ca. 40 Kilometer nördlich von Florenz.
Ernst Wilhelm Rathjen als Geschützführer in Rußland
Heinz und Christine Schneede als Hochzeitspaar 1942 während eines kurzen Urlaubs
Feldpostkarte aus Stalingrad
HJ-Uniform aus den 1930er Jahren

Dann kam der Krieg — von den Regimegegnern seit langem befürchtet und vielen Nationalsozialisten stürmisch begrüßt. Denn wie hieß noch einer der alten Sprüche? „De Not is swor, de Kraft is dor, de Weg is klor!" (F. Zacchi, Neumünsteraner Journalist und Verlagsleiter in Bordesholm). Den meisten gingen schon bald die Augen auf, aber sie mußten den Mund geschlossen halten, denn das Terrorregime duldete keine Kritik. Pastor Johannes Tramsen feierte verschwörerhaft im kleinsten Kreise sein 25-jähriges Dienstjubiläum in einem Raum des Frauenheimes. Er war zu einem Regimegegner geworden, warb unter Mißachtung persönlicher Verfolgung für die Bekennende Kirche und wurde deren Sprecher für Schleswig-Holstein.

Als am 01. September 1939 der Krieg ausbrach, sagte Claus Butenschöns Vater: „Jung, dat is ni goot un dat geiht ni goot." Er wußte als Soldat des 1. Weltkrieges um die Schrecken des Krieges. Im Sommer 1943 erlebten wir aus der Ferne die ersten Großangriffe auf Hamburg mit ihren verheerenden Folgen. Verstörte und verrußte, von dem Erlebten gezeichnete Obdachlose suchten bei uns Bleibe.

Der Beginn des Krieges mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen wurde von den Aukrugern als unvermeidliches Schicksal hingenommen. Man tat seine vaterländische Pflicht. Alle jungen Männer und auch ältere, die 1914 — 1918 schon Soldat gewesen waren, wurden eingezogen. Lebensmittel und Kleidung gab es nur noch auf Marken und Bezugsscheine, alle Fenster mußten verdunkelt werden. Solange es ohne große Verluste vorwärts ging und einer Siegesmeldung bald die nächste folgte, war für die meisten die Welt noch in Ordnung.1940 wurde im Westen als erster Gefallener aus dem Aukrug Hans Siem gemeldet. 95 Kriegsteilnehmer aus Aukrug sind im Zweiten Weltkrieg gefallen, als vermißt gemeldet oder in Gefangenschaft gestorben.

Die Innier Feuerwehr mit Heinrich Strauß als Wehrführer war mit ihrem neuen Fahrzeug dort tagelang zum Retten und Löschen, wie später auch in Kiel und Neumünster. Trotz Mahnung und Warnung des Vaters meldete ich mich um diese Zeit mit vielen Gleichaltrigen noch freiwillig zur Waffen-SS. Eingezogen wurde der Jahrgang 1926 ohnehin, ob freiwillig oder nicht.

Drei Monate Arbeitsdienst waren ausgefüllt mit vormilitärischer Ausbildung und dem Bau von Splitterboxen für Nachtjäger auf einem Flugplatz bei Schwerin. Nach kurzer Rekrutenausbildung von gut 2 Monaten ging es an die Front. Zunächst mein ten wir noch, Helden sein zu müssen, doch dann erlebten wir als 17- und 18jährige das Grauen des Krieges am eigenen Leibe. Viele unserer Jahrgänge sind gefallen, ich selber 1944 als 18jähriger Unterscharführer (Unteroffizier) mit 2 Verwundungen gerade noch davongekommen.

Nach harter englischer Gefangenschaft in Belgien, die wegen der Zugehörigkeit zur Waffen-SS verbunden war mit vielen Verhören und die mit einem amtlichen „nicht schuldig" endete, wurde ich Ende Juli 1946 in die Heimat entlassen. Die Soldaten der Waffen-SS, von denen jeder dritte gefallen war, wurden mitverantwortlich gemacht für den millionenfachen Mord in den Konzentrationslagern und anderswo. Tatsache ist, daß die Fronttruppen der Waffen-SS damit nichts zu tun hatten, nicht einmal davon wußten. Neben Adolf Hitler trug die politische, schwarz uniformierte SS (Schutzstaffel) Heinrich Himmlers, der SD (Sicherheitsdienst) und die Gestapo die Verantwortung dafür. Das schloß nicht aus, daß bei Kampfhandlungen Unrecht geschehen ist, wie es jeder Krieg auf beiden Seiten mit sich bringt.

Inzwischen hatte die Deutsche Wehrmacht fast ganz Europa besetzt, und Aukruger waren vom Nordkap bis nach Afrika dabei. Hier einige Beispiele:

Ernst Wilhelm Rathjen war von Anfang bis zum Ende dabei, wurde als Wachtmeister (Feldwebel) mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Hans Rixen schickte einen Kartengruß mit dem Flugzeug aus dem im November 1942 mit über 200.000 Soldaten eingeschlossenen Stalingrad.

Bei Beendigung des Kampfes Anfang Februar 1943 sind es noch etwa 90.000 ausgemergelte, vom Tode Gezeichnete, die den Marsch in die Gefangenschaft antreten. Nur 6.000 überlebten und sehen erst 1949 die Heimat wieder, zu ihnen gehörte Hans Rixen. Zwei andere Aukruger, Hans Breiholz und Max Schröder, sind ebenfalls bis nach Stalingrad marschiert und eingeschlossen. Sie werden später als „vermißt" gemeldet.

1942 bekam Heinz Schneede kurzen Heimaturlaub, um seine Verlobte Christine zu heiraten. Diese Kriegstrauung wurde in letzter Minute noch ernstlich in Frage gestellt, weil der Bräutigam nicht in Uniform auf dem Standesamt war. 1945 gerät Heinz Schneede in Kurland in russische Gefangenschaft und kehrte erst 1948 zu seiner Familie zurück. Lange verlorene Jahre für die Männer „draußen", aber nicht weniger für die Angehörigen daheim: junge Frauen mit ihren Kindern, Bräute, Geschwister, Mütter und Väter, Jahre der Angst und Sorge. Aber mehr noch: Wieviel Tränen wurden geweint um diejenigen, die gar nicht wiederkehrten.

Ob das alles gut und richtig war, fragten sich immer mehr. Daß man nicht immer laut sagen durfte, was man dachte, wurde langsam immer mehr Leuten bewußt. Hinter vorgehaltener Hand wurde auch schon mal von Lagern oder gar Konzentrations lagern gesprochen, in die man kommen konnte, wenn man Kritik übte und „zu laut dachte". Neben den immer häufigeren Meldungen von Gefallenen kam durch die Luftangriffe der Krieg auch dem Aukrug näher. Zunächst nur Fliegeralarm, mal ein abgeschossenes Flugzeug oder wahllos abgeworfene Bomben von den in großer Höhe sichtbaren Bomberflotten.

Herbert Bergmann berichtet, daß er als Soldat auf den Flugplatz in Neumünster abkommandiert wurde zur Löschung und Bewachung eines viermotorigen Bombenflugzeuges, das am alten Meezer Weg abgestürzt war. 4 Besatzungsmitglieder waren tot, zwei sind in Gefangenschaft geraten. Die noch nicht gezündeten Bomben wurden entschärft und dann im Wald vergraben. Richtig ernst wurde es erst, als das Unrecht, das wir anderen Völkern angetan hatten, mit voller Wucht auf unser Land und Volk zurückschlug.

Nach den Ausgebombten kamen ab Februar 1945 die großen Trecks aus Ostpreußen und Pommern auch zu uns in den Aukrug. Zwangseinweisungen gehörten für lange Zeit zum täglichen Leben. Heute können wir uns kaum noch vorstellen, auf wie engem Raum die Familien — meist Frauen, Kinder und Alte — untergebracht waren. Die Männer waren noch Soldat, in Gefangenschaft, gefallen oder vermißt. In den letzten Kriegstagen wurde der Aukrug mit Tieffliegerangriffen auf das Militär, aber auch auf Zivilisten, noch direkt mit dem Kriegsgeschehen konfrontiert. Obgleich das Ende für fast alle inzwischen abzusehen war und auch ersehnt wurde, hofften örtliche Parteigrößen, sicher auf Befehl von „oben", sogar jetzt noch, durch den Bau von Panzersperren den Gang der Dinge aufhalten zu können.

Hitlerjugend, Volkssturm und Jungvolk

Bis 1934 war die Zugehörigkeit zur Hitler Jugend (HJ) noch freiwillig. Ein Gesetz vom 1.12.1936 über die Hitler Jugend bestimmte, daß die gesamte deutsche Jugend in der HJ zusammenzufassen sei. In der Durchführungsverordnung von 1939 hieß es dann: Alle Jungen und Mädchen der HJ unterstehen einer öffentlich-rechtlichen Erziehungsgewalt nach Maßgabe der Bestimmungen, die Führer und Reichskanzler erlassen. Ab 1942 wurden Wehrertüchtigungslager eingerichtet, und gegen Kriegsende mußten Hitlerjungen zum Volkssturm einrücken. Die Aukruger Willi Michaelsen, Willi Steuermann, Henning Butenschön und Heinrich Asmus, alle Jahrgang 1929, berichten darüber, wie sie diese letzte Phase des 2. Weltkrieges erlebt haben:

Im Oktober 1944 wurden die vier damals Fünfzehn- bis Sechzehnjährigen zum Schippen einberufen. Ab ging es in Uniform mit dem Schlachtruf „Schipp-Schipp-Hurra!" per Zug nach Schwabstedt. Ihr Quartier war in Ramstedt. Übernachtet wurde im Kuhstall, auf der Diele oder in ausgeräumten Zimmern. Man schlief auf dem Fußboden im Stroh, das Bettzeug bestand aus einer Wolldecke.

Der Tagesablauf: Morgens war zwischen sechs und sieben Uhr Wecken und Aufstehen. Einer der Unterführer bekam die grüne Schnur, er mußte antreten lassen und Meldung machen. Das Frühstück wurde geholt. (Für die Küche waren BDM-Führerinnen und -Maiden zuständig; auch einige Mädchen aus dem Aukrug waren dabei. Es gab kaum eine warme Mahlzeit ohne Brotsuppe.) Dann ging es im Gleichschritt mit geschulterten Arbeitsgeräten in Richtung Winnert. Hier wurde in den ersten Wochen ein vier bis sechs Meter breiter und entsprechend tiefer Panzergraben ausgehoben. Gefangene und Fremdarbeiter unterstützten die Jugendlichen.

Man erwartete die Landung der Engländer in Skandinavien. Hier sollten sie aufgehalten werden. Anschließend wurden für den Nahkampf Laufgräben in den Gärten und Feldern gegraben und an den Knicks MG-Stände eingerichtet. In den ersten Wochen war diese Arbeit interessant. Aber dann nahte der Winter. Es wurde draußen und in den Quartieren kalt und ungemütlich, und richtiges Winterzeug fehlte. Die Jugendlichen wurden schließlich nach Hause geschickt, weil in einigen Gruppen die Krätze ausgebrochen war. Wahrscheinlich mußte dies nur als Vorwand herhalten.

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Jungvolk Propaganda-Postkarte der NSDAP (1930) und Fritz Johannsen mit 10 Jahren (1936) als "Pimpf"

Anfang 1945 begann für die vier Aukruger die Zeit beim Volkssturm. Man nannte den Jahrgang 1929 „Das letzte Aufgebot". Vier- bis sechsmal wurden sie nach Büdelsdorf zitiert und jedesmal eine Woche militärisch ausgebildet. Zum Schießen marschierten sie zum Schießstand nach Osterrönfeld. Die Ausbilder waren Wehrmachtsangehörige der Genesungskompanien in Rendsburg. Der Höhepunkt war das freiwillige Melden zu der SS-Division „Hitlerjugend". Geködert wurden die Jungen von den „Helden des Krieges" durch die Zusage: Ihr bekommt eine einjährige Ausbildung und doppelte Verpflegung. Fast alle haben unterschrieben. Als sie wieder zuhause angekommen waren, gab es natürlich ein Donnerwetter. Ende März 1945 wurden sie ins Wehrertüchtigungslager einberufen. Einige waren nur für einen Tag da, andere eine Woche lang. Irgendeine Uniform haben sie nie getragen. Langsam hatten die Ausbilder wohl auch begriffen, daß man mit Kindern keinen Krieg gewinnen kann.

Das Deutsche Jungvolk (DJ), kurz auch als Jungvolk bezeichnet, war in der Zeit des Nationalsozialismus eine Jugendorganisation der Hitlerjugend für Jungen zwischen 10 und 14 Jahren. Danach wurde, wer nicht als Jungvolkführer in Übereinstimmung mit höheren Jungvolkführern im Jungvolk bleiben wollte, in die Hitlerjugend überwiesen. Ziel der Organisation war es, die Jugend im Sinne des Nationalsozialismus zu indoktrinieren, in Loyalität zu Adolf Hitler zu erziehen und vormilitärisch auszubilden. Die Mitglieder des Deutschen Jungvolks nannten sich offiziell „Jungvolkjungen“, umgangssprachlich für den jüngsten Jahrgang „Pimpf“. Die Organisation war ein Teil der allgemeinen nationalsozialistischen Gleichschaltung aller Lebensbereiche. Als Jugendorganisation bestand das Deutsche Jungvolk bis zum Zusammenbruch des Nationalsozialismus im Jahre 1945.

Reichsseifenkarte aus dem Jahr 1944 für Uwe Basuhn aus Innien (*1942; †2020)

Fritz Johannsen berichtet in seinen Erinnerungen: "Als ich 10 Jahre alt war, kam ich, wie alle Jungs, zum Jungvolk. Eine Uniform mit Dreiecktuch und Knoten, dazu eine kurze Hose. Nun mußte auch ein Paßbild her, für den Ausweis. Zu der Zeit hatte ich gerade Glatze. Vater meinte, weil meine Haare so dünn waren, werden die Haare davon dicker. In Wirklichkeit ging es etwas schneller zu schneiden. Er hat die Haare nämlich selbst geschnitten mit Handbetrieb. Die Hälfte der Haare wurden dabei ausgerissen. Deshalb hatten wir immer Angst, wenn es mal wieder so weit war. (...) Vom Jungvolk aus mußten wir einmal in der Woche zum Dienst. Wir machten Geländespiele gegen andere Dörfer. Die eine Partei bekam einen roten Wollfaden um den Arm, die andere Partei einen blauen. Danach ging es kilometerweit durchs Gelände. Die Späher hatten den Feind schon beobachtet und führten dann die Parteien zusammen. Dann ging es Mann gegen Mann. War der Faden durchgerissen, war man tot und durfte nicht mehr eingreifen. Ein Schiedsrichter mußte dann entscheiden wer gewonnen hatte. Sonntags mußten wir mit der Sammeldose los, sammeln für das Winterhilfswerk, dann wieder Knochen, Eisen und Papier. Im Herbst gings von Haus zu Haus. Da wurde alle gesammelt, was die Leute nicht aus ihrem Garten selbst brauchten. Äpfel, Birnen, Kürbisse und Gurken."[2]

Kriegsende und Kapitulation

Mit der Kapitulation am 8. Mai rückten englische Verbände hier ein und übernahmen das Kommando. Nach Bekanntwerden des millionenfachen Mordes, der in deutschem Namen in fast ganz Europa verübt wurde, kam die Ernüchterung, daß man falschen Propheten geglaubt hatte. Als „gebrannte Kinder" des totalitären Systems versuchten auch im Aukrug die Menschen in den nächsten Jahrzehnten auf demokratischem Wege die politische Entwicklung zu gestalten. Die Lehre aus der schrecklichen Zeit sollte man sich auch noch nach über 50 Jahren immer wieder ins Gedächtnis rufen. Sie sollte Mahnung sein, nicht abseits zu stehen, sondern sich im Rahmen der demokratischen Parteien auch auf örtlicher Ebene zu engagieren.

Einzelnachweise

  1. Chronist Heinrich Bünger in der Geschichte des Aukrugs 1978
  2. Von Tordschell bis Aukrug